10 Dinge, die du kennst, wenn du am Land aufgewachsen bist – Teil 2
Stadtkind oder Landkind? Das unterscheidet uns in manchen Dingen um Welten. Besonders wenn es um unsere Kindheitserinnerungen geht. Hier hat also ein waschechtes Landkind zehn typische Dorf-Dinge für euch, die sich wahrscheinlich nie ändern werden.
Als Erwachsene zu den Eltern heim aufs Land zu fahren, fühlt sich jedes Mal an wie der wohlverdiente Kurzurlaub im Paradies, das erste ehrliche Durchschnaufen seit Ewigkeiten: städtische Feinstoffe aushusten und die Lungen tief füllen mit dem vertrauten Geruch nach frisch gemähten Weiden und Jauche. Wo die Stadt mit Reizüberflutung im Sekundentakt um sich schmeißt, laufen die Uhren am Land nach ihrem ganz eigenen Rhythmus. Manche Dinge kennt man eben nur, wenn man fernab der hektischen Großstadtstraßen und rappelvollen U-Bahnen aufgewachsen ist. Deshalb kommt hier unser zweiter Teil der Dinge, die jede*r von zu Hause am Land kennt.
Kein Netz
Segen und Fluch zugleich: Am Land ist Handy-Empfang eher rar gesät. Das ist ganz praktisch, wenn man wirklich mal entspannen will und auf Urlaub daheim aus ist. Da können einen die Chefitäten eben mal eine Weile nicht erreichen und die Mails wollen bis nächsten Dienstag einfach nicht durch – oh nein!
Aber Sarkasmus beiseite. Mitunter kann die telefonische Abgeschiedenheit auch ganz schön nervenaufreibend sein, wenn man etwa für die lange aufgeschobene Seminararbeit Schutz im Schoß in der elterlichen Residenz sucht. Weil es hier ja so schön ruhig ist. Weil man sich da ja besser konzentrieren kann. Weil am Versagen der eigenen Konzentrationsfähigkeit nicht man selbst, sondern diese verdammte, laute Stadt mit ihren Ablenkungen schuld ist. Ja klar. Aber wie heißt es doch so schön? Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Denn ungestört bleibt man auf alle Fälle. Doch die dunkle Seite der Medaille: Man ist fast gänzlich auf analoges Wissen angewiesen; selbst mit Glasfaser-Internet lässt sich an vielen Orten nicht einmal Wikipedia laden. Wo war noch mal der Familien-Brockhaus?
“Fährst heute du?”
Die Diskussion, deren Ausgang ganze Abende entscheidet: Wer fährt diesmal mit dem Auto? Sich nach dem Ausgehen in die nächste Straßenbahn zu setzen oder ein Taxi in den entlegenen Heimatort zu rufen, spielt‘s am Land nicht. Ohne speziell auserkorene Autofahrende ist ein Partyabend schnell dem Untergang geweiht, wenn keiner mehr heimkommt oder nur nach einem unmenschlich langen Hatscherer. In der Regel gibt es ohnehin ein, zwei Leute pro Runde, die es diesmal eh nicht so hart übertreiben wollten – was aber auch bedeutet, dass die Macht über die Intensität des Abends ihnen obliegt: Wenn sie heim wollen, muss man mit. Die Challenge der Trinkenden besteht demnach stets darin, einerseits in kürzester Zeit möglichst viel Gaudi aus dem Abend rauszuholen, und andererseits, dem nüchternen Fahrer, der nüchternen Fahrerin einen berauschenden Abend zu bescheren, damit sie möglichst lange an ihrem Red Bull nuckeln, und man nicht doch noch Taxi-Mama aus den Puppen telefonieren muss. Wenn die denn überhaupt gerade Empfang hat.
Selbstgemachtes Alles
Fertigessen ist am Land ein Schimpfwort. Sogar an der Supermarktkasse wird argwöhnisch beäugt, wer ein vorpaniertes Schnitzel in sein Sackerl packt. Dafür ist das Selbermachen von Schmankerln sozusagen Volkshobby. Fast jeder Haushalt mit Garten baut dort was ganz Spezielles an, das nach Ernte zu feinsten “Hausgeheimnissen” weiterverarbeitet wird: von Marmeladen über Säfte und Liköre zu Gewürzzubereitungen, eingelegtem Gemüse und Tomatensugo. Viele machen ihren eigenen Most und reifen ihren eigenen Käse, andere brennen sogar Obstler. Die gesammelten Eierschwammerl werden in Essig eingelegt, die Steinpilze zu Suppenwürze verarbeitet. Kurzum: Es ist richtig g’schmackig am Land – und ehemalige Landkinder freuen sich, wenn sie vor ihrer Rückkehr in die Stadt die heilige elterliche Speis plündern dürfen. Was uns auch gleich zum nächsten Punkt bringt:
Die Speis
Wie ein begehbarer Kleiderschrank, nur essbar: Das ist praktisch schon das ganze Konzept der Speis, besser bekannt als Speise- oder Vorratskammer, ein kleiner Raum meist neben oder in der Küche, der bis oben hin vollgepackt ist mit Lebensmitteln. Die ihr angehaftete Nostalgie verdient eine kurze Lobeshymne. Sonderangebote werden in Massen bezogen und Konserven aller Inhalte gesammelt. Das hat nicht wenig damit zu tun, dass man eben nicht einfach mal ganz schnell zum Billa gegenüber hüpfen kann, wenn die Milch ausgegangen ist, sondern sich erst ins Auto setzen und in den nächsten Ort fahren muss – was man halt nur einmal die Woche macht. Gleichzeitig beherbergt die Speis so ziemlich alles, was Herz und Magen begehren. Sie ist der heilige Gral eines jeden Hauses, der ganz persönliche Naschmarkt in den eigenen vier Wänden, die glorreiche Belohnung für erledigte Hausarbeiten und die Antwort auf jegliche Appetit-Fragen: “Schau mal in die Speis.” Hier lagern Berge von Süßigkeiten und Knabberzeugs, die letzten Erdäpfel und Birnen vom Sommer, die Reste vom selbstgemachten Kuchen und Nachschlag vom Mittagessen. Und natürlich bieten die Dutzenden Regale Unterschlupf für die unzähligen feinsten, selbst kreierten “Hausgeheimnisse”. Jeder Besuch ist ein Erlebnis.
Leitungswasser = bestes Wasser
Egal, wie weit die Reise war, von der man nach Hause zurückkehrt – ob Thailand, Usbekistan oder Wien: das Wasser zu Hause schmeckt immer am allerbesten. Am Land trifft kristallklares Gebirgswasser auf perfekt abgestimmten Kalkgehalt in wenig benutzen Rohren und – et voilá – das reinste, erfrischendste und geschmacksneutralste Leitungswasser der Welt fließt in unsere hechelnden Münder. Viele Haushalte beziehen es sogar von einer eigenen Quelle. So schön. Und nein, gar nicht zu vergleichen mit dem Wiener Hochquell-Leitungswasser, mit dem man in der Großstadt gar so stolz prahlt. Immerhin sitzt man hier wortwörtlich an der Quelle und muss sie nicht erst mühsam umleiten.
Bei Besuch gibt’s Kuchen
Ist das eigentlich ein unausgesprochenes Gesetz, dass Gastfreundschaft sich an Kuchen rechnet? Wer am Land aufgewachsen ist, ist mit dem Duft von frisch gebackenem Kuchen, Gebäck und Süßem groß geworden. Denn die Devise lautet: Wenn spontan jemand vor der Tür stehen sollte, muss mit Kaffee und Mehlspeisen aufgewartet werden können. Jederzeit. Überall. Und da am Land praktisch ständig unangekündigter Besuch auftaucht, weil immer jemand “gerade in der Nähe war”, muss demnach auch ununterbrochen gebacken werden. Für angekündigten Besuch werden sogar größere Register gezogen; da gibt es dann schon mal Topfengolatschen und Bienenstich statt Fallobst- und Marmorkuchen. So oder so: Eine Tradition, die so süß ist, dass man sie gerne in die Stadt mitnimmt.
“Arbeitest eh was G’scheids?”
Arbeit, das heißt am Land: 40 Stunden körperlich hakeln. Wem Arbeit nicht von der Sonne ins Gesicht gebrannt steht, der arbeitet nicht richtig. Umso schwerer ist es für extrovertierte Heimkehrende, der Dorfschaft zu erklären, womit man sich nun seine Tofubrötchen verdient. Denn spätestens wenn der Uniabschluss winkt, wollen Oma und Onkel plötzlich doch mehr über Medieninformatik und Philosophie wissen, denn: “… damit kriegst an Job?” Freelancen ist dabei das Kampfwort der Verwandtschaft, dass den Eltern schlaflose Nächte beschert und die Großeltern ihre Erbschaft neu durchrechnen lässt. Erst wenn das exzentrische Kind dann mit dem Lohnzettel seines ersten 40-Stunden-Jobs winkt, kann man am Land wieder durchatmen.
Schneefrei
Sobald im Winter die ersten Schneeflocken den Boden berühren, reiben Landkinder schelmisch ihre Hände aneinander. Ja, der Wintertraum beginnt – mit bunten Lichtern, duftenden Keksen, wärmendem Glühwein und Schlittschuhlaufen. Was aber wirklich in allen Köpfen brodelt, ist die Hoffnung auf eingeschneite Straßen und Wege. Der Albtraum in Wien, wo die Straßen schon mit der ersten Schneeflocke im absoluten Chaos versinken und die urbane Infrastruktur der Natur erliegt. Am Land hingegen braucht es schon mal einen halben Meter Schnee über Nacht, um dem Schulbus eine Verspätung herauszukitzeln. Und selbst dessen darf man sich nicht allzu sicher sein. Dennoch verglüht die Hoffnung in den leuchtenden Kinderaugen nicht: Hoffentlich fährt der Bus morgen nicht! Hoffentlich gibt es eine fette Verspätung! Hoffentlich fällt die Schule aus! Hoffentlich ist Stromausfall! Natürlich sind das eher Kinderträume und für Eltern und Erwachsene ziemliche Unannehmlichkeiten und verlorene Morgen, die man damit verbringt, das Auto aus der Garage zu schaufeln. Aber ein kleiner Funken nostalgische Freude steckt auch noch in den großen Kindern.
Spitzelnde Nachbar*innen
Am Land weiß jeder alles über jeden, aber nicht immer nur gewollt! Klatsch und Tratsch gehört zum guten Ton wie ein perfekt gemähter Rasen am Sonntagvormittag (es gibt doch immer diese*n eine*n Nachbar*in, der*die es einfach nicht lassen kann, alle anderen gegen sich aufzuhetzen, oder?). Man ist also nie ganz alleine, denn viele Ohren hören fleißig zu und viele Augen beobachten alles auf Schritt und Tritt. Einen betrunkenen One-Night-Stand vor Mama und Papa verheimlichen? Möglich! Aber sicher nicht vor Walter und Trudi von gegenüber, die genau wissen, warum sie immer schon um 4 Uhr auf den Beinen sind. Und Elfriede im Haus daneben hat ganz genau gehört, dass sie das anfahrende Auto nicht kennt und fragt morgens bei Oma ziemlich sicher nach, wer denn so spät noch da war. Die eigene Familie steht dafür mit Fernglas versammelt am Küchenfenster, wenn auf der einzigen Haltestelle jemand auf den Bus wartet, der da sonst nicht sitzt, und rätselt um die Wette, wer das sein könnte, als säße man in der Millionenshow. Beim Spazieren durchs Dorf wackeln an unheimlich vielen Fenstern Gardinen und der*die eine oder andere Nachbar*in geht zufällig immer dann Unkraut jäten, wenn man selbst auch gerade auf der Terrasse sitzt. Ruhig ist es am Land vielleicht – aber alleine ist man nie.
Beim Jauchengeruch ist man daheim
Wenn im Frühling der vertraute Geruch nach tierischen Exkrementen, die mit Spritzgeräten auf die Felder gesprüht werden, durch das geschlossene Autofenster quillt, atmet man genüsslich ganz tief ein. Es ist der schönste Geruch der Welt, denn: Ja, jetzt ist man wahrlich wieder daheim. Was Touris und Stadtkinder schon mal als befremdlich und gar nicht so angenehm empfinden, ist für Dorfkinder-Nasen das, was Austropop für die Ohren ist: irgendwie Heimat. Da kommen Erinnerungen auf, da entstehen Emotionen, da schleicht sich die Nostalgie in unsere Herzen. Am Land stinkt‘s halt ein bissl, aber zumindest organisch. Do bin i her, do gher i hin.
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