5 Dinge, die Landkinder in der Stadt vermissen
Endlich Big City Life, Fortgehen ohne Fahrgemeinschaften gründen zu müssen und Lieferservices mit großer kulinarischer Vielfalt! Ja, das Leben in der Stadt hat sicher einige Vorteile. Aber manches geht einem als Landkind dann doch auch ziemlich ab.
Der Wald unmittelbar vor der Haustüre, dafür nur eine Bar und zwei Restaurants im Umkreis von 50 Kilometern. Von Kino und Theaterbesuchen kann keine Rede sein. Geredet wird dafür umso mehr – über den Garten der Nachbar*innen und die neue Frisur des Pfarrers. Das Landleben hat eben seine ganz eigenen Gepflogenheiten.
In der Stadt hingegen interessiert sich niemand für zerrissene Jeans und abgetragene Schuhe. Dafür stehen die Türen zu kulinarischen Köstlichkeiten aus aller Welt und aufwendig gemixten Cocktails – zumindest, wenn keine Pandemie herrscht – offen. Die Kehrseite: Das nächste Stückchen Grün, in dem die eigenen Gedanken das Lauteste sind, das zu hören ist, findet sich erst nach kurzer Internetrecherche und einer längeren Zugfahrt. Doch die nahe Flora ist längst nicht das Einzige, das Landkinder in der Stadt vermissen.
Die lieben Nachbar*innen
„Hallo Nachbarin!“, erklingt eine Stimme hinterm Zaun durch den Garten bis zur Terrasse, auf der meine Mutter gerade die Wäsche aufhängt: „Ist das deine Julia, die das Kind bekommen hat?! Steht im Bezirksblatt.“ Diese Situation hat sich tatsächlich so zugetragen, ohne Zuspitzung, ohne Übertreibung. Falls sich jetzt alle fragen: Nein, es war eine andere Julia. Ironischerweise zählt diese 1.200-Einwohner*innen-Gemeinde im Norden Tirols nämlich nicht nur eine, auch nicht zwei, sondern drei (nicht verwandte) Frauen mit demselben Vor- und Nachnamen. Da sind Missverständnisse quasi vorprogrammiert, speziell unter neugierigen Nachbar*innen.
Man weiß nie, wann sie hinter dem Zaun hervorblicken und ohne Vorwarnung Fragen stellen. „Wie lange dauert dein Studium denn noch?“, „Hast du schon einen Freund?“, „Geht dir die Natur nicht ab?“ Und darauf gleich die Antwort: „Also ich würde das nicht aushalten in der Stadt.“ Diese Menschen sind einfach Teil des Lebens, sie gehören beim Heimatbesuch dazu. Und irgendwie möchte man sie auch nicht missen. Obwohl sich ein kurzes Gespräch teilweise wie eine ausgeklügelte Verhörtaktik anfühlt, bringt die Stimme am anderen Ende des Gartenzauns ein vertrautes, wohlig warmes Gefühl mit sich. Es ist das Wissen, dass man sich auf diese Menschen verlassen kann. Egal ob das Mehl ausgegangen ist oder der Schuh drückt – sie stehen bereit mit Schuhlöffel und ungebetenen, aber lieb gemeinten Ratschlägen.
In der Stadtwohnung sieht das Ganze etwas anders aus. Auch wenn sich die Anonymität speziell nach dem Heimatbesuch für kurze Zeit wie ein Segen anfühlt, so kann es doch auch einsam werden. Auch wer jahrelang in ein und demselben Wohnblock wohnt, hat meist keine Ahnung, wer am anderen Ende der Wand sitzt. Wenn hier das Mehl ausgeht, ist der Weg zum nächsten Lebensmittelgeschäft zwar gleich weit wie zum Gartenzaun, die kurze Unterhaltung und das vertraute Gefühl bleiben aber meist aus. Denn das lösen nur Menschen aus, die dich bereits seit deiner Zeit in Windeln kennen. Allerdings lassen sie dich das auch nie vergessen.
Der lange Heimweg nach einer langen Nacht
Während Städter*innen sich gemütlich in die nächste U-Bahn, die Nightline, ein Taxi oder Uber setzen, sind die Möglichkeiten für Nachtschwärmer*innen am Land um einiges begrenzter. Im Sinne von: es gibt keine. Wer nicht Mama und Papa zum Taxidienst mitten in der Nacht oder in Herrgottsfrühe (ja, auch diese Uhrzeit ist am Land sehr präsent) aufwecken will, muss also die Füße in die Hand nehmen. Oder die Füße einfach Füße sein lassen und hoffen, dass sie einen mit gelegentlichen Schlenkern, bei denen der Oberkörper plötzlich die Richtung angibt, nach Hause tragen.
Der oft mühsame Heimweg durch Schneestürme oder heftige Regenergüsse hat aber auch etwas Gutes. Denn nur selten tritt man diesen Gang alleine an. Der Cousin, der im Nachbarhaus wohnt, die Freundin aus Volksschulzeiten oder vielleicht auch eine neue Bekanntschaft – irgendjemand hat immer denselben Heimweg. So entstehen die spannendsten Gespräche und lustigsten Anekdoten. Der Heimweg ist Teil des Ausgehens und nicht selten entpuppt er sich als witzigster oder interessantester Teil der Nacht. Und sollte man doch einmal alleine gehen müssen: Wer den Gang durch das finstere Tal geschafft hat, liegt am Ende in einem feinen kuscheligen Bett – ohne Schwindel oder andere Nebenwirkungen, die diese lustigen und langen Nächte in der beliebtesten (und einzigen) Bar weit und breit mit sich bringen. Man hat also Bewegung an der frischen Luft und nüchtert dabei auch noch aus – win win eigentlich.
Garagenpartys und Zeltfeste
Feiern in der Grellen Forelle, im Celeste, in der Pratersauna – wer die Nacht zum Tag machen will, kann in Wien aus dem vollem Schöpfen. Am Land sieht auch das etwas anders aus. Die Feste sind an einer Hand abzuzählen – und nicht nur das, sie finden nach einem Monatsplan statt. Faschingsumzug im Februar, Osterball im März, Frühlingsfest im April und Maifest, nun ja, im Mai. Damit es dazwischen nicht langweilig wird, besuchen Landkinder die bereits erwähnte beliebteste (und einzige) Bar oder verwandeln die eigene Garage zum Partyhort. Bierbank, Biertisch, Bierfass – und ab geht die Party und die Party geht ab. Die musikalische Umrandung klingt dann meist ähnlich.
Das Besondere an diesen altbekannten Orten ist, dass sie voll mit Erinnerungen sind und trotzdem Platz für neue Erfahrungen lassen. Die ältesten Freund*innen feiern hier mit Studienkolleg*innen auf Kurzbesuch. Ort und Uhrzeit ausmachen muss man sich im Übrigen nicht. Irgendwann landet jede*r in diesem Zeltfest, der (einzigen) Bar oder der Garagenparty. Gefeiert wird dann gemeinsam, als wäre man nie weg gewesen. Partynächte in der Stadt machen zwar oft genauso viel Spaß, fühlen sich aber ganz anders an. Das liegt wohl auch daran, dass man mit den fünf Freund*innen ausgeht, mit denen das auch vereinbart worden ist, und nicht mit dem ganzen restlichen Dorf.
Die Uhren ticken anders
…und Zeitmanagement ist alles. Wer vor der Garagenparty noch schnell in den Supermarkt muss, hält sich besser ran. Zu schnell schlägt die Gewohnheit zu und man vergisst, dass die Öffnungszeiten am Land um einiges kürzer und die Wochenenden nicht zum Notfall-Einkauf geeignet sind. Wer sich am Samstagnachmittag noch nicht um Vino und Knabbereien für die Samstagsparty gekümmert hat, hat meistens Pech. Aber auf Mama ist halt doch Verlass und nicht nur der Kühlschrank, sondern auch die Schublade mit Knabbereien und die Hausbar sind prall gefüllt. Wer zur hintersten Flasche Wein greift, ist gut beraten und fliegt nur selten auf. Aber nicht nur der gefüllte Kühlschrank deutet auf eine andere Zeitrechnung hin, auch der Lauf des Tages ist am Land eher ein entspannter Power-Walk. Am Vormittag auf der Terrasse liegen und den Wolken zusehen, drei Stunden auf den nächsten Gipfel wandern, um rein gar nichts mehr zu hören und danach nicht zum Bus hetzen zu müssen, weil keiner fährt – da bleibt einem schlichtweg nichts anderes übrig als zu entschleunigen.
Mamas Käsknöpfle und Papas Striezel
Manche Speisen schmecken daheim am besten und auch nur so, wie’s die Mama macht. Oder der Papa, oder die Oma. In Vorarlberg sind es die Käsknöpfle, in Tirol die Knödel, in Salzburg die Nockerln und in Kärnten der Reindling. Die regionalen Speisekarten könnten in Österreich nicht unterschiedlicher sein. Gemein haben sie aber das wohlige Gefühl im Bauch, das sich nach dem Essen ausbreitet. Es gibt nichts Schöneres als in die Küche zu kommen und den Duft von Mamas oder Papas frisch gekochtem Sonntagessen in der Nase zu haben. Die traditionelle Lieblingsspeise gehört bei jedem Heimatbesuch dazu, genauso wie das Schnäpschen danach und drei Plastikschüsseln gefüllt mit den Resten, die im Wiener Gefrierschrank als eiserner Vorrat dienen. Mit etwas Glück ist davon bei der nächsten Heißhungerattacke sogar noch eine Portion übrig. Ansonsten ist mit dem Heißhunger auch das Heimweh nicht weit.
Weiterlesen:
Sätze, die du als Landkind kennst, wenn du auf Besuch zu Hause bist