9 Dinge, die Philosophie-Studierende nicht mehr hören können
Schon bemerkenswert, dass ausgerechnet die Mutter der Wissenschaft so gerne aufs Korn genommen wird. Unsere Redakteurin präsentiert euch ihre Top-Neun-Sager über das Philosophie-Studium, die sie schon nicht mehr hören kann.
„Ja, ja, nach dem dritten Bier werd‘ ich auch zum Philosophen.“ Bröckelte schon wegen meines Germanistik-Studiums mein Ansehen bei einigen meiner im klassisch leistungsgesellschaftlichen Sinn erfolgsorientierteren Bekannten, zementierte die Wahl der Philosophie als zweites Fach ein gewisses Image vollends ein: Süß, die leicht verschrobene Geisteswissenschaftlerin mit ihrem Faible für Bücher und mentales Onanieren. Wird schon noch in der „richtigen Welt“ ankommen und doch auf etwas „Sinnvolles“ umschwenken.
Über die Hierarchie der Sinnhaftigkeit einzelner Studiengänge werde ich mich hier nicht auslassen – das führte die Konversation bereits bei genug anderen Gelegenheiten gefährlich nah ans Heidegger’sche Nichts oder an den nietzscheanischen Abgrund. Dass einem ein Philosophie-Studium tatsächlich mehr bringt als angeberisches Namedropping an unpassenden Stellen und eine gewisse Sattelfestigkeit bezüglich der berühmten Unsterblichkeit der Maikäfer, steht außer Frage.
Unqualifizierte Wortmeldungen einiger abgebrühter Mitmenschen zum Beispiel, die bekommt man sogar gratis obendrauf. Und weil die Philosophie die Geisteswissenschaften aus ihren verkrampften Gehirnwindungen geboren hat, lassen sich diese Sager praktischerweise auf die meisten geisteswissenschaftlichen Studienfächer analog anwenden. Also, meine lieben proklamierten Bücherwürmer und angedichteten Stubenhocker*innen, das hier ist für euch.
„Auf Lehramt?“
Ob man mit diesem ominösen Ungetüm an nicht Greifbarem, das man da studiert, in absehbarer Zeit auch im Klassenzimmer wiederkäuen will – diese Frage liegt natürlich nahe. Gerade die Kombination aus Germanistik und Philosophie ist quasi prädestiniert dafür, unterrichtet zu werden. Und im Prinzip muss man diese Frage ja nicht unbedingt als unterschwelligen Hinweis darauf deuten, dass geisteswissenschaftliche Fächer nur dann eine gewisse Existenzberechtigung haben, wenn man damit übellaunigen Teenagern auf den Senkel gehen will. Muss man nicht, kann man aber. Besonders wenn diese Frage nicht als Frage gestellt wird, sondern eigentlich schon die verbale Ausformung einer festen Annahme im Kopf der Fragenden darstellt. Manchmal würde ich einfach gerne „Ja“ darauf sagen, nur um mein Gegenüber zu befriedigen und endlich wieder entspannten Smalltalk über das Wetter führen zu können. Aber das wäre zu einfach. Also schüttle ich höflich lächelnd den Kopf und warte ab, was danach kommt. Und meistens folgt das:
„Und was machst du dann damit?“
Und da haben wir ihn schon, den allgemeinen Zwang der direkten, am liebsten auch gleich monetären Verwertbarkeit von allem, was wir tun. Ja, was macht man also mit Philosophie? Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte: philosophieren? Das ist natürlich alles andere als eine präzise Jobdescription, auf die es die Fragestellenden in den meisten Fällen abgesehen haben. Denn studieren geht man ja, um später was zu werden, oder? Also Lehrerin, Anwältin, Ärztin, you name it. Ich verstehe nicht viel von Kindern, aber die wenigsten würden wohl auf die Frage, was sie später werden wollen, mit vollem Timbre antworten: „Philosophin!“, und dann ihr Aristoteles-Stickerheft hervorkramen. Aber darum geht es bei einem geisteswissenschaftlichen Studium eben auch nicht: Immerhin steht an der Uni eigentlich Bildung im Vordergrund, nicht Ausbildung. Das mag für die Effizienzorientierten unter uns erst mal schwer zu verkraften sein.
„Du lebst von meinen Steuern!!1!11!!!einself“
Tatsächlich höre ich sie an diesem Punkt auch schon die Zähne wetzen. Ein gefundenes Fressen für alle Harte-Arbeit-Propheten und Leistungsapostel da draußen: eine Studentin, die studiert, um zu studieren – wie schamlos. Nutznießerin! Langzeitstudentin! Owezahra! Halt, stopp. Den schwelenden Grant gewisser Bevölkerungsgruppen auf Studierende zu ergründen und das Klischee der sozialschmarotzenden Studentin zu entkräften, schaffe ich wahrscheinlich nicht in einem schmissigen Blogartikel. Nur so viel sei gesagt: Natürlich ist mir bewusst, dass das Ideal der dauersinnierenden Studierenden so realitätsfremd wie auch elitär ist. Tatsache ist, dass die meisten Studis mindestens einem Brotjob nachgehen, um sich ihr Studium zu finanzieren, mit dem sie später mit viel Glück oder Vitamin B einen prekären Arbeitsplatz ergattern, mit minimaler Bezahlung und maximaler „EiGeNvErAnTwOrTuNg“. Studieren muss man sich also überhaupt erst einmal leisten können und das tun die meisten früher oder später ohne den finanziellen Airbag der Eltern. Sondern durch – wer hätte es gedacht? – ein eigenes Einkommen.
„Die Philosophie ist keine exakte Wissenschaft.“
Auch ein schöner Klassiker, besonders wenn man sich unversehens an einem Tisch mit Naturwissenschaftler*innen befindet, die sich ihre Daseinsberechtigung aus eindeutigen Antworten auf Forschungsfragen ableiten. So funktioniert die Geisteswissenschaft nun einmal nicht. Leider. Es wäre auch zu schön, könnte man auf Kants Frage „Was ist der Mensch?“ einfach antworten: „Ein Säugetier.“ Und damit hätte sich die Sache dann erledigt. Theoretisch ist das ja sogar richtig, wäre Kant ein Medizinstudent mit besorgniserregend geringem Grundlagenwissen. Aber wenn die Philosophie eins nicht ist, dann ist das einfach. Während die einen mit Zahlen und Experimenten jonglieren, jonglieren die anderen eben mit Theorien, Thesen, Fragen, auf die es nun einmal keine eindeutige Antwort gibt. Und das ist gerade in einer Zeit, in der der Populismus immer stärker mit vermeintlich einfachen Antworten wedelt, sicher kein Nachteil.
„Und bei welchem Mäci arbeitest du?“
Hier aber zur Abwechslung tatsächlich ein handfestes Ergebnis aus der empirischen Forschung: Mit steigender Frequenz der Erwähnung, man studiere Philosophie, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Scherzkeks mit diesem schenkelzertrümmernden Klopfer zu Wort meldet. Egal wie viele Clowns er gefrühstückt oder wie viele Nächte sie in der Brotkiste bei den Scherzerln verbracht hat, ernten werden sie bei den meisten für diesen Mario Barth unter den Sticheleien wohl nur ein müdes Lächeln. Ja, schon klar, die Jobaussichten sind mit diesem Studium eher vernebelt. Wir haben’s kapiert.
„Wie sieht dein Plan B aus?“
Entweder der klassische Mäci-Schmäh, oder man erntet die ernsthaft besorgte Frage nach dem berühmten Plan B. Und das meistens in einer Lebensphase, in der man nicht einmal das Mittagessen vorplanen kann, um sich dann erst recht ein McMenü am Heimweg reinzustellen – oder von der Arbeit mitgehen zu lassen. Ha. Ha. Perfekten Konter habe ich bis heute keinen gefunden. Nur ein Tipp: Antwortet man mit abgeklärter Miene: „Das Leben ist das, was passiert, während man Pläne macht, Tante Margarete“, führt das bei besagter Tante ziemlich sicher zu noch größerer Besorgnis. Nach diesem Monty-Python-Sketch zu urteilen, hatten wohl auch schon die alten Griechen ein sportliches zweites Standbein:
„Das NIG ist schiach.“
Ja. Eh. Geschmäcker und Ohrfeigen sind bekanntlich verschieden. Und Gebäude auch. Dass das Neue Institutsgebäude, in dem sich die Philo-Fakultät befindet, in Sachen Pomp nicht mit der Hauptuniversität zu vergleichen ist, dürfte klar ein. Es ist eben ein Zweckbau mit zugegeben etwas bedrückender Stimmung in den Rundgängen ohne Fenster und den drei großen, kargen Hörsälen. Und wenn man auf den kahlen Holzbänken vor der nächsten Prüfung zittert, fühlt man sich tatsächlich ein wenig wie in einem enorm belesenen U-Boot. Aber hey, selbst die größten Nörgler müssen gestehen, dass die Aussicht von der Mensa im 7. Stock einiges an Unbehagen ausgleicht.
„Aber Foucault schreibt…“
Aber nicht nur von außen prasseln die Klischees auf die Mini-Kants und -Beauvoirs ein. Auch während des Studiums denkt man sich bei der einen oder anderen Wortspende übereifriger Mitbüffelnder: Das hab ich doch schon mal wo gehört. Oder gesehen. Denn wenn man nicht mindestens einmal in der Philosophie-für Anfänger-Karriere den schwarzen Rollkragenpulli zurechtgerückt und sich in eine Seminardiskussion mit einem Foucault-Zitat eingebaut hat, hat man dann wirklich Philosophie studiert? Eins steht fest: Der Existentialisten-Rolli kommt wohl nie ganz aus der Mode.
„…und dann diskutieren wir den Text gemeinsam!“
Klischees kommen eben manchmal doch nicht von ungefähr. Da ist vor allem die in den Seminaren fast schon obligatorische Diskussionsrunde am Ende der ebenso obligatorischen Referate aufschlussreich. Schon in den ersten Einheiten kristallisiert sich meist heraus, wer mit Grundwissen über die Positionen von Foucault, Adorno und Butler um sich schmeißen kann wie Gangsterrapper mit fragwürdigen Schimpfwörtern, und wer die besprochene Textstelle am Herweg in der U-Bahn zum ersten Mal aufgeschlagen hat. Mit welcher Gruppe ich eher sympathisiere, sei dahingestellt. Allerdings ist es nach *LAUTES HUSTEN* Semestern doch etwas entlarvend, dass ich mir gerade beim Schreiben laut „Fohkault“ vorartikulieren musste. Jetzt muss ich meinen Existentialisten-Rolli wahrscheinlich an der Studienservice-Stelle abgeben. Mist.
Ihr wollt es jetzt philosophisch? Unsere Redakteurin hat sich überlegt, warum wandern nicht gleich wandern ist. Außerdem haben wir ein paar Dinge für euch, die ihr sicher kennt, wenn ihr auf der WU studiert.