Abtreibung in Österreich: Drei Frauen erzählen
Das Thema Abtreibung betrifft ungewollt Schwangere, zu Wort kommen sie allerdings selten. Das Bild, das wir von Abtreibungen haben, ist vage, stammt meist aus Filmen oder Büchern und gilt als Worst-Case-Scenario. Aber wie läuft eine Abtreibung hierzulande ab? Und wie geht es jenen, die das selbst erlebt haben? Drei Frauen erzählen von ihren Erfahrungen.
Im Juni hat der Oberste Gerichtshof in den USA das Recht auf Abtreibung aufgehoben, nur wenig später setzten einige US-Bundesstaaten erste Abtreibungsverbote in Kraft. Diese Entscheidung schlug Wellen über den gesamten Globus. Als Reaktion auf die Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Courts soll nun das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in der EU zum Grundrecht werden. Innerhalb der EU gibt es in einigen Staaten drakonische Gesetze, die Frauen einen Schwangerschaftsabbruch verweigern, wie zum Beispiel in Polen oder Malta. Und auch in Österreich ist Abtreibung nicht legal, sondern auf Wunsch bloß innerhalb der ersten drei Monate straffrei. Die Krankenkasse übernimmt die Behandlung nicht. Die Informationslage dazu ist dürftig, die Zahl an Ärzt*innen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, überschaubar. In manchen Bundesländern gibt es keine oder lediglich eine einzige Stelle, an die man sich dafür wenden kann.
Seit Kurzem gibt es die Website abortion-in-austria.at von Pro Choice Austria, Ciocia Wienia und dem Verein 20.000 Frauen, die praktische Informationen zum Thema Abtreibung in Österreich übersichtlich aufbereitet und auflistet, an welche Stellen man sich wenden kann.
Weil die Diskussion über Abtreibung oft über ungewollt Schwangere geführt wird, sie aber selten selbst zu Wort kommen, haben wir mit drei Frauen gesprochen, die in Wien abgetrieben haben. Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
Helena, 31
Wir haben kurz vor Weihnachten durch einen Schnelltest erfahren, dass ich schwanger bin. Mein Partner und ich waren erst wenige Monate zusammen und mir war klar, dass ich noch nicht bereit bin, ein Kind zu bekommen. Aber weil wir über die Weihnachtsfeiertage niemanden erreicht haben, hatten wir viel Zeit zum Nachdenken und so hatten wir Phasen, in denen wir uns einig waren, und Phasen, in denen wir das unterschiedlich sahen. Schließlich haben wir aber am selben Strang gezogen.
Zuerst bin ich ins AKH gefahren in eine Ambulanz, weil uns in den Feiertagen sonst niemand behandelt hätte. Mein Partner durfte wegen Covid nicht mit hinein. Nach zwei Stunden Wartezeit und einer Urinprobe haben mir eine Ärztin und eine Schwester am Gang ziemlich forsch mitgeteilt, dass sie “so etwas sicher nicht machen”. Sie haben mir einen Zettel mit fünf oder sechs Anlaufstellen gegeben, die mich behandeln würden, und mich an ein Katholisches Krankenhaus verwiesen. Ausgerechnet. Dort wurde ich behandelt, als wäre ich in “freudiger Erwartung”. Man gratulierte mir zur Schwangerschaft, obwohl ich von Anfang an angemeldet hatte, dass ich komme, um mich über einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren. Generell wurden mir nicht unbedingt Wege gewiesen, wie ich weiter vorgehen kann, sondern ich wurde über Familienplanung informiert und kam mich sehr manipuliert vor.
Über Google habe ich mich schließlich informiert – ich hätte mir davor nicht gedacht, dass Abtreibung in Österreich mit so vielen Hürden verbunden ist, wie etwa, dass sie nicht von der Krankenkasse gedeckt ist oder es nur sehr wenige Anlaufstellen gibt. Bei der Stelle, für die ich mich entschieden habe, habe ich mich endlich gut aufgehoben gefühlt. Über die Website kann man sich anmelden und ich habe noch innerhalb einer Stunde einen Rückruf bekommen. Da kann man schon die ersten brennenden Fragen stellen und einen Arzttermin vereinbaren. Nachdem ich beim ersten Termin untersucht wurde, konnte ich einen zweiten Termin für die Abtreibung vereinbaren. Davor bekam ich noch mal alles ganz genau erklärt und eine Box mit Tabletten und einen Infozettel, auf dem jeder Schritt draufstand. Die ersten Tabletten, durch die der Körper den Abbruch einleitet, musste ich unter Beobachtung nehmen. Dann bin ich mit meinem Partner nach Hause gefahren. Nach 24 Stunden nimmt man dann eine Tablette, die Krämpfe auslöst und dem Körper beim Abort helfen. Wir haben versucht, diesen Tag so normal wie möglich zu gestalten, haben zu Abend gegessen, die Tabletten eingenommen, ferngesehen, bis die Schmerzen anfingen. Und die waren extrem heftig. Zum Glück habe ich mich schon vorher darauf eingestellt und Schmerzmittel bekommen. Ein paar Stunden später war die Prozedur vorbei.
Ich habe meine Entscheidung zu keinem Moment bereut. Seitdem beschäftige ich mich mehr mit dem Thema Kinder und was ich dafür brauche, dass mein Bauchgefühl nicht mehr laut “Nein!” schreit. Meiner Familie habe ich es nicht erzählt, ich weiß nicht, ob ich das jemals machen werde. Innerhalb der Familie ist die Vorfreude auf Nachwuchs sehr groß und das wird auch immer wieder scherzhaft eingestreut. Für mich ist das schon ein gewisser Druck und ich wollte nicht, dass sie mir im Nachhinein ein schlechtes Gefühl geben. Meinen engsten Freundinnen habe ich aber davon erzählt und bin der Meinung, dass man vor allem unter Frauen, aber auch generell viel offener über das Thema sprechen sollte. Außerdem war es mir wichtig, dass mein Partner von Anfang an bei jedem Schritt dabei ist, weil das eine Sache ist, die uns beide betrifft. So etwas sollte nicht immer nur in der Verantwortung der Frau liegen, obwohl sie natürlich die finale Entscheidungshoheit besitzen sollte, weil es um ihren Körper geht. Ich bin mir aber bewusst, dass es ein großes Privileg ist, einen Partner zu haben, der mich so unterstützt. Viele Frauen in der Abtreibungsklinik waren ganz allein, hatten ganz unterschiedliche Backgrounds. Wir haben uns auch die Kosten für die Abtreibung 50/50 geteilt. Wie viel sie genau gekostet hat, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. In dem Moment hat das Geld für mich eine nebensächliche Rolle gespielt. Aber auch das ist bei vielen sicher anders und eine enorm große Hürde.
Miriam, 25
Meine Periode war ein paar Tage ausgeblieben und ich habe irgendwie gespürt, dass etwas nicht stimmt. Als der Test dann positiv war, habe ich weinend zum Handy gegriffen und gegoogelt, wo ich in Wien eine Abtreibung machen lassen kann. Mein Partner und ich haben ganz offen darüber gesprochen und für uns beide war sofort klar, dass wir kein Kind wollen. Das klingt jetzt vielleicht easy, aber in dem Moment war das ein kurzer Weltuntergang. Das war immer das Worst-Case-Scenario für mich.
Ich finde, dass in Österreich recht offen kommuniziert wird, wenn ein*e Arzt*Ärztin Abtreibungen durchführt. Daher war es für mich auch nicht schwer, einen Arzt zu finden. Ich habe mich für einen Frauenarzt im 19. Bezirk entschieden, der sehr gute Google-Bewertungen hat. Nachdem ich ihm am Samstagabend eine Mail geschrieben hatte, kam nur ein paar Minuten später eine SMS und wir haben einen Termin in seiner Ordination vereinbart. Leider war der erst eine Woche später, das Warten darauf war wirklich belastend. Inzwischen habe ich im Internet recherchiert, wie so etwas abläuft, aber es gibt so wenige Informationen, dass die Angst davor nur größer wurde. Ich wusste nicht genau, was auf mich zukommt.
Mein Partner hat mich begleitet. Der Arzt hat ein kurzes Gespräch mit uns geführt und meinte, wenn wir anschließend noch immer eine Abtreibung machen wollen, können wir das sofort in die Wege leiten. Vor Ort habe ich dann die Tabletten bekommen und eine Anleitung, was ich wann einnehmen soll. Außerdem hätte ich jederzeit anrufen dürfen, wenn es mir nicht gut geht. Ich habe mich wirklich sehr gut aufgehoben gefühlt und das ist in so einem Moment unglaublich wichtig. Das Ganze hat 490 Euro gekostet, inklusive Nachuntersuchung. Ich war in der 5. oder 6. Woche.
Am Donnerstag habe ich also die ersten Tabletten genommen, da passiert erstmal nichts, also nichts Spürbares. Am Samstag in der Früh habe ich dann die dritte Tablette vaginal eingenommen. Nach drei Stunden gingen die Schmerzen und Krämpfe los. Ich habe es mir nicht so schlimm vorgestellt, wie es tatsächlich war. Es war so ziemlich die schlimmste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Ich habe extrem stark geblutet, musste mich übergeben und hatte Durchfall. Weil ich die Schmerzmittel nicht bei mir behalten habe, haben sie auch nicht viel Wirkung gezeigt. Nach weiteren drei Stunden bin ich im Sitzen eingeschlafen, weil ich körperlich einfach enorm erschöpft war. Dann sind die Schmerzen allmählich weniger geworden. Danach habe ich viel geschlafen und war am nächsten Tag noch immer erschöpft. Aber prinzipiell ist es mir danach ganz gut gegangen, auch psychisch habe ich es gut weggesteckt.
Am Mittwoch nach dem Wochenende, als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, hatte ich die erste Sitzung bei meiner Therapeutin – das hatte ich schon länger davor vereinbart. Das war ein guter Weg, das alles zu verarbeiten. Sonst habe ich nicht wirklich vielen Menschen davon erzählt, nur meiner Schwester und meinen engsten Freundinnen. Als ich mehr darüber gesprochen habe und das nicht mehr nur mit mir selbst ausmachen wollte, ging es mir besser. Schwer ist für mich nur, dass in unserem Freundeskreis viele schwanger sind oder gerade Kinder bekommen haben. Nicht weil ich meine Entscheidung bereue oder es im Nachhinein anders machen würde, denn das würde ich nicht. Sondern weil wir nicht offen über diese Entscheidung sprechen können, weil da so viel Mitleid kommen würde. Das Thema ist immer noch ein Tabu.
Hannah, 31
Natürlich war ich zuerst einmal geschockt – schwanger, was jetzt? Schon seit ich 14 war, wurde mir gesagt, dass es für mich schwierig wird, schwanger zu werden, weil ich eine Schilddrüsenunterfunktion und einen hohen Testosteronhaushalt habe. Außerdem habe ich damals die Pille genommen. Die Wahrscheinlichkeit war also unglaublich gering. Deshalb haben mein Partner, mit dem ich damals zusammen war, und ich beschlossen, an dem Tag auch gleich Lotto zu spielen: “Wenn wir einen Doppelsechser haben, dann passt das.” Generell haben wir uns einen wirklich schönen Tag gemacht, haben uns den Sonnenuntergang angesehen. Schon am Abend war klar, dass wir große Zweifel haben, ob wir dafür bereit sind. Damals hat zum Beispiel jede*r von uns in einer WG gelebt.
Ich habe noch am selben Tag meine Frauenärztin kontaktiert und konnte am nächsten Tag zu ihr in die Klinik kommen. Bei einem Ultraschall meinte sie, dass es nach der 7. Woche aussähe. Sie wollte, dass ich mich sofort entscheide. Aber mein damaliger Partner und ich haben uns eine Woche Bedenkzeit erbeten, haben viele Gespräche geführt, aber sind zu dem Schluss gekommen, dass wir noch nicht bereit sind und wenn wir eine Familie gründen, dann wollen wir auch richtig für das Kind sorgen können. Und dass wir davor noch so viel erleben wollen. Damals dachte ich: Ich bin das erste Mal in meinem Leben egoistisch.
Mit meiner Frauenärztin war ich bis dahin immer sehr zufrieden bei den Routineuntersuchungen. Aber als es dann um die Abtreibung ging, hat sie stark versucht, mich zu beeinflussen. Als die Abtreibung feststand, sind mein Partner und ich in die Klinik gefahren, um die Tabletten zu holen. Alles in allem hat das damals 560 Euro gekostet. Bevor es aber dazu kam, hat die Ärztin noch einmal einen Ultraschall gemacht. In dem Moment habe ich gar nicht realisiert, was da passiert. Erst viel später wurde mir klar, dass sie mir eigentlich den Herzschlag zeigen und mich so manipulieren wollte. Aber an der Entscheidung hat das nichts geändert.
Eigentlich hieß es, dass es mir sehr schlecht gehen könnte, nachdem ich die Pille eingenommen hätte, die die Krämpfe auslöst. Durch den starken Blutverlust könne es außerdem zu Schwindel und Übelkeit kommen. Kurz nachdem ich sie eingenommen hatte, ist mir so übel geworden, dass ich mich übergeben musste. Nach einer halben Stunde kam sehr viel Blut. Schmerzen hatte ich kaum. Eine eigenartige Erfahrung. Ich habe den ganzen Tag Serien geschaut, hatte Heißhunger und abends wäre ich sogar noch motiviert gewesen, etwas zu unternehmen. Mir ging es danach wirklich gut. Davor hatte ich fast die ganzen acht Wochen starke Übelkeit. Am Tag nach der Abtreibung hat es sich angefühlt, als hätte man mir einen krassen Druck abgenommen, da war große Erleichterung und so viel Energie. Dieses Gefühl hat über ein Jahr lang angehalten. Sogar mein Stoffwechsel hat sich zum Positiven verändert und das ist auch so geblieben.
Nach der Abtreibung habe ich Ärztin gewechselt, aber zwei Jahre später bin ich doch noch mal zu ihr. Es war mir ein Bedürfnis, ihr zu sagen, dass es für mich die absolut richtige Entscheidung war. Am Anfang wusste ich nicht, wie ich mit dem Thema umgehen soll. Aber je öfter ich darüber gesprochen habe, desto entspannter wurde ich dabei. Wenn ich mich öffne und ohne Scham darüber rede – es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste –, dann öffnen sich andere auch. Da habe ich erst mitbekommen, wie viele Frauen in meinem Umfeld sich gegen ein mögliches Kind entschieden haben. Natürlich steht jedem*jeder frei, nicht über dieses Thema reden zu wollen. Aber genauso sollte es Betroffenen frei stehen, darüber zu sprechen. Mein Körper, meine Entscheidung.
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