Raunzen und Reisen: Warum alleine reisen anstrengend ist
Wir lieben Reisen, und ganz ehrlich: Wir lieben auch Raunzen. Weil beides wunderschön sein kann, teilen wir hier schamlos unsere Gedanken und nehmen euch diesmal mit auf Solo-Reisen. Denn unsere Redakteurin Sonja verreist immer wieder alleine – obwohl sie lange Angst davor hatte und definitiv nicht nur romantische, Insta-taugliche Erfahrungen gemacht hat. Hier erklärt sie, warum.
Insgesamt hat es wohl fast ein Jahr gedauert, bis ich keine Angst mehr hatte. Indonesien, Thailand, Vietnam, Laos, dann wieder Indonesien, und noch ein drittes Mal, unzählige Arbeitsreisen in Europa – ich war schon oft alleine unterwegs und blicke auf fast jede dieser Reisen mit einem Lächeln zurück. Trotzdem hatte ich bei jeder dieser Touren mindestens einmal Panik.
Meistens passiert es gleich anfangs, an einem der ersten Tage. Ich werde für drei Minuten nicht mit Neuem stimuliert, habe vielleicht schon die erste Überdosis Smoothie Bowls hinter mir, noch keine Backpacking Soulmate gefunden oder meine vom europäischen Winter gezeichnete Haut ist von der Sonne überfordert und sehnt sich nach etwas Dunkelheit – im Zweifel dann halt in der Seele. Denn dann dreht es sich los, das Gedankenkarussell: Was mache ich hier eigentlich und vor allem warum setze ich mich als extrovertierte Person freiwillig der für mich größten potenziellen Gefahr von Einsamkeit aus?
Meine Angst kommt aus gutem Grund
Ich bin die, die mit strahlenden Augen von ihren Solo-Abenteuern erzählt und online darüber spricht, wie sehr einem das Reisen alleine gibt. Trotzdem habe ich lange weiterhin insgeheim auch Angst davor – und mache es auch lange trotzdem. Und dann passierte bei meiner letzten Solo-Reise in Costa Rica etwas: nämlich nichts. Keine Träne, kein verweinter Anruf zu Hause, keine Beruhigungsmaßnahmen nötig. Ich habe keine Angst mehr.
Ich bin die, die mit strahlenden Augen von ihren Solo-Abenteuern erzählt und online darüber spricht, wie sehr einem das Reisen alleine gibt. Trotzdem habe ich lange weiterhin insgeheim auch Angst davor.
SONJA KOLLER
Nicht, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass beim Reisen alleine sowieso nichts passieren kann – ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich eher, weil ich mittlerweile über so ziemlich jede Backpacking-Falle gestolpert bin. Handy kaputt, kein Zugang zu Geld, Bank-Karte gehackt, gleich das ganze Geldbörserl mit allen Karten weg, Visum nicht rechtzeitig da.
Und irgendwie hab ich dann doch nicht nur überlebt, sondern meistens auch noch eine richtig gute Zeit gehabt. Und dabei gefühlt auch noch ein Elite-Studium im Bereich Problemlösung und Stressbewältigung absolviert.
Warum Solo Reisen einfach anders ist
Ich verstehe also absolut, wenn man Angst davor hat, alleine zu verreisen. Dann gibt es da aber noch diese Eat Pray Love Momente und der plötzliche Antrieb zu Aktionen, die man schlicht und ergreifend nur als „random“ bezeichnen und einem potenziellen Reisepartner nur schwer erklären könnte. Irgendwie lösen sich bei Solo-Reisen alle Blockaden und ich begebe mich auf Pfade und Abenteuer, die ich sonst nicht ausprobieren würde.
Eine mehrtägige Wanderung, von der ich zuvor noch nie gehört habe? Warum nicht? Einen lokalen Hand-Leser meinen gesamten Körper analysieren lassen? Klar. Ein Ausritt mit Pferden, obwohl ich meine letzte Reitstunde mit 12 Jahren hatte? Sign me up.
Was Solo Trips für mich so Empowering machen, sind aber nicht diese Social Media tauglichen Erfahrungen, sondern das ganz kleine: Ständig ist man beim alleine Reisen gezwungen, Mikro-Entscheidungen zu treffen und in sich hineinzuhören, was man wirklich will. Von dem Zeitpunkt, an dem man den Tag starten will über Transport, Hotelbuchungen, die Entscheidung, ob man links oder rechts abbiegt, oder was gegessen wird. Erst, wenn sie einem von niemandem abgenommen werden, fällt auf, wie viel es auf so Reisen eigentlich zu entscheiden gibt.
Ständig ist man beim alleine Reisen gezwungen, Mikro-Entscheidungen zu treffen und in sich hineinzuhören, was man wirklich will.
SONJA KOLLER
Einer der größten Späße, die ich mir auf Solo-Trips manchmal gönne: JEDES Restaurant an einer Straße abzugehen, mir die Speisekarten ganz in Ruhe und bis ins kleinste Detail anzuschauen und erst nach langwierigem Abwägen zu entscheiden, wo ich mich niederlassen will. Nicht mal einem langjährigen Partner würde ich das zumuten.
Die größten Probleme beim Solo Reisen
Eine Angst kann ich dir (und ganz ehrlich, auch mir) hiermit schon in Hinblick auf die nächste Reise alleine nehmen: Wer nicht will, muss bei „Solo“-Trips meist nicht alleine sein und braucht nicht lange, um Freund*innen zu finden – wenn man die entsprechenden Maßnahmen ergreift. Sprich: In ein Hostel eincheckt.
Dort gelten andere soziale Normen und völlig Fremde auf eine Aktivität, ein Essen, ins Taxi oder in den nächsten Ort mitzunehmen als absolut normal. Der Beginn der Freundschaft ist dabei oft nicht unbedingt nur der soziale Gedanke. Denn: Wer gemeinsam reist, spart oft Geld.
Für mich hat der größte Minuspunkt am Alleinreisen mittlerweile nichts mehr mit der Furcht vor dem Anschlussfinden zu tun, sondern mit den Kosten von ebenjenem. Vielerorts muss es manchmal einfach ein Taxi oder Privattransport sein, für den sich die Kosten zu zweit nun mal halbieren. Auch sind Ausflüge oft so konzipiert, dass man sich die Kosten dafür als Paar oder in der Gruppe teilt.
Für mich hat der größte Minuspunkt am Alleinreisen mittlerweile nichts mehr mit der Furcht vor dem Anschluss finden zu tun, sondern mit den Kosten von ebenjenem.
SONJA KOLLER
Wie so viele Therapieformen ist also auch beim Solo Reisen ein gewisses Budget Voraussetzung. Dafür ist es aber die vielleicht spaßigste Therapie – und die vielleicht einzige, bei der man auch noch ein bisschen Bräune mitnehmen kann.