Auf Spurensuche: Wiens verschwundene Orte
Die Rotunde im Prater gibt es schon lange nicht mehr. Ein Feuer verschlang sie restlos, genauso wie das Ringtheater. Welche verschwundenen Orte dennoch bis heute im Gedächtnis blieben und warum sie weichen mussten, verraten wir euch.
Wien steckt voller Geheimnisse. Dazu zählen auch die vielen Orte und Gebäude, die einst das Stadtbild bestimmten und heute nicht mehr oder nur mehr in veränderter Gestalt zu sehen sind. Wir verraten euch, wieso manche Bauten verschwunden sind und was ihr davon noch immer entdecken könnt.
Alte Stadtmauer
Jahrhundertlang war die heutige Innere Stadt von einer robusten Mauer mit massiven Bastionen umgeben. Davor lag die fast 500 Meter breite Freifläche namens Glacis. Mitte des 19. Jahrhunderts war diese Mauer jedoch obsolet geworden – sie war der modernen Militärtechnik nicht mehr gewachsen und stand zudem dem rasanten Wachstum der Stadt im Weg. Also beschloss Kaiser Franz Joseph I., das Bollwerk zu schleifen und auf dem frei gewordenen Terrain die mehr als fünf Kilometer lange Ringstraße anzulegen. Endlich hatte Wien seinen Prachtboulevard für die High Society! Von der einstigen Stadtmauer, die während der Türkenbelagerung 1683 noch vollends ihren Zweck erfüllte, ist leider nicht mehr viel erhalten. Gegenüber der Uni könnt ihr jedoch noch auf der wunderbaren Mölker-Bastei spazieren gehen und auch beim Palais Coburg lassen sich noch Reste der alten Mauer finden.
Antikes am Michaelerplatz
Jeden Tag umkurven hunderte Radfahrer*innen und Fiaker die unscheinbaren steinernen Überreste in der Mitte des Michaelerplatzes. Sie wurden Anfang der 90er-Jahre bei umfangreichen archäologischen Grabungen freigelegt. Der Fund war spektakulär: Man war auf die Fundamente und Mauern mehrerer Häuser aus der römischen Antike gestoßen. Dort, wo heute der Michaelerplatz liegt, befand sich einst die Lagervorstadt Canabae des römischen Legionslagers Vindobona. Hier wohnten die Angehörigen der Soldaten und wegen der vielen Geschäfte, Gaststätten und Bordelle war dies auch der Ort, an dem man bevorzugt seine Freizeit verbrachte. Ausgestattet waren die Häuser durchaus luxuriös: Es gab Fußbodenheizungen und die Wände waren mit prächtigen Fresken bemalt.
Ringtheater
Auf der Höhe des Schottenrings Nummer 7 befand sich einst das im Stil des Historismus erbaute Ringtheater. Der Bau war 1874 fertiggestellt worden und bot seither 1.700 Personen Platz, die sich an den zahlreichen Ballett- und Theateraufführungen erfreuen konnten. Am 8. Dezember 1881 kam es dann zur Katastrophe: Beim Anzünden der Beleuchtungen fing die Bühne Feuer und bald stand auch der Zuschauerraum in Flammen. Wegen der starken Rauchentwicklung gerieten die Zuschauer*innen im fast voll besetzten Haus in Panik und versuchten zu flüchten. Zum Verhängnis wurde vielen schließlich ein schwerer sicherheitstechnischer Mangel des Gebäudes, denn die Türen des Theaters ließen sich nur nach innen öffnen. Der Ringtheaterbrand kostete fast 400 Menschen das Leben.
An der Stelle des Theaters entstand später das sogenannte Sühnhaus, das wiederum 1945 niederbrannte. Seit Anfang der 80er-Jahre steht hier der Neubau der Polizeidirektion. Reste des Ringtheaters lassen sich heute nur mehr vereinzelt finden: Zwei Säulen wurden beim Bau der Herz-Jesu-Kirche im 22. Bezirk wiederverwendet, die vier Attikafiguren sind im Pötzleinsdorfer Schlosspark zu entdecken.
Venedig im Prater
1894 hatte der Theaterdirektor Gabor Steiner eine geniale Idee: Er beschloss, Venedig, das schon damals als Sehnsuchtsort der Österreicher*innen galt, einfach nach Wien zu holen. Gesagt, getan: Im Jahr darauf eröffnete Gabor im Prater einen Vergnügungspark, der die Lagunenstadt im Kleinformat nachbildete. Allerlei Gebäude im venezianischen Stil wurden errichtet und sogar die klassische Gondelfahrt durch künstlich angelegte Kanäle war möglich. Ergänzt wurde diese Dolce-Vita-Welt durch zahlreiche Bühnen, auf denen Konzerte, Ballette und Kabaretts aufgeführt und sogar Ringkämpfe abgehalten wurden. Insgesamt waren mehr als 2.000 Mitarbeiter auf dem rund 50.000 Quadratmeter großen Areal beschäftigt.
1912 geriet Steiners Unternehmen in finanzielle Schieflage, weshalb er die Direktion zurücklegen musste und 1945 wurde Klein-Venedig schließlich ein Raub der Flammen. Eine weitere Schöpfung Gabors, das in unmittelbarer Nähe des Geländes erbaute Riesenrad, hat das Feuer von damals jedoch überstanden und ist noch heute eines der Wahrzeichen der Stadt.
Flugfeld Aspern
Einst befand sich dort, wo in den vergangenen Jahren die Seestadt Aspern emporgewachsen ist, Wiens bedeutendster Flughafen. Erste Flugversuche hatte es auf der Simmeringer Haide gegeben, 1909 den ersten Flugplatz in Wiener Neustadt und 1912 folgte schließlich das Flugfeld Aspern. Die Eröffnung war feierlich: Eine ganze Woche lang fanden spektakuläre Veranstaltungen an, Hunderttausende Besucher*innen strömten herbei.
In Aspern wurden allerlei Flug-Weltrekorde aufgestellt und eine Zeitlang sah es so aus, als könnte sich Österreich zu einer der führenden Luftfahrtnationen entwickeln. Regelmäßig landeten hier Zeppeline und 1918 wurde Aspern sogar zum Startpunkt der ersten internationalen Flugpostlinie der Welt, die bis nach Kiew führte. Da der Flughafen im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe genutzt wurde, war er ein wichtiges militärisches Angriffsziel und wurde 1945 fast vollständig zerstört. Mit dem Ausbau von Wien-Schwechat Mitte der 50er-Jahre war das Schicksal des historischen Flugfeldes endgültig besiegelt. 1992 erwarb die Gemeinde Wien das Gelände und gab ihm bekanntlich einen völlig neuen Zweck.
Praterrotunde
Die Rotunde war das architektonische Glanzstück der Weltausstellung 1873 im Wiener Prater. Folgerichtig fand im gut 8.000 Quadratmeter großen Innenraum dieses mächtigen Baus auch die Eröffnungsfeier der Expo statt. Verantwortlich für die mit Holz und Gips verkleidete Stahlkonstruktion zeigte sich der Architekt Carl von Hasenauer, der die Anlage mit einer über 80 Meter hohen Kuppel bekrönte.
Die Expo selbst floppte, Unwetter machten aus dem Prater ein Sumpfgelände, die Cholera wütete und die Börse crashte. Letztlich besuchte nur ein Drittel der erwarteten Gäste das Weltausstellungsgelände. Die Rotunde blieb aber bis 1937 eines der Wahrzeichen Wiens. Bedauerlicher Weise brach am 17. September dieses Jahres jedoch ein gewaltiges Feuer aus, das die Kuppel zum Einsturz brachte und die gesamte Anlage restlos verzehrte.
Altes Kaufhaus Gerngroß
1879 eröffnete Alfred Gerngroß ein Stoffgeschäft in der Mariahilferstraße, das sich bald zum größten Warenhaus von Wien und in weiterer Folge zum größten Kaufhaus der ganzen Habsburgermonarchie entwickeln sollte. Genau 100 Jahre später, 1979, bricht in diesem Konsumtempel mit der pompösen, überglasten Einkaufshalle ein Feuer aus. Rund 500 Feuerwehrmänner rücken aus und unternehmen alles, um den Großbrand zu löschen und gefährdete Bewohner*innen angrenzender Häuser zu evakuieren. Erst nach 20 Einsatzstunden kann Entwarnung gegeben werden; der finanzielle und kulturelle Schaden ist enorm.
Umso energischer wird der Wiederaufbau in Angriff genommen. Sogar die rund 800 Gerngroß-Mitarbeiter*innen packen mit an. Die alte Baustruktur kann zwar nicht mehr rekonstruiert werden, doch dauert es keine 13 Monate, bis das neu gestaltete Kaufhaus wieder seine Pforten öffnen kann.
Noch mehr geheime Orte gefällig? Wir zeigen euch ein paar Wiener Geheimnisse, die ihr unbedingt erkunden solltet. Außerdem waren wir mit einem Urban Explorer auf Tour durch den Wiener Untergrund.
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