Ausgestiegen: 7 Menschen erzählen von ihrem nachhaltigen Leben
Stress, Konsum und Wegwerfprodukte – und das Karussell des Alltags dreht sich immer schneller. In Vorarlberg haben wir sieben Menschen getroffen, die auf die eine oder andere Weise ausgestiegen sind, um bewusster und nachhaltiger zu leben.
Unverpacktladen, Stadtgarten, dumpstern: Es gibt viele Wege, in Vorarlberg nachhaltig zu leben. Sieben Menschen erzählen aus ihrem Leben und davon, wie sie es mit viel Gemüse aus dem selbst angebauten Garten und mit wenig Plastik gestalten.
Von der Garage zum Unverpacktladen
„Im Juli haben mein Mann und ich den Selbstversuch gestartet, 130 Tage auf Plastik zu verzichten. 130 Tage darum, weil es bis zu unserem Einzug ins Haus 130 Tage waren. Jetzt sind es schon sechs Jahre”, erzählt Corinna Amann, die in Satteins in Vorarlberg den „Coris Unverpacktladen“ betreibt. Das kleine Geschäft liegt nicht unweit der Hauptstraße. Es ist orangefarben angestrichen und fällt einem beim Vorbeigehen sofort auf. Im Eingangsbereich stehen die Gemüse- und Obstsorten in schönen Körben aufbereitet, beim Hineingehen staunt man über die vielen Getreidesorten. Sogar Waschmittel, Duschgel und Shampoo gibt es hier unverpackt zum Abfüllen.
Bevor die junge Mutter ihren Unverpacktladen in Satteins in Vorarlberg 2017 eröffnete, versuchten sie und ihr Mann zuerst im Selbstversuch, wie es ist, plastikfrei zu leben. “Wir haben gemerkt, dass es super funktioniert. Ich habe meinen Mann mit ins Boot geholt und gesagt, ich schreibe darüber. Gemeinsam haben wir einen Blog erstellt.” Nachdem der Blog immer bekannter geworden war, sprachen Corinna Menschen darauf an, ob sie denn nicht Vorträge über das Thema “Plastikfreies Leben” halten möchte. Nachdem diese sehr gut ankamen, beschloss sie, den Unverpacktladen zu eröffnen.
“Ich habe mir gedacht, ich könnte doch den Menschen die Möglichkeit schaffen, unverpackt zu leben und einkaufen zu gehen. So haben mein Mann und ich uns dazu entschieden, aus unserer Garage einen Unverpacktladen zu machen.” Gemüse und Obst bezieht Corinna fast das ganze Jahr über aus den umliegenden Regionen in Vorarlberg. Nur Getreide und etwa Reis kommen von weiter her. “Man merkt, es hat sich schon sehr viel getan. ZeroWaste und plastikfrei ist in aller Munde. Wenn jemand plastikfrei leben will, ist das problemlos möglich. Mein Tipp für ein plastikfreies Leben ist, auch mit wenig kann man viel erreichen. Man muss Plastik nicht ganz weglassen, aber man kann es in kleinen Schritten umsetzen.“
Lebensmittel retten und bewusster Konsum
Zwiebeln, Lauch, Karotten, Spargel: Das alles konnte Kristina bei ihrem ersten Mal dumpstern ergattern. “Nach meiner Maturareise 2016 auf Korfu in Griechenland, wo der Müll überall auf den Straßen lag, wurde mir bewusst, wie viele Lebensmittel verschwendet werden und wie wichtig eine Müllabfuhr ist. Deshalb entschloss ich mich dazu, etwas zu tun”, erzählt Kristina. In ihrer Bachelorarbeit, die sie an der Universität in St.Gallen in der Schweiz während ihres Studiums in International Affairs schrieb, setzte sie sich intensiv mit dem Thema auseinander. “Entlang der ganzen Wertschöpfungskette werden Lebensmittel verschwendet: von der Produktion bis zum Endverbraucher. Grund dafür ist der Überfluss.” Im Verein Oismak und durch Vorträge an ihrer Universität setzt sie sich dafür ein, dass Studierende auf das Thema Nachhaltigkeit aufmerksam werden. Nicht nur bei Lebensmitteln achtet die junge Studentin und Bloggerin darauf, wenig zu verschwenden. Auch mit dem Konsum von Kleidung geht sie bewusst um. Sie tauscht Kleidung mit Freundinnen oder findet schöne und gebrauchte Dinge online. Für die Zukunft wünscht Kristina sich mehr Verantwortungsbewusstsein und ein einfacheres und abfallfreieres Leben.
Ein Garten in der Stadt
Marsela, Sabrije, Stefan und Daniel – die Mitglieder des Vereins Stadtgarten Feldkirch gärtnern im urbanen Raum und schaffen sich ein gemeinsames Paradies.
„Der Gemeinschaftsgarten ist für mich und meine Kinder ein Stück Heimat in Vorarlberg“, erzählt Sabrije. Sie stammt ursprünglich aus dem Kosovo und ist alleinerziehend. „Das Gemüse schmeckt selbst angebaut viel besser.“ In ihrem Herkunftsland hatte sie mit ihrer Mutter einen Hof, an dem sie selbst Gemüse und Obst anbauten, Hühner und Kühe besaßen. Sie konnten sich das ganze Jahr über selbst versorgen. Das Wissen und die Erfahrung bringt Sabrije auch in den Gemeinschaftsgarten in Tosters, unweit von Feldkirch, mit ein. Sie züchtet Setzlinge, kümmert sich um die Pflanzen und hat sich dafür eingesetzt, dass der Garten auch Hühner bekommt. „Letztes Jahr hatten wir sogar eine 13 Kilogramm schwere Melone“, sagt Sabrije.
Permakultur – also mehrere Pflanzen an einer Ackerfläche anzupflanzen, und nicht wie sonst üblich Monokulturen anzubauen – ist für Stefan Strammer, der den Verein Stadtgarten Feldkirch 2013 gründete, besonders wichtig. „Ein Prinzip von Permakultur ist beobachten“, sagt Stefan. Pflanzen beim Wachstum beobachten, sie resilienter machen, ihnen beim Wachsen helfen. „Man kann Pflanzen auch beibringen, mit wenig Wasser auszukommen.“ In der Stadt Feldkirch hat sich Stefan auch für den Offenen Kühlschrank “Ok-Greta” eingesetzt. Von Montag bis Freitag kann man hier von 7.30 Uhr bis 18 Uhr den Kühlschrank mit frischen Lebensmitteln füllen und sich etwas dafür mitnehmen.
Marsela und Daniel leben in einer Stadtwohnung in Feldkirch. Der Garten am Reichenfeld ist für die beiden wie ein ausgelagerter Garten. „Ich war seit Mai nicht mehr in einem Supermarkt, um Gemüse zu kaufen“, erzählt Marsela, die ursprünglich aus Bosnien kommt. Nach dem Krieg ist sie nach Vorarlberg gezogen. „Als ich das erste Mal hier ankam und die Menschen sah, war ich erstaunt, dass sie gar nicht so glücklich waren, wie ich sie mir vorstellte. Überfluss macht nicht glücklich. Glück muss von einem selbst kommen“, sagt die Kindergartenassistentin und Sozialarbeiterin. „Seit diesem Jahr haben wir auch ein Mulchbeet, dieses speichert die Wärme und ist besonders gut für Pflanzen“, erzählt Daniel, der in Deutschland aufwuchs und für die Liebe nach Feldkirch zog. „Unser Traum ist es, irgendwann ein Earth Ship zu haben. Das ist ein autarkes Gebäude, das aus natürlichen oder recycelten Baustoffen besteht und sich selbst beheizt.“
WaXunion – Gemüse wachsen lassen
In Tosters bei Feldkirch befindet sich ein weiterer Verein und Gemeinschaftsgarten: waXunion. Die Gründerin ist Marion Wachter. Mit viel Liebe und Freude am Gärtnern genießt sie die Zeit in der Natur und die Ruhe in ihrem vielfältigen und bunten Garten.
Gemeinsam mit Menschen aus ihrem Umfeld hat Marion 2014 aus einer alten Weidefläche einen wunderschönen Garten erschaffen. „Was ist denn das für ein Kürbis?“, fragt ein Mann, der gerade am Gemüsefeld vorbeiradelt und staunt. „Das ist ein Atlantic Giant Kürbis“, antwortet Marion. „Hier in unserem Garten haben wir auch viele alte Sorten, von den Tomatensorten sind alle unterschiedlich“, erzählt sie. Hier wachsen Chilischoten und Paprika neben Wirsing, Zucchini gedeihen prächtig, die Kräuterspirale beherbergt Pfefferminze, Schokoladenminze und Mojitominze. Sogar ein selbstgebauter Lehmofen steht im Garten. Die selbstständige Beraterin hat nach einer Lebenskrise 2010 langsam wieder zu sich gefunden. In Therapien lernte sie, auf ihre Bedürfnisse zu achten und darauf, was ihr guttut. Zwei Mal ging sie bereits den Jakobsweg. „Da hatte ich viel Zeit, in mich zu gehen und mich mit meinen Mustern auseinanderzusetzen“, erzählt Marion. Ab und zu verlief sie sich, zum Beispiel einmal in einem Eichenwald. „Wenn man inmitten von Eichen steht und alle gleich aussehen, wird es einem schon mulmig.“ Ein anderes Mal übersah sie ein Schild und gelangte zu einer Baugrube. Trotzdem bezwang sie den Jakobsweg zweimal und legte einmal 850 Kilometer und einmal 1.500 Kilometer zurück. Ihr Garten bedeutet für sie Lebensfreude, Krafttanken und Erdung. Und vielleicht gehört ja auch das Verlaufen im Leben dazu.
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