Bad Gastein zwischen Alt und Neu: Stillstehen bis was weitergeht
Früher prunkvoller Kurort der Oberschicht, heute Ruinenstadt mit Skitourismus – und so vieles dazwischen: Wir haben uns in Bad Gastein umgesehen und sind auf eine florierende urbane Szene und viele spannende Menschen gestoßen.
Hinten im Gasteinertal wälzen sich die Hotelpaläste die Hänge bergauf, blicken durch trübe Fenster hinab auf den Wasserfall und tauchen die kleine Bergstadt in ihren eigenen Schatten. Früher fegten Sisi, Franzl und Konsorten über die edlen Parkette Bad Gasteins, heute klopft nur mehr der Wind an die mit Brettern vernagelten Türen. Und über losen Dachziegeln lassen sich die Touristinnen und Touristen mit der nigelnagelneuen Bergbahn auf den Stubnerkogel hinauf hieven. Es ist ein schräges Bild, das Bad Gastein in die Landschaft malt, und eines, das man offensichtlich nicht beschreiben kann ohne ein bisschen sentimentale Nostalgie.
Geschichte des Stillstands
Zuerst kamen die Menschen wegen des Goldabbaus, dann wegen des heilsamen radonhaltigen Thermalwassers. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war Bad Gastein der Kurort der Oberschicht. Sogar Kaiser Franz Joseph und seine Frau Sisi urlaubten hier gerne. Den Habsburger-Mythos schlachtet so manche touristentaugliche Location zwischen den verfallenen Belle-Epoque-Hotels bis heute aus. Nach den beiden Weltkriegen versuchte man den Ort zwar wiederzubeleben, doch ein großes Comeback als Kurort blieb aus. Viele Hotels stehen seit Jahrzehnten leer – die riesigen Prunkpaläste, die auf Kurgäste im Sommer ausgelegt waren, für den Wintertourismus zu beheizen, käme wohl einem Lagerfeuer aus Banknoten gleich. Einige dieser Gebäude kaufte der Wiener Unternehmer Franz Duval ab Ende der 90er-Jahre, um sie zu renovieren. Ein Versprechen, das er nie einlöste. Auch sein Sohn nicht, der das Haus Austria, das Kongresshaus, das Hotel Straubinger, das Badeschloss und das Postamt 2013 erbte. Vier Jahre später konnte sich das Land Salzburg schließlich doch mit ihm einigen, sanierte einige Gebäude und konnte neue Investoren gewinnen.
Lange hat der Ort also geschlummert. Jetzt trifft er mit seinen monumentalen Ruinen endlich den Nerv der Zeit. Er musste nur lange genug abwarten, und endlich richtet sich der Blick wieder weg von Hochglanz und Modernisierung und zurück in Richtung Vergangenheit – Vintage, um den Zeitgeist mit einem Wort auf den Punkt zu bringen. Wenn der Blick nach vorne ins Ungewisse führt, richtet man ihn eben lieber zurück, sagt man. Vielleicht liegt das verstärkte Liebäugeln mit dem Rauen, dem Unfertigen, dem Alten aber auch schlichtweg daran, dass Hässlichkeit und Imperfektion in einer nach dem Perfekten und Glattpolierten strebenden Welt zum Luxus geworden sind. Nicht umsonst sind wir gerne bereit, in einem Vintage-Shop einiges für ein ästhetisch fragwürdiges getragenes Outfit hinzublättern, wenn es dafür nur ja „eine eigene Geschichte besitzt“.
Zeitreise ins ewige Gestern
Und Geschichten, davon hat Bad Gastein jede Menge zu erzählen. Ein paar davon erzählen die Mauern der Villa Excelsior. Was von außen eher aussieht wie ein unscheinbarer Wohnblock aus den 50ern, ist im Inneren ein Portal in eine andere Zeit. Eine Zeit, von der viele hier sagen, dass sie besser war als die heutige. Wann das genau gewesen sein soll, weiß man nicht mehr. Zu lang ist es her. „Jetzt komme ich bereits seit 1926 nach Bad Gastein. Vieles hat sich verändert. Aber eines ist immer noch gleich geblieben: Seit 1926 sagen die Leute hier: Früher war alles besser“, soll ein Stammgast vor ein paar Jahren einmal gesagt haben.
Solche Anekdoten könnte der Hotelbetreiber Christof Erharter wahrscheinlich unzählige erzählen über seine, wie er sie nennt, ausgefalleneren Gäste. Gerade im Sommer mieten sich in der Villa Excelsior gerne menschliche Unikate ein. Und das hat einen einfachen Grund: Sie selbst ist ein Unikat, ebenso wie ihr Inhaber, der über die Jahre mit dem Haus verschmolzen zu sein scheint. In der versteckten schummrigen Hotelbar der Villa begrüßt er uns mit breitem Grinser und perfekten Gastgeber-Manieren. Nur einmal fällt er kurz aus der Rolle, als er seinen Hund verbal in die Schranken weist. Ob die Nostalgie, die durch die leeren Hotelruinen des Ortes fegt, es war, was ihn vor fast 20 Jahren dazu bewogen hat, aus Kitzbühel nach Bad Gastein zu ziehen und die Villa Excelsior zu übernehmen? „Wie man sieht“, grinst er beharrlich. Mehr Worte braucht es nicht, nur eine kurze Geste in Richtung seines in den Hemdkragen gesteckten Seidenschals. Alles klar.
Hotel mit eigener Kirche
Genau wie er selbst wirkt auch sein Hotel, als wäre es aus der Zeit gepurzelt, als hätte man es aus den 1920ern abgetragen und ungeschaut im 21. Jahrhundert abgesetzt. Bis auf einen Raum: die Kapelle! Den vollholzvertäfelten hauseigenen Kirchenraum hat das Hotel nämlich der Tatsache zu verdanken, dass es in den 50er-Jahren zwischendurch mal ein Priesterheim war. Heute finden in diesem skurrilen Ambiente im Sommer ab und zu Yoga-Kurse statt. Im Zuge der Modernisierung in den 50ern landeten die Originalmöbel, die das Haus seit seiner Eröffnung 1895 zierten, erst mal auf dem Dachboden. Als Christof das Hotel 2003 übernahm, restaurierte er sie und brachte sie wieder zurück an ihren alten Platz. Royale rote Teppichböden, gediegene Schachtische, verwinkelte Aufenthaltsräume in jedem der drei Stockwerke des Gebäudes wecken hartnäckige Assoziationen mit so ziemlich allen Wes-Anderson-Streifen zusammen.
Hier ist Geschichte also konserviert. Und das nicht nur, was die Inneneinrichtung angeht: Christof führt seine Kundenkarteien etwa noch mit der Hand. Dass früher alles besser war, sagt er zwar nicht laut, aber das muss er zwischen altem Telefonraum und antikem Concierge-Tisch auch gar nicht. Natürlich kann man diese Einstellung kritisieren. Immerhin kann einem schon mal der Kopf starr werden, wenn man zu lange zurückschaut. Aber Konservieren muss nicht immer auch stillstehen oder gar rückwärtsgehen bedeuten. Das beweist vor allem eine neue kreative Szene, die sich immer stärker in Bad Gastein ansiedelt und sich zu späterer Stunde bevorzugt in Christofs versteckter Speakeasy-Hotelbar versammelt.
Junge Kreative
„Leerstand oder Untätigkeit ist der beste Denkmalschutz“, sagt etwa Jason Houzer vom Hotel Das Regina, das sein Partner Olaf Krohne und er in Bad Gastein betreiben. Hätte man vor ein paar Jahren noch tatsächlich in die Prunkbauten investiert, hätte man sie vielleicht dem Erdboden gleichgemacht und an ihrer statt blank polierte Hotelkomplexe aufgetürmt. Doch mittlerweile sind sie fest in das Antlitz des Ortes eingeschrieben, und das ist gut so. „Da, wo es kaputt ist, gehen immer zuerst die Kreativen hin“, sagt Jason. „Weil es die Fantasie beflügelt und Raum für Neugestaltung lässt. Wir glauben, dass dieser Leerstand ganz wichtig war für Bad Gastein, damit sich der Ort neu erfinden kann.“
Während unseres Gesprächs schwärmt Jason immer wieder von dem kreativen Potenzial, das in diesem Ort wurzelt. Er spricht davon, gemeinsam eine Stadt aufzubauen mit spannender Gastronomie, Kunsteinrichtungen, Galerien und einigen wenigen ausgewählten Shops – eine Art utopische Künstlerkolonie. Ein erster Schritt in diese Richtung ist etwa das Kunstfestival sommer.frische.kunst, das Olaf und Jason gemeinsam mit anderen hier organisieren. Große Szenenamen gastieren während der Veranstaltung vier Wochen lang im Regina, arbeiten an ihren Werken im Café Kraftwerk, stellen aus und feiern Partys. „Damit bleibt man der Kultur Bad Gasteins nur treu“, sagt Jason. „Thomas Mann war hier, Sigmund Freud, Albert Einstein. Weil der Ort einfach inspirierend ist.“
Unabhängig voneinander kamen Olaf und Jason aus Deutschland jahrzehntelang immer wieder zum Skifahren nach Bad Gastein, bis Olaf sich schließlich dazu entschied, hierzubleiben. In Hamburg betreibt er zuerst eine erfolgreiche Szene-Bar, mit der er genug Profit macht, um sich seinen Traum von einem eigenen Hotel in der Alpenstadt zu erfüllen. 2003 packt er seine Koffer, hilft zuerst beim Aufbau des Hotel Miramonte mit und eröffnet schließlich das Hotel Regina mit einer großen Silvesterparty. Es soll verstärkt urbanes Publikum, junge Kreative anlocken. Und der Plan geht auf. Damit ist Olaf einer der ersten, der den verschlafenen Ort in den Bergen, der seine Blütezeit längst hinter sich zu haben schien, zu neuem Drive verhilft. 2013 kommt dann Jason mit ins Boot, er war ursprünglich Kreativberater in der Modebranche und passt mit seinem schwarz karierten Hemd und den lässig zurückgekämmten Haaren ins Ambiente des Regina wie die tiefgraue Wand zu den urigen dunklen Vollholzbalken im Aufenthaltsraum. Die Atmosphäre hier ist gemütlich und offen, die Einrichtung eine Mischung aus restaurierten Vintage-Möbeln und moderneren Designer-Elementen.
Urban meets idyllisch
Obwohl die beiden der Skiurlaub nach Bad Gastein gebracht hat, sind sie für den Sommertourismus geblieben. Darauf liegt für sie klar der Fokus: nicht auf boom-boom-boomendem Après-Ski-Tourismus und Oh-Oh-Overtourism, sondern auf einer Mischung aus Entschleunigung mitten in der Naturidylle und urbanem Flair. „Du musst nicht die eierlegende Wollmilchsau sein“, sagt Jason über die Tourismusstrategie. „Du brauchst ein ganz klares Profil.“ Was in die Breite geht, kennt man längst. Was sich in die Nische stellt, ist gefragt. Natürlich gibt es nach wie vor auch verstaubte Traditionen und langsam mahlende Mühlen, mit denen man erst einmal brechen oder sie zumindest überdenken müsste, findet Jason. „Die Schubertkonzerte, die immer im Sommer stattfinden, kosten 240.000 Euro und die Musiker spielen zweimal am Tag kostenlos“, sagt er. „Und wir müssen für unser Kunstfestival 50.000 Euro erkämpfen und ganz viel Eigenleistung einbringen.“ Dass es dennoch nach wie vor auch Programm für älteres Publikum geben sollte, steht für ihn außer Frage. Aber man könnte etwa über ein geringes Eintrittsgeld nachdenken, nach dem Motto: Was nichts kostet, ist nichts wert.
Diese Sicht der Dinge ist natürlich streitbar und sickert schnell in Richtung elitäre Abgrenzung. Auch das wäre in Bad Gastein nichts Neues: Immerhin erzählt Christof von der Villa Excelsior, dass Normalsterbliche bis in die 70er-Jahre hinein nicht auf der Kaiserpromenade flanieren durften. Sie wurde angeblich sogar von Promenadenpolizisten bewacht und war den Urlaubsgästen und der besseren Gesellschaft vorbehalten. Aber um Elitarismus geht es der jungen Szene hier nicht, oder zumindest nicht um ihrer selbst willen. Im Vordergrund soll vielmehr die Qualität stehen: Hochwertige Angebote sind laut Jason der Schlüssel, um nicht zum Trampelpfad des Massentourismus zu werden.
Ort der Widersprüche
Das wäre gerade für einen beschaulichen Ort wie Bad Gastein fatal. Stattdessen scheint es sich ideal für eine neue Art von Urlaubenden zu eignen: jene nämlich, die einerseits nach der absoluten Idylle streben, um „mal richtig runterzukommen“, „sich eine Auszeit vom Alltagsstress zu nehmen“, andererseits aber nicht auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens verzichten wollen. „Das ist, was die Menschen heute wollen: absolute Ruhe und gleichzeitig Wlan“, sagt Jason. Also nichts mit handgeschriebenen Karteikärtchen wie in der Villa Excelsior. Der Blick zurück reicht hier offenbar nur so weit, wie es die Router-Reichweite zulässt. Warum ausgerechnet Bad Gastein so eifrig die Gegensätzlichkeit bespielt? Weil es selbst voller Gegensätze ist: Geisterstadt mit verfallenen Hotels einerseits, funktionierender Tourismus andererseits, fast schon surreal pompöser Kurort mit Prunkbauten hier, ein rauschender Wasserfall und üppige Natur gleich da.
Zweitgrößte schwedische Stadt
Tatsächlich hat man an einigen Stellen des Ortes das Gefühl, dass sich eine neue urbane Szene den Habsburger-Dunst, der hier durch die Gasse streift, zum Aufwind gemacht hat. Hier eine gemütliche Bar im Vintage-Stil mit warmen Lichterketten, dort ein mexikanisches Lokal mit Neon-Leuchtkaktus in der Auslage, und gegenüber ein schnuckeliger Third-Wave-Coffee-Shop mit pinkem Lichtschriftzug auf der rohen Backsteinwand und internationalen Bagel-Variationen zum Niederknien. Was diese Läden abseits des ähnlichen Hipster-Stils, der mitten in den Alpen zwischen urigen Gasthäusern und Belle-Epoque-Staub doch etwas skurril daherkommt, gemeinsam haben? Die Geschäftssprache hier ist Englisch oder wahlweise Schwedisch. Auch das hat einen einfachen Grund: Schweden!
Seit der schwedische Investor Lars-Olof Magnusson in den 80ern eine Pension im Ort renovierte, besitzt seine Reisebürokette STS mittlerweile sechs Hotels hier und Urlaubende aus dem skandinavischen Raum sind die treueste Kundschaft. Bad Gastein sei die zweitgrößte Stadt Schwedens, scherzt man gerne. Doch warum ausgerechnet aus den ohnehin schneereichen skandinavischen Gefilden hierher kommen? Paula und Tilda vom Coffeeshop The Blonde Beans erklären, dass der Skisport in ihrer Heimat in Schweden und Lettland weniger Allround-Erlebnis ist als in Österreich mit seinen Skihütten und Après-Ski-Partys. Das zog sie mit ihren Snowboards immer wieder her. Bei der bloßen Stippvisite einmal im Jahr blieb es auch für sie nicht. Man habe sich eben einfach in Bad Gastein verliebt. So wie Jason. So wie Olaf. So wie viele andere, die in den vergangenen Jahren hierher gezogen sind. Liebhaberei statt aalglatter Berechnung, eine gehörige Portion Verträumtheit statt desillusionierendem Realismus – hier zeigt sich die Kreativszene von ihrer so oft zum hehren Ziel, das über den materiellen Dingen schwebt, idealisierten Seite. Doch in Bad Gastein scheint das zu funktionieren.
Tradition: Melange
Das würde man gerade einem traditionsreichen österreichischen Alpenort zunächst vielleicht nicht unbedingt zutrauen. Immerhin heißt es doch so oft: Je enger das Tal, desto enger die Stirn. In Bad Gastein scheint das aber kaum Problem zu sein. Laut Jason liegt das daran, dass Bad Gastein kein jahrhundertelang von selbst gewachsener Ort ist, sondern ein von vornherein konstruierter, für die K.u.k.-Dynastie geplanter war. „Der Ort war schon immer international und wurde von Menschen von außerhalb gestaltet“, sagt er. Alteingesessene Einheimische und eine Mia-san-Mia-Mentalität gebe es deshalb kaum. Offenheit ist hier also anscheinend Tradition. Oder wie Christof von der Villa Excelsior es formuliert: „Dieser Ort mischt Menschen.“
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