Bauer to the People: Wer steckt eigentlich hinter unseren Lebensmitteln?
Vom Feld auf den Teller ist es ein langer Weg. Den gehen Bianca und Willy von Bauer to the People gemeinsam Schritt für Schritt und stellen uns die Menschen vor, die sich für unsere Lebensmittel verantwortlich zeichnen. Diesmal haben wir die Fragen gestellt und sie zum Interview gebeten.
Möglichst kurze Transportwege, nur saisonales Obst und Gemüse, Fleisch direkt vom landwirtschaftlichen Betrieb nebenan – nachhaltige Ernährung könnte so einfach sein. Ist sie aber oft nicht. Die Wertschöfpungskette unserer Lebensmittel ist ziemlich lang und feingliedrig und zwischen Farm und Table gibt es noch viele weitere Player, die wir als Konsument*innen oft gar nicht auf dem Radar haben. Außerdem hat nicht jede*r den Luxus, mal schnell zum nächsten Bauernhof zu fahren und sich dort das Fleisch zu kaufen. Und was bedeutet eigentlich “bio”, was “regional” und finde ich in der Stadt überhaupt Produkte von echten Bauern*Bäuerinnen?
Das Journalist*innen-Duo Bianca Blasl und Wilhelm Geiger gibt mit seiner Plattform “Bauer to the People” umfangreich, nahbar und mit einer ordentlichen Prise Schmäh Aufschluss über all diese und noch viele weitere Fragen. Gemeinsam hangeln sie sich an der Wertschöpfungskette entlang, blicken hinter die Kulissen und holen die Menschen vors Podcast-Mikro. Diesmal haben wir den Spieß umgedreht, die beiden am Karmelitermarkt getroffen und mit unseren Fragen gelöchert.
Bauer to the People und People to the Bauer
1000things: Wie kommt ihr zum Thema Landwirtschaft?
Willy: Ich bin Koch und Sozio-Ökonom und mich interessieren besonders die gesellschaftlichen Zusammenhänge und die Geschichten der Menschen hinter den Lebensmitteln. Während Corona habe ich bei einem Bauern in der Steiermark Hof-Office gemacht. In Gesprächen mit ihm bin ich draufgekommen, wie wenig ich eigentlich über Landwirtschaft und Lebensmittel weiß, vor allem über die Lebenswelten hinten den Lebensmitteln. In der Zeit habe ich sehr viel gelernt, und durch viele Gespräche haben sowohl ich als auch der Bauer ein besseres Verständnis füreinander entwickelt und gegenseitige Vorurteile abgebaut.
Bianca: Ich bin zwar in der Stadt aufgewachsen, bin aber das größte Landkind. Ich liebe Geschichten, ich liebe Essen und ich stehe auf Landwirtschaft. Das habe ich auch studiert. Weil dort die Geschichte unseres Essens anfängt. Dann war ich eine Zeitlang im PR-Bereich tätig und habe mir dann während der Pandemie ein rotes Feuerwehrauto gekauft und bin von Bauernhof zu Bauernhof gefahren, um anderen über Instagram zu vermitteln, wo unser Essen herkommt und wer da dahintersteckt. So haben wir uns schließlich auch getroffen.
Und darum geht es bei Bauer to the People?
Bianca: Wir wollen alle mitnehmen auf die Reise hinter die Kulissen von unserem Essen. Zu den Menschen. Wollen diese Geschichten wieder erzählen. Unser Ziel ist es, ein verbindendes Element zu schaffen zwischen den Blasen, die sich innerhalb unserer Gesellschaft gebildet haben. Wir sind selbst keine moralischen Säulenheiligen und nicht davor gefeilt, vorschnell zu urteilen. Aber genau deshalb suchen wir das Gespräch und lassen uns gerne überraschen. Wir sind alle nur Menschen. Und wer steht nicht auf Essen und Geschichten?
Willy: Angefangen haben wir mit unserem Podcast rund um die Menschen hinter unseren Lebensmitteln. Daraus ist inzwischen eine journalistische Plattform geworden, die sogar strukturell unabhängig ist. Das heißt: Wir reden mit allen Menschen, nehmen auch von allen, die uns unterstützen wollen, Geld. Aber, und das meine ich mit „strukturell“, nie so viel, dass unser Fundament ins Wanken geraten würde, wenn mal ein Unterstützer wegfällt. Es geht darum, dass unsere Partner in dieses innovative Projekt investieren. Im Gegenzug werden sie auf unserer Website genannt und können sich unser Partnerlogo auf die Fahnen heften. Einfluss auf unsere Fragen und Inhalte darf keiner nehmen, das ist absolut tabu! Das Vertrauen unserer Community in die Grundsätze unserer Arbeit ist das absolute Fundament von Bauer to the People. Hier sind wir mega konsequent und damit möchten wir auch ein Vorbild für andere sein.
Das Thema Lebensmittel zieht oft hitzige Debatten nach sich und kennt viele verschiedene Ansätze: Nachhaltigkeit, Regionalität, Bio – wie findet man sich da zurecht?
Bianca: Unsere Lebensmittelproduktion ist weder Schwarz noch Weiß. Nur so als Beispiel: Nur zwei Prozent der Schweine in Österreich werden nach Bio-Standards gehalten, 0,5 Prozent davon im Freiland. Bio heißt also nicht automatisch Freilandhaltung. Die meiste Landwirtschaft ist also konventionell, die meiste Lebensmittelproduktion auch. Das ist weder gut noch böse, die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Es kann den Bio-Bauern geben, der aus ökonomischen Gründen beschlossen hat, sich genau an die EU-Richtlinien zu halten, und es kann die konventionelle Bäuerin geben, die gerade aus idealistischen Gründen keinen Bio-Betrieb hat und sich trotzdem überlegt, wie sie wirtschaften kann, damit es Feldern, Boden und Biodiversität besser geht. Da gibt es so viele Zwischentöne.
Also ist Bio nicht der Weisheit letzter Schluss?
Willy: Die Bio-Bewegung, das waren in den 70ern die Punks, die gegen alle Regeln waren. Wir hatten im Podcast den Bio-Pionier Urs Niggli zu Gast, der meinte: Der größte Erfolg der Bio-Szene sei, dass sie eine Verordnung durchgebracht hat. Das Schlimmste, was der Bio-Szene passiert wäre, sei aber auch die EU-Verordnung. Weil bei 27 Mitgliedsstaaten, die mitbestimmen, ist sie in Sachen Veränderungsgeschwindigkeit und Innovationskraft etwas ins Stocken geraten. Momentan scheint es so, als würden viele wieder nach neuen Ansätzen suchen. Aber ja, das ist halt Dialektik, das ist Entwicklung. Wenn etwas zum Standard wird, zur These, dann gibt es immer wieder eine Gegenbewegung, eine Antithese. Bio hat als Anti-These zum damaligen landwirtschaftlichen Standard begonnen und ist inzwischen selbst zum Standard geworden. Mit allem, was dazugehört. Wachstum, Erfolge, Skandale und so weiter. Jetzt kommen halt wieder neue Punks und das Rad dreht sich weiter. Unsere Aufgabe ist es, die vielen unterschiedlichen Perspektiven dieser und anderer Entwicklungen sachlich und wertungsfrei darzustellen.
Wie geht ihr denn mit Themen wie Massentierhaltung um? Schaut ihr auch auf solchen Höfen vorbei?
Bianca: Sicher! Gerade auf denen.
Willy: Kein Bauer hält Tiere, weil er geil darauf ist, sie zu quälen. Uns geht es da vor allem um den Kontext. Ein Beispiel, das für mich ein Aha-Moment in einem unserer Podcasts war: Vollspaltenböden waren damals, als sie aufgekommen sind, eine riesige Arbeitserleichterung im Vergleich zur Haltung auf Stroh, das wissen heute aber nicht mehr viele. Das hat den Arbeitsalltag vieler Menschen extrem entlastet. Wenn man diesen Hintergrund, neben vielen anderen Aspekten, kennt, kann man viel besser miteinander diskutieren und aufeinander eingehen. Natürlich kann man dann immer noch anderer Meinung sein. Aber das ist dann eine ganz andere Qualität von Uneinigkeit, die viel konstruktiver ist als pauschale Parolen einander fremder Bubbles.
Bianca: Was in der Landwirtschaft arg ist, sind die Margen. Der Umbau der Ställe kostet extrem viel, wird zwar gefördert, aber trotzdem verschuldest du dich quasi für dein restliches Leben und verdienst daran nicht viel. Ein Teil der Urteile, die wir uns bilden, sind sicher auch zutreffend. Aber wenn man die Geschichte der Menschen dahinter kennt, ist es nicht mehr ganz so leicht, zu urteilen.
Willy: Urteilen, pauschalisieren und Finger zeigen, das tut niemandem gut, passiert uns allen aber fast täglich. Und es ist auch völlig nachvollziehbar. Unser Alltag ist extrem komplex und vollgestopft mit Informationen und Reizen. Es ist sogar überlebenswichtig, in vielen Situationen auf Routinen und fertig gefüllte Schubladen zurückgreifen zu können. Hin und wieder können wir diese Schubladen aber ausmisten und updaten. Und hierfür wollen wir Anreize schaffen und Angebote machen. Mit harter Arbeit und einer Prise Humor könnte uns die Übung aber langfristig gelingen.
Aber wer trägt dann die Verantwortung? Bedeutet das nicht, dass es Massentierhaltung und Vollspaltenböden erst gar nicht bräuchte, wenn die Nachfrage nicht so groß wäre?
Bianca: Wir sagen immer: Jede*r von uns ist schuld. Das ist aber etwas Positives, denn das bedeutet: Jede*r von uns kann in seinem*ihrem Rahmen etwas beitragen. Natürlich können wir selbst eine Konsumentscheidung treffen. Aber auch alle Akteur*innen entlang der Wertschöpfungskette tragen Verantwortung – also Bauern*Bäuerinnen, Schlachthöfe, Verarbeitung, Transport, Handel die Gastro und die Politik.
Als Konsumentin kann ich natürlich nur bis zu einem gewissen Grad mitentscheiden. Wenn ich mit dem Wissen, das ich habe, in einen Supermarkt gehe, müsste ich eigentlich gleich wieder umdrehen. Tue ich aber natürlich nicht. Ich habe keine Zeit, jedes Wochenende auf den Bauernmarkt zu gehen, obwohl ich gerne würde.
Willy: Die meisten deiner Lebensmittel kaufst du ja in einem Automatismus, weil du nach der Arbeit oder zwischendurch mal schnell einkaufen gehst. Da sind wir wieder bei den Routinen und Schubladen. Einkaufen auf dem Markt ist hingegen mehr eine Lebensstil-Aktion, fällt in den Bereich Freizeit. Dafür muss man sich Zeit nehmen. Und wie viele Menschen haben Zeit, Geld oder generell Ressourcen dafür?
Sind nachhaltig produzierte Lebensmittel nicht auch um einiges teurer?
Bianca: Das ist ein Mythos, dass es im Supermarkt billiger ist oder Lebensmittel aus der Region teuer sind. Denn das kommt immer darauf an: Am besten, man achtet bei Obst und Gemüse darauf, was in unseren Breiten gerade Saison hat – dann ist es nämlich günstiger, weil es einfach mehr davon gibt. Ich habe eine Gemüsebäuerin aus Simmering gefragt, wie viel die Paprika bei ihr kostet, und sie meinte: Im Winter sind die Paprika teurer, weil die Energiepreise entsprechend hoch sind. Je weiter die Saison fortschreitet, desto günstiger werden sie. Tatsächlich habe ich den Preis dann mit dem Supermarktpreis verglichen und im Supermarkt war die Paprika sogar trotz Aktion teurer. Früher ist man ja auf den Bauernmarkt gegangen, weil es hieß, dass es dort billiger ist, weil die Produkte direkt von den Bauern*Bäuerinnen selbst kommen.
Willy: Wir sollten in diesem Zusammenhang eigentlich mal über das Thema Kostenwahrheit reden. Aber dann sitzen wir morgen noch hier. Das machen wir dann beim nächsten Mal.
Gibt es in Wien überhaupt echte Bauernmärkte? Woran erkennt man sie?
Willy: Man verwendet oft das Wort “Bauernmarkt” als Synonym für “Markt”. Sobald wir ein Standel sehen, haben viele den Begriff “Bauernmarkt” im Kopf, da nehme ich mich nicht aus. Das ist es aber ganz oft eben nicht. Dann sind wir enttäuscht, wenn wir draufkommen, dass es gar keine Bäuerin ist, die uns gerade das Gemüse verkauft hat. Hat aber auch niemand behauptet.
Bianca: In Wien gibt es de facto keine „echten“ Bauernmärkte. Markt bedeutet laut Marktordung in Wien: „Ein Platz, an dem Waren gehandelt werden“ – einfach ausgedrückt. Bevorzugt werden dabei Bäuerinnen und Bauern. Oft finden sich da aber zu wenig, da der Arbeitsaufwand, auf einen Markt zu fahren, oft zu hoch für Landwirt*innen ist und sich nicht rechnet. Theoretisch müssen die Bauern*Bäuerinnen sich mit einem Schild mit dem Hofnamen zu erkennen geben. Und wenn es sich um Händler*innen handelt, dann auch. Weil wir uns diese Frage aber auch schon öfter gestellt haben, machen wir am 13. Juni 2023 unseren Live-Podcast im Karlsplatzgarten und besprechen das mit den jeweiligen Expert*innen.
Woher kommen denn die Bauern*Bäuerinnen auf den Wiener Märkten?
Bianca: Das ist unterschiedlich. Manche kommen aus der Steiermark oder von noch weiter weg, viele sind aus Niederösterreich. Und es gibt auch Wiener Bauern*Bäuerinnen. Das sind aber gar nicht so viele.
Willy: Viele haben uns erzählt, dass der Markt sich für sie nicht auszahlt. Die meisten Märkte funktionieren nur am Samstag richtig gut, und du brauchst auch Personal dafür.
Wiener Bauern*Bäuerinnen, das klingt für manche vielleicht widersprüchlich, oder?
Bianca: 14 Prozent der Fläche von Wien ist Landwirtschaft. Besonders der Wein prägt das Stadtbild – Wien besitzt das größte innerstädtische Weinbaugebiet der Welt und ist überhaupt die einzige Großstadt weltweit, die Weinbau betreibt. Aber auch Obst- und Gemüsebau gibt es in Wien jede Menge, und sogar Schweine wie bei Andreas Maurer in Floridsdorf. Wien ist ja eigentlich eine Stadt voller Dörfer, die aneinander gewachsen sind.
Die Geschichten dieser Menschen gibt’s übrigens bei uns im Podcast zu hören.