Besuch in der Polsterwerkstatt: Ich und mein Holzhocker
Wer seine Einrichtung verändern will, muss nicht gleich alles neu kaufen – Stichwort Upcycling. Wir waren in der offenen Polsterwerkstatt im Werksalon und haben unseren faden Basic-Holzhocker ein bisschen gemütlicher und schicker gemacht.
Ursi bleibt mit dem Auto in einem Innenhof in der METAStadt im 22. Bezirk stehen und packt einen schweren, alten Armsessel aus. Die Lehnen sind aus dunklem Holz, die Sitzfläche durchgesessen, der Stoff sieht ein bisschen aus wie eine Tapete aus den Siebzigerjahren. “Kommt ihr auch zur Polsterwerkstatt?” fragt sie uns, wir nicken und sind fast ein bisschen beschämt. Unser Projekt für den heutigen Workshop ist nämlich ein stinknormaler Hocker aus hellem Sperrholz, der bisher als Blumentisch missbraucht wurde. So ambitioniert wie Ursi sind wir definitiv nicht.
Die offene Polsterwerkstatt, das ist ein Workshop im Werksalon in Wien. Hier lernen Interessierte, wie sie ihre alten Möbel upcyclen können. Upcycling bedeutet eigentlich, ausrangierte Dinge wiederzubeleben und ihnen eine neue Funktion zu geben. Im Gegensatz zum Recycling werden Stoffe hierbei nicht nur wiederverwendet, sondern aufgewertet. In unserem Fall sollen die alten Möbel neu gepolstert und bezogen werden. Im Werksalon werden vor allem Möbel und andere Gegenstände aus Holz repariert, erzählt uns Antoinette Rhomberg. Sie ist gemeinsam mit Martin Papouschek Geschäftsführerin und leitet heute auch den Polster-Workshop. “Beim Polstern repariert man oft etwas, muss das Möbelstück auseinandernehmen, das Holz neu leimen, packt ein komplett neues Innenleben hinein und verwendet einen neuen Stoff. Es ist eigentlich eine Reparatur, man spricht aber von Upcycling. Das kommt daher, dass es für einen selbst danach einen größeren Wert hat”, erklärt sie.
Gemeinschaftswerkstatt und Polsterwoche
Einen größeren Wert soll am Ende des Tages auch unser kleiner Holzhocker haben. Der Werksalon ist dafür die richtige Anlaufstelle: Schon im Hof, zwischen Ziegelmauern und Werkstatt, stehen Möbel aus Paletten, ein selbstgebauter Tischtennistisch und Werkbänke. In der Werkstatt selbst hängen verschiedene Werkzeuge an den hohen Wänden, an den Arbeitsplätzen sägen Tischler*innen Holz und oben im Atelier arbeitet eine Schneiderin gerade an einem Kleid. Der Werksalon beschreibt sich selbst als Co-Making-Space – 14 Fixmieter*innen arbeiten hier, aber auch Hobby-Handwerker*innen können sich einen Arbeitsplatz mieten. Von Donnerstag bis Sonntag finden Workshops statt.
Vor dem Eingang des Werksalons, im Hof, sitzen die Workshop-Teilnehmer*innen der Polsterwerkstatt und warten auf erste Anweisungen. Bevor wir mit der Arbeit loslegen, besprechen wir gemeinsam mit Antoinette die einzelnen Projekte. Ursi hat sich und ihr Fauteuil für die viertägige Polsterwoche angemeldet, für unseren Hocker brauchen wir etwa einen Halbtag.
Der Po weiß, was er will
Während Ursi damit beginnt, im Hof die Nägel und Klammern aus dem Fauteuil zu entfernen und den Sessel in seine Einzelteile zu zerlegen, um den alten Stoff abzuziehen, gehen wir nach oben auf die Galerie. Auf einem der Arbeitsplätze legt uns Antoinette das Werkzeug bereit, das wir für unseren Hocker brauchen. Erstmal schrauben wir die vier Beine ab und wählen einen Schaumstoff aus. Er darf nicht zu fest und nicht zu weich sein, nicht zu dick und nicht zu dünn. Wir drücken die verschiedenen Schaumstoffe mit den Fingern zusammen und setzen uns abwechselnd auf den Hocker. Wir entscheiden uns schließlich für einen mittelfesten Schaumstoff, schneiden ihn mit einer Schaumstoffsäge zu und kleben ihn auf die Sitzfläche des Hockers.
Danach geht es an die Bombierung: Sie sorgt dafür, dass der Polster nicht nur flach ist, sondern auch nach oben gewölbt und bequem. Wir zupfen dafür Filz-Wolle in kleine Stücke und türmen sie so auf den Schaumstoff, dass sie zur Mitte hin höher wird. Meistens könne man beim Sitzen gut fühlen, ob die Bombierung gelungen ist – “unser Po spürt Kanten sehr genau”, sagt Antoinette. Über die Filz-Wolle kommt noch eine Schicht Vlies, um das alles zu festigen.
Polstern ohne Cellulite
“Beim Polstern gibt es drei mühsame Momente”, erklärt uns Antoinette, und sie muss es ja wissen, nachdem sie schon unzählige Möbelstücke gepolstert hat. Die mühsamen Momente, das sind Ecken, Rundungen und cellulitefreies – also faltenfreies – Polstern. Der entscheidende Prozess dabei ist, den Möbelstoff über Schaumstoff und Bombierung zu befestigen. Der Stoff muss dabei groß genug sein, um weit genug über den Rahmen zu reichen. Der Stoff sollte auch widerstandsfähig und abriebfest sein. Hier tut sich das erste Problem auf: Der Stoff, den wir mitgebracht haben, ist nichts davon – das dünne Material würde höchstens einen hübschen Schal abgeben. Also wandern wir rüber ins Atelier und suchen uns einen neuen Stoff aus – scheuerfest und mit Papagei.
Während wir im Atelier stehen, den Stoff aussuchen und anschließend bügeln, fühlen wir uns schon ganz schön crafty. Auch wenn der letzte Werkstatt-Besuch bei uns wohl in der Schulzeit stattgefunden hat, sind die Themen Do it Yourself und Upcycling auf Instagram und Pinterest allgegenwärtig. Der Trend dazu hängt sicherlich auch mit dem Denken hin zu mehr Nachhaltigkeit zusammen. Vor ein paar Jahren war Upcycling für viele aber noch kein Thema, erinnert sich Antoinette. “Wir haben 2013 mit dem Werksalon angefangen. Damals haben uns Freunde gefragt ‘Wer braucht das?’ Jetzt wäre es nicht mehr zu denken, dass bei uns nur neue Möbel entstehen”. In rund der Hälfte der Kurse bringen Menschen Altes mit und verwenden und beleben es wieder.
“In Memoriam Oma”
Dass es sich nicht um einen kurzzeitigen Trend, sondern eine generationenübergreifende Entwicklung handelt, zeigt sich auch an den Teilnehmer*innen: Zu den Möbelreparaturtagen und den offenen Werkstätten kommen vor allem Leute, die viel “mit dem Kopf arbeiten”, sagt Antoinette. “Wir haben kaum Arbeiter*innen, die den ganzen Tag auf der Baustelle stehen und dann in ihrer Freizeit das Bedürfnis haben, unbedingt noch Möbel zu bauen.” Viele seien auf der Suche nach einem neuen Hobby oder würden sich bei eigenen Projekten fragen, ob sie das nicht auch selber machen können. “Es kommen zum Beispiel junge Leute, die zuhause in Vorarlberg eine kaputte Rodel gefunden haben und daraus einen Handtuchhalter bauen.”
Viele Projekte stünden auch unter dem “Motto” In Memoriam Oma, sagt die Werksalon-Chefin. “Vor allem bei Fauteuils: Da ist die Oma draufgesessen, dann ist sie ins Altersheim gekommen oder verstorben. Zehn Jahre später kommt jemand aus der Familie drauf, dass man daraus auch was Neues machen könnte”. Ähnlich ist auch die Geschichte von Ursis Armsessel. Sie hat das Stück von der Cousine ihres Opas geerbt und wollte es schon länger neu beziehen lassen. Das hätte sie zwischen 1.400 und 1.600 Euro gekostet. Der Workshop und der Stoff, den sie zum beziehen braucht, kosten sie in etwa die Hälfte, sagt sie. Gepolstert hat die Anfang-30-Jährige in Starwars-Shirt und Doc Martens zwar noch nie etwas, aber schon viel in Richtung Do-It-Yourself gemacht.
Geduldsspiel für Perfektionist*innen
Die Handwerkserfahrung kommt Ursi sicher auch beim Polstern zugute: Wir stehen nämlich gleich zu dritt um unseren Hocker und versuchen, den Stoff möglichst ohne Falten mit der elektrischen Tacker-Maschine an der Sitzfläche festzumachen. Für Perfektionist*innen ist das eine echte Herausforderung. Während eine Person in einer Hand den Hocker hält und mit der anderen den Stoff zurecht zieht, streicht die andere die Füllung gerade, sodass keine “Cellulite” zu sehen ist. Die dritte Person tackert den Stoff dann schließlich fest. Im Hintergrund werden im Werksalon gerade Bretter gesägt, wir jagen – zack, zack, zack – eine Klammer nach der anderen in den Hocker. Wir setzen unsere Lärmschutzkopfhörer auf.
Zum Abschluss wird noch ein schwarzer Staubschutz an der Unterseite befestigt und die Beine werden wieder angeschraubt. Wir haben es geschafft! Unser Hocker ist fertig – wir sind stolz auf das Ergebnis und fühlen uns mindestens halb so crafty wie Ursi.
Diese Reportage ist im August 2021 entstanden.
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