Nach dem Black Voices Volksbegehren: Anti-Rassismus-Arbeit in Österreich
Im September 2022 hat es das Black Voices Volksbegehren knapp nicht in den Nationalrat geschafft. Was ist seitdem passiert? Wie geht es mit der Anti-Rassismus-Arbeit in Österreich weiter? Wir schaffen einen Überblick und stellen euch 10 antirassistische Initiativen in Österreich vor.
Die #BlackLivesMatter Proteste 2020 waren ein historischer Moment, durch welchen das Thema Anti-Rassismus auch in Österreich ein neues Maß der Aufmerksamkeit bekam. Viele, und Großteils auch sehr junge Personen, erhielten dadurch die Möglichkeit, sich zu vernetzen, auszutauschen und zu organisieren. So wurde im September 2020 „Black Voices“ initiiert, das erste antirassistische Volksbegehren in Österreich. Es forderte einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus. Zwei Jahre später, im September 2022 stand fest: Black Voices ist mit lediglich 99.381 Unterschriften „gescheitert“ und wird daher nicht als Volksbegehren im Nationalrat behandelt. Wie kam das Volksbegehren zustande? Wieso ist „gescheitert“ eine sehr einseitige Beurteilung eines größeren Problems? Und welche anderen Initiativen setzen sich weiterhin für Anti-Rassismus in Österreich ein?
#BlackLivesMatter 2020 und Österreich
Am 25. Mai 2020 erlag George Floyd, ein Schwarzer US-Amerikaner, in Minneapolis den tödlichen Folgen rassistischer Staatsgewalt, genauer gesagt rassistischer Polizeigewalt. Diese Art von Vorfall ist Teil einer Realität, die üblicherweise ignoriert wird. Diesmal gelang es aber Umstehenden, den Mord auf Video festzuhalten, über die Sozialen Medien zu verbreiten und damit die übliche Ignoranz zu bezwingen. In Wien ergriff der Aktivist Mugtaba Hamoudah die Initiative und meldete gemeinsam mit der Aktivistin und Politikerin Mireille Ngosso eine Kundgebung an. Ein wahrhafter Sprung ins kalte Wasser, so beschreibt es Mireille Ngosso: „Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass mehr als 50 Personen kommen würden. Aber es war uns trotzdem wichtig aufzuzeigen, dass struktureller Rassismus auch in Österreich existiert und nicht nur in den USA.“ Doch entgegen allen Erwartungen kochte die US-amerikanische #BLM Bewegung so sehr hoch, dass ihre Proteste auf nie zuvor da gewesene Art bis nach Österreich überschwappten. Im Rassismus-Report 2020 des Vereins Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit schreibt Mugtaba Hamoudah stolz: „Wien hat an jenem Tag ein unglaublich starkes Zeichen gesetzt. 50.000 Menschen gingen auf die Straße, um ihre Wut kundzutun.“
Zwei Jahre Black Voices Volksbegehren
Als Reaktion auf die überwältigende Mobilisierung in Wien wurde das Black Voices Volksbegehren initiiert. Mireille Ngosso, die maßgeblich daran beteiligt war, den Stein ins Rollen zu bringen, betont: „Wir haben erkannt, dass wir für den Kampf gegen Rassismus auf die Unterstützung der Politik und Gesetzgebung angewiesen sind.“ So fand sich eine Gruppe motivierter, junger Menschen zusammen, welche als Black Voices Vorstand Mireilles Idee übernahm und mithilfe von vielen Unterstützer*innen das Volksbegehren formulierte, dessen antirassistische Forderungen verschiedenste Bereiche abdeckte: Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit, Öffentlichkeit und Repräsentation, Polizei sowie Flucht und Migration. Auf der Website des Volksbegehrens können die Forderungen auch heute noch nachgelesen werden. An ihrer Relevanz hat sich nach wie vor nichts geändert.
Obwohl Black Voices nicht genügend Unterschriften sammeln konnte, ist der Vorstand von Black Voices dankbar und stolz, eine der Sprecher*innen, Noomi Anyanwu betont: „Das Volksbegehren war nie nur eine Unterschriften-Sammel-Aktion und das Ergebnis kann sich im österreichischen Kontext sehr wohl sehen lassen. Wir haben viel bewegt, mobilisiert und uns am Diskurs beteiligt. Ohne den Support unzähliger Helfer*innen, Aktivist*innen, Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens hätten wir das so nicht geschafft!“
Von der Community für die Community
Noomi Anyanwu versichert, dass Black Voices sich weiterhin gegen Rassismus in Österreich einsetzen wird, und erklärt, dass der Vorstand aktuell noch in einem Prozess der Neufindung ist. Die #BlackLivesMatter Bewegung 2020 hat neben dem Black Voices Volksbegehren allerdings auch noch viele andere Steine ins Rollen gebracht. „Das Tolle ist, dass sich viele neue Initiativen gebildet haben, die jetzt stärker gegen Rassismus kämpfen, weil sie zusammenarbeiten und im Vergleich zu vorher überwiegend aus einer Betroffenenperspektive heraus handeln können“, so Mireille Ngosso. Zehn solcher Initiativen, die aus einer selbstbestimmten Position heraus etwas gegen Rassismus und für die Community tun, stellen wir euch vor. Vielleicht findet ihr darunter einen Safer Space für euch, einen Ort, um euch zu engagieren, oder, wenn ihr Verbündete im Kampf gegen Rassismus seid, eine unterstützenswerte Initiative.
ADOE – Afrikanische Diaspora Österreich
Das 2018 gegründete Community-Projekt ADOE existiert als sogenannter Safer Space von und für afrikanische und afrodiasporische Menschen. Für die Stärkung der Community werden regelmäßig Stammtische organisiert. ADOE hält außerdem unterschiedliche Workshops, in welchen auch mal getanzt oder über politische Themen gesprochen wird und vieles mehr.
Afro Rainbow Austria
Die Organisation Afro Rainbow Austria entstand aus der Notwendigkeit eines Raumes für afrikanische Migrant*innen aus der LGBTQIA+ Community heraus. Neben regelmäßigen Treffen und anderen Veranstaltungen stehen Struktur, Vertrauen und Hilfestellung im Vordergrund. Diese sind aufgrund der mehrdimensionalen Diskriminierungserfahrungen der afrodiasporischen LGBTQIA+ Community besonders wichtig und wertvoll.
BAYO – Verein afro-österreichischer Jugend und junger Erwachsener
Wie es der Name schon verrät, setzt sich der Verein afro-österreichischer Jugend und junger Erwachsener dafür ein, dass junge Schwarze Menschen in Österreich gefördert werden. Ihre Sichtbarkeit, Selbstermächtigung, Vernetzung und Partizipation stehen im Vordergrund. Im Sommer findet jährlich die BAYO-Empowerment Schule statt, um Schüler*innen aus Wien einen guten Schulstart nach den Ferien zu ermöglichen.
D!SRUPT – Verein für diskriminierung- und rassismuskritische Bildungsarbeit und für politische Teilhabe von Rassismusbetroffenen
D!SRUPT hat zum Ziel, das oftmals akademisierte und schwer zugängliche Wissen im Bereich der Anti-Diskriminierung und des Anti-Rassismus für alle Menschen in unserer Gesellschaft erreichbar zu machen, besonders für die jungen. Durch die Kooperation mit der OeAD, Österreichs Agentur für Bildung und Internationalisierung, werden aktuell kostenlose Workshops für Schulklassen angeboten.
Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus
Das ehrenamtliche Projekt Dokustelle setzt sich mit einer bestimmten Form des Rassismus auseinander, die in Österreich leider sehr präsent ist: Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus. Durch Dokumentation und Beratung kämpft die Dokustelle nicht nur gegen Rassismus, sondern stärkt auch ihre Community. Außerdem werden seit 2015 jährlich Rassismus Reports erstellt, um die Situation in Österreich sichtbarer zu machen.
freshVibes
freshVibes ist die erste Schwarze Lifestyle Radiosendung aus Österreich. Ganz nach dem Motto „Nicht über, sondern von und mit uns“ bietet sie einmal im Monat eine Plattform für kulturellen Austausch, kritische Auseinandersetzungen, offene Gespräche und neue Denkanstöße. Das Tolle: Alle Sendungen können im Online-Archiv von Radio ORANGE 94.0 nachgehört werden!
Hass ist nicht normal
Hinter der Initiative „Hass ist nicht normal“ steckt eine Gruppe engagierter Personen, die gegen die Normalisierung von Hass in Österreich eintritt. Durch Storytelling, politische Bildung und die Organisierung von Demonstrationen möchte sich das Team dem Rassismus in Österreich entgegenstellen, sowohl online auf Instagram als auch offline auf den Straßen.
MAI LING – Verein zur Förderung von zeitgenössischer asiatischer Kunst und Kultur
Mit seinem intersektionalen Ansatz gegen Diskriminierung bietet das Künstler*innenkollektiv MAI LING eine Plattform für zeitgenössische asiatische Kunst und Kultur. Der Name „Mai Ling“ bezieht sich auf ein Video von Gerhard Polt aus dem Jahr 1979, das die rassistischen Stereotype und Vorurteile des Globalen Nordens gegenüber asiatischen Frauen reproduziert und „damit den deutschsprachigen Gesellschaften einen Spiegel vorhält“.
SOS Balkanroute
Die von Rapper Kid Pex gegründete Initiative #SOSBalkanroute setzt sich für die Rechte von geflüchteten Menschen in Südosteuropa, entlang der sogenannten Balkanroute ein. Im Vordergrund stehen Sachspenden, die zu großen Teilen durch die Sozialen Medien sowie durch die Hilfe von ehrenamtlichen Helfer*innen organisiert werden. Aber auch die Aufklärung und das Informieren über die Situation sind wichtig, da die Lebensrealität von Geflüchteten in Österreich politisch unsichtbar gemacht wird. Ihr könnt die Initiative auch mit Geldspenden unterstützen, die Kontodaten findet ihr in der Instagram-Bio.
Wusstet ihr, dass Februar der Black History Month ist? Wir haben einen Veranstaltungsguide geschrieben. Außerdem stellen wir euch 5 tolle Angebote für Schwarze Kinder und ihre Eltern in Wien vor und haben ein paar Dinge aufgelistet, die Schwarzen und BIPoCs in Österreich sicher bekannt vorkommen.
Camila Schmid war Teil des Social-Media- und Inhaltsteams des Black Voices Volksbegehrens und engagiert sich als politische Bildnerin, Referentin und Medienmacherin mit Fokus auf Anti-Rassismus, Feminismus, Intersektionalität, Dekolonialisierung, Diaspora und Soziale Bewegungen. Sie hat das Projekt „Re-Define Racism“ ins Leben gerufen und das intersektionale Bildungskollektiv und Bündnisprojekt gegen Rassismus, Antisemitismus, Genderdiskriminierung und für Empowerment „RAGE“ sowie den österreichischen Verein „D!SRUPT“ mitgegründet. Erreichbar ist Camila unter der E-Mail Adresse camila@ragekollektiv.org.