Corona-Interviews: Das sagt die Risikogruppe
„Nein, Oma, du solltest definitiv nicht einkaufen gehen. Ja, ich geh’ wirklich gern für dich zum Supermarkt“, ein Gespräch, das meine Großmutter und ich momentan jeden zweiten Tag führen. Denn mit ihren 83 Lebensjahren zählt sie zur Corona-Risikogruppe und sollte so wenig Kontakt wie nur irgendwie möglich zu anderen Menschen haben. Doch oft vergisst man: Nicht nur unsere Großeltern sind momentan besonders gefährdet. Von Jung bis Alt sind Menschen aus jeder Generation betroffen – darunter auch einige ohne Vorerkrankungen. Wir haben mit Menschen gesprochen, die aus den unterschiedlichsten Gründen zu Risikogruppen zählen.
Michi, 30, Rechtsanwaltsanwärter
1000things: Inwiefern gehörst du zu einer Risikogruppe?
Michi: Ich gehöre zur Risikogruppe der chronisch Kranken, das heißt, ich muss aufgrund einer chronischen Darmerkrankung immunsupprimierende Medikamente nehmen. Dadurch ist mein Immunsystem in gewissen Funktionen etwas gedrosselt und reagiert etwas langsamer.
1000things: Hast du dich selbst in Heimquarantäne begeben?
Michi: Ich habe mich relativ schnell darauf eingestellt, dass ich besonders aufpassen muss, weil ich mit dem Thema Gesundheit bzw. Krankheit regelmäßig konfrontiert bin und mich eigentlich bei allen gröberen Gesundheitsthemen frage, welche Auswirkung sie auf mich haben könnten. Ich bin seit über zwei Wochen in Heimquarantäne bei der Familie meiner Freundin in Niederösterreich.
1000things: Wie sieht dein Alltag momentan aus?
Michi: Ich stehe morgens auf, wie sonst auch. Meistens lerne ich nach dem Frühstück ein bisschen; ich muss mich einlesen für meinen Job. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich irgendein Ziel setzt, auf das man hinarbeiten kann.
Meistens machen wir nach dem Mittagessen einen Spaziergang draußen, abgeschottet von allen anderen Personen. Da wir eine größere Gruppe zu Hause sind, veranstalten wir am Nachmittag regelmäßig ein Get Together, bei dem jedes Mal einer oder eine von uns etwas vorzeigt und die anderen lernen davon, wie etwa Fitnessstunden – eine Art Indoor-Robinsonclub.
1000things: Gibt es etwas, das du anderen mitteilen möchtest?
Michi: Nicht nur alte Leute sind gefährdet, sondern auch jüngere Menschen, die krank sind oder Medikamente nehmen müssen. Bei vielen weiß man das vielleicht gar nicht, weil Gesundheit ja normalerweise ein sehr privates Thema ist. Von deinen fünf Freundinnen und Freunden zählt höchstwahrscheinlich mindestens eine Person zu einer Risikogruppe. Also: Be aware that you are unaware! Oder anders gesagt: Schau auf dich und schau auf die anderen.
Sanela, 27, Kindergärtnerin in Ausbildung
1000things: Inwiefern zählst du zu einer Risikogruppe?
Sanela: Ich habe Thrombozytopenie, eine Blutkrankheit. Wenn ich mich irgendwo anhaue, kann es sein, dass ich innerlich zu bluten beginne. Ich habe allgemein ein geschwächtes Immunsystem.
1000things: Seit wann bist du in Heimquarantäne?
Sanela: Mittlerweile seit über einer Woche daheim. Ich habe in der Arbeit angegeben, dass ich eine Autoimmunerkrankung habe, und bin vorläufig freigestellt worden. Ich bin aber abrufbereit, sollten sie mich doch einmal dringend brauchen. Da ich normalerweise nur montags und dienstags arbeite, werden diese Tage aber hauptsächlich andere Mitarbeiter übernehmen, die nicht zu einer Risikogruppe gehören.
1000things: Wie sieht dein Alltag momentan aus?
Sanela: Für meine Ausbildung zur Kindergärtnerin bekommen wir Online-Aufgaben, die ich erledigen muss, und ich schreibe an meiner Diplomarbeit. Eigentlich habe ich nicht wirklich mehr Zeit als sonst, ich kann sie mir nur jetzt einteilen, wie ich möchte.
1000things: Gibt es jemanden, der für dich einkaufen geht?
Sanela: Ich wohne alleine und habe schon im Vorfeld sehr viel eingekauft. Wenn ich etwas brauche, gehe ich selbst einkaufen – ich habe bei mir in der Nähe einen kleinen Supermarkt. Allerdings achte ich darauf, dass ich nicht zu stark frequentierten Uhrzeiten einkaufen gehe beziehungsweise zu der Zeit, die den Risikogruppen vorbehalten sein soll, also zwischen 8 und 9 Uhr.
1000things: Gibt es etwas, das du anderen mitteilen möchtest?
Sanela: Wir sollten alle Ruhe bewahren, positiv denken und falls wir zu Hause bleiben können, sollten wir die Zeit daheim möglichst genießen. Wer weiß, vielleicht fangen die Menschen jetzt an, anders zu denken und andere Prioritäten zu setzen.
Linda, 24, Studentin
1000things: Zu welcher Risikogruppe gehörst du?
Linda: Ich habe eine chronische Krankheit, Diabetes Typ 1, und bin grundsätzlich recht anfällig für Krankheiten.
1000things: Hast du dich selbst in Heimquarantäne begeben?
Linda: Eigentlich habe ich ziemlich spät gecheckt, dass ich zur Risikogruppe gehöre. Für mich ist es schon so normal, dass ich Diabetes habe, dass ich es manchmal sogar vergesse. Meine Freundinnen und Freunde haben mich dann darauf gebracht, dass ich auch betroffen bin.
1000things: Gibt es jemanden, der zum Beispiel für dich einkaufen geht?
Linda: Ja, meine Mitbewohner und Freunde. Ich wohne in einer WG in Wien und mein Freund ist auch öfter auf Besuch. Wir haben im Haus selbst auch einen Zettel aufgehängt, auf den alle Nachbarinnen und Nachbarn ihre Nummern draufgeschrieben haben. Da helfen wir jetzt zusammen. Darüber bin ich sehr froh.
1000things: Wie sieht dein Alltag aus?
Linda: Von Alltag kann man momentan nicht wirklich sprechen. Ich muss zwar Seminararbeiten schreiben, das mache ich meistens am Vormittag. In letzter Zeit war ich ab und zu alleine spazieren. Ansonsten lese ich zurzeit viel, da komme ich jetzt öfter dazu.
Gerhard, 55, Jurist
1000things: Inwiefern gehörst du zu einer Risikogruppe?
Gerhard: Ich hatte vor einem Monat einen Herzinfarkt und vor etwa einer Woche die letzte Stent-Implantation. Eigentlich hätte ich den Termin erst in einem Monat gehabt, aber aufgrund der momentanen Situation hätte es sein können, dass das dann vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre.
1000things: Wie war die Situation im Krankenhaus?
Gerhard: Ich lebe in Niederösterreich und war vor einer Woche genau zu der Zeit im Universitätsklinikum Krems, als das Krankenhaus sich gerade für die Corona-Krise gerüstet hat. Für Besuche war es sowieso schon gesperrt, außerdem wurde die Belegschaft in mehrere Teams aufgeteilt, die sich abwechseln. Es war schon eigenartig: Zu meiner persönlichen Ausnahmesituation kam dann noch die öffentliche dazu.
1000things: Wie sieht dein Alltag zu Hause momentan aus?
Gerhard: Meine Frau kümmert sich um die Einkäufe. Einige Dinge, die wir bisher in einem Geschäft gekauft haben, besorgen wir momentan online, wie zum Beispiel auch manche Medikamente.
1000things: Gibt es etwas, das du Menschen, die nicht zu einer Risikogruppe gehören, mitteilen möchtest?
Gerhard: Wir müssen unsere Gewohnheiten ändern und die Situation ernst nehmen. Zum Wohle aller.
Ivana, 38, Psychologin
1000things: Zu welcher Risikogruppe gehörst du?
Ivana: Ich zähle zur Risikogruppe der Menschen mit einer Einschränkung, die im Zuge dieser Krise als Risikogruppen gewertet werden, weil häufig ihr Immunsystem nicht so gut ist wie das anderer Menschen. Ich habe von Geburt an eine Einschränkung, eine sogenannte infantile Zerebralparese. Das ist eine Störung im Gehirn, die aufgrund eines Sauerstoffmangels bei der Geburt entstanden ist.
1000things: Hast du dich selbst in Heimquarantäne begeben?
Ivana: Nein, mein Dienstgeber hat mich und viele andere Kolleginnen und Kollegen bis auf Weiteres ins Homeoffice geschickt. Bei uns braucht es dennoch einige, die vor Ort die Stellung halten müssen. Aber in dieses Radl falle ich nicht hinein, weil ich zur Risikogruppe zähle. Außerdem lebe ich als Mensch mit Behinderung mit persönlicher Assistenz, die ich zwar jetzt auch reduziert habe, auf die ich aber aus Überlebensgründen nicht ganz verzichten kann. Das ist auch ein Risikofaktor und ein weiterer Grund, aus dem ich im Homeoffice bin. Mittlerweile bin ich seit über zehn Tagen zu Hause.
1000things: Wie sieht dein Alltag aus?
Ivana: Ich versuche, meinem normalen Alltag so gut wie möglich nahe zu kommen, obwohl es viele Einschränkungen gibt. Ich stehe auf, wie ich normalerweise aufstehen würde, wenn ich zur Arbeit gehen würde, und arbeite hier am Laptop innerhalb meiner regulären Arbeitszeit, wie sonst auch. Mittags kommt jemand vorbei und hilft mir mit der Zubereitung einer Mahlzeit und jeden zweiten Tag kommt am Nachmittag eine Assistenz vorbei, die mir im Haushalt hilft und bei Dingen, für die ich eben Hilfe brauche. Ich versuche, das alles so zu organisieren, dass es reicht, wenn jeden zweiten Tag jemand vorbeikommt. Ich schaue, dass das nur ein bis zwei Leute sind und sie sich nicht so oft abwechseln wie üblich, um das Ansteckungsrisiko etwas zu minimieren. Wir gehen dann auf einen kurzen Spaziergang raus, wobei wir auch da darauf achten, dass wir nicht mit Menschen in nahen Kontakt kommen. In meinem Leben, wie ich es bisher gewohnt war, habe ich viel mehr Freizeitaktivitäten und mache Sport. Das gibt es momentan alles nicht.
1000things: Gibt es etwas, das du anderen gerne mitteilen würdest?
Ivana: Ich finde es wichtig, dass wir vernünftig und rational zu bleiben. Dazu gehört einerseits, nicht absolut durchzudrehen, und andererseits, den Verhaltensregeln zu folgen. Weil man sich immer bewusst sein muss: Auch wenn man selbst keine Symptome entwickelt, kann man die Krankheit weitergeben. Man weiß nie, wie sie sich bei denen auswirkt, an die man sie weitergibt. Was man mit seinem eigenen Leben tut, ist jedem selbst überlassen, aber wenn es um andere Menschen geht, hat man einfach rücksichtsvoll zu sein.
1000things: Vielen Dank für die Gespräche und alles Gute für die nächste Zeit!
Ihr habt Menschen aus Risikogruppen in eurem näheren Umfeld? Dann bietet mit der Nachbarschaftschallenge eure Hilfe an! Auch obdachlose und armutsgefährdete Menschen sind von den Ausgangsbeschränkungen besonders betroffen. Wir haben uns angesehen, wie wir helfen können.