Das WUK: Von der Lokfabrik zum Hotspot
Schon im Stiegenaufgang zur Beletage raunt die Geschichte des Hauses aus allen Ritzen. Die Fenster der geräumigen, hellen Salons des Prunkgeschosses gehen zum einen in den üppig grünen Innenhof, zum anderen auf die emsige Währinger Straße hinaus. Ein Stückchen Restprunk zwischen Backsteinen. Man könnte kaum glauben, dass wir uns hier in einer Lokomotivfabrik befinden. Tun wir aber eigentlich auch nicht. Nicht mehr zumindest – mittlerweile nennt man das ehemalige Industriegelände nämlich längst WUK.
1855 wurde die mit wildem Wein überwucherte Backsteinoase als Lokomotiv- und Maschinenfabrik errichtet. Deshalb auch die Beletage: „In der frühindustriellen Zeit war es so üblich, dass die Direktoren entweder eine Villa am Fabriksgelände hatten oder in einer der Etagen gewohnt haben“, sagt Susanna Rade von der Abteilung Kommunikation und Projekte. In den Salons über dem Haupteingang ins WUK hauste also ursprünglich der Fabriksdirektor auf großem Fuße. Allerdings nicht besonders lang: Bereits 1884 zieht hier bis Ende der 70er die technische Fachschule TGM ein und 1979 steht das Gebäude schließlich leer.
Hausbesetzung light
Im selben Jahr gründet sich der „Verein zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser“, kurz: WUK, in einer Zeit, in der Forderungen nach autonomen Kulturzentren, nach alternativen Entfaltungsräumen immer lauter durch die europäischen Städte gellen. Zürich, Berlin – und auch Wien, wo nur drei Jahre zuvor unter großem Radau das heutige Arena-Gelände besetzt und schließlich als ständiges Kulturzentrum in Besitz genommen wurde. Um einiges ruhiger läuft hingegen die Übernahme der ehemaligen Lokomotivfabrik in Währing ab. Der WUK-Verein leistet sicherheitshalber erst einmal zwei Jahre lang Lobbyarbeit in der Stadtregierung einerseits, in der Stadt selbst andererseits: Happenings und andere Aktionen sollen der verstaubten Hochkultur den Kehraus tanzen.
Um die erhoffte Veränderung schließlich herbeizuführen, muss man aber doch zur List greifen: „Studierende, ich glaube der Architektur, bekamen von der Hausverwaltung den Schlüssel zum Gebäude, um eine Begehung zu machen und es sich aus baugeschichtlichem Interesse genauer anzusehen“, sagt Rade. Angeblich. Denn sobald die Truppe eingetreten ist, geht sie nicht mehr raus – das Haus ist von da an besetzt. Hausbesetzung light, wohlgemerkt: „Die Türen wurden nicht aufgebrochen, sie hatten ja den Schlüssel“, relativiert Susanna Rade die Kampfeslust. Bis die Politik nachzieht, dauert es dann auch nicht lange. Die erste Subvention kommt bereits im ersten Jahr, der Bund macht dem Verein WUK Platz und Wien ist seit 3. Oktober 1981 um ein alternatives Werkstätten- und Kulturhaus reicher.
Sozialprojekt und Renovierungshilfe
Doch bevor das zum florierenden Hotspot der Kunstszene, die es heute ist, werden kann, muss noch viel passieren. „Die hatten hier richtig viel zu tun – das Haus war eine Ruine“, sagt Rade. Und weil das alleine kaum zu stemmen ist und es dem WUK neben Kunst und Kultur immer schon ums Soziale geht, ergreift man soziale Initiative und schlägt zwei Fliegen mit einer Wasserwaage. Denn in den frühen 80ern steigt die Jugendarbeitslosigkeit immer weiter an, besonders von jungen Erwachsenen, die ihre Schule oder Lehre frühzeitig abgebrochen haben.
Um sie dennoch aufs Berufsleben vorzubereiten und zugleich tatkräftige Unterstützung bei der Renovierung zu bekommen, heuert das WUK sie als auszubildende Arbeitskräfte an. „Die ersten Ausbildungsprojekte waren Jobs wie Maler und Anstreicher, Maurer oder Bautischler“, sagt Rade. Damit legt man das Fundament des Geschäftsbereichs „Bildung und Beratung“ des WUK, das heute mit zwölf Ausbildungsprojekten in der ganzen Stadt verteilt ist. Damals wie heute geht es allerdings nicht um eine sture Ausbildungsschiene alleine, sondern um eine umfassende soziale, kulturelle und politische Bildung der jungen Menschen. „Wie bilde ich mir eine Meinung? Wie äußere ich meine Interessen?“, fasst Rade diesen Ansatz in Worte.
Überbleibsel von früher
Mittlerweile zählt das WUK mit 12.000 Quadratmetern Nutzfläche und durchschnittlich 200.000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr längst zu den größten Kulturzentren Europas. Zugleich findet man im Gebäude selbst aber immer noch viele Spuren seines ursprünglichen Zwecks. „Man spürt, dass es ein historisches Gebäude ist“, sagt Rade. Nicht nur in der Beletage des Währinger-Straßen-Trakts, auch an anderen Stellen.
Im „Projektraum“, einem von vielen mietbaren Mehrzweckräumen in diesem Labyrinth von Gebäudekomplex, sieht man es etwa noch auf dem Boden: Wo früher die Maschinen standen, unterbrechen heute schwarz-kahle Stellen den alten Holzboden. In den Werkstätten werden sogar noch einige Werkbänke der originalen Fabrik weiterverwendet. Und auch der wilde Wein, der die Backsteine dicht überwuchert, war schon lange da, bevor man das Gebäude WUK nannte. Passend zu den mit Pflanzenornamenten verzierten Gusseisenträgern, die noch in manchen Stiegenhäusern an eine verschnörkeltere Zeit erinnern.
Geschichtsträchtigkeit ist teuer
Viel Geschnörkel kann man sich allerdings im Moment nicht leisten. Denn um bestimmte Auflagen zu erfüllen, müssen einige Dinge saniert werden. Das Heizsystem ist schon sehr alt, Barrierefreiheit herrscht auch nicht überall, und auch die Brandschutzbestimmungen ändern sich immer wieder. Das reißt bei einem so großen Gebäudekomplex wie dem WUK schon ein ganz schönes schwarzes Loch ins Börserl: „Da steht uns leider die nächste Million ins Haus“, vermutet Rade.
Bevor es so weit war, ging man im Sommer erst einmal die dringendste Baustelle an: die Elektrik. 850.000 Euro musste man dafür zusammenkratzen. Etwa die Hälfte wurde von der Stadt Wien finanziert, den Rest muss der Verein selbst aus eigener Tasche und über Spenden berappen. Mittlerweile ist der langjährige Disput zwischen Stadt und WUK beigelegt: Am 24. April 2020 wurde bekannt, dass die Stadt Wien 22,38 Millionen Euro in die Sanierung des WUK investieren wird. Dafür soll sich der Verein dazu verpflichten, künftig ein Nutzungsentgelt zu bezahlen und das Gebäude im Inneren selbst zu erhalten. Aufgrund des bisherigen Nutzungsvertrags hatte dem Verein das ehemalige Fabriksgebäude zwar frei zur Verfügung gestellt, allerdings war man sich so nie ganz eins darüber, wer für etwaige Sanierungen aufkommen muss. Jetzt ist das offenbar geklärt: Die Stadt Wien kommt für die Sanierung der Gebäudehülle und der haustechnischen Anlagen auf, der Brandschutz soll verbessert werden und die Barrierefreiheit soll kommen. Dazu braucht es allerdings noch das finale Go im Wohnbauschuss und im Gemeinderat und auch die WUK-Generalversammlung muss noch zustimmen.
Ihr wollt noch mehr Backstein-Idylle? Dann schaut doch mal im Brick-5 oder in der Arena vorbei. Wir haben uns außerdem angesehen, welche Fabriken in ganz Österreich zu coolen Hotspots umgemodelt wurden.
(c) Beitragsbild | Viktoria Klimpfinger | 1000things