Der Eisfischer vom Ottensteiner Stausee
Die gefühlten minus 20 Grad Ende Februar fühlten sich auf dem dick zugefrorenen Ottensteiner Stausee im Waldviertel fast schon sibirisch an. Oder lieber: skandinavisch. Das passt besser zum Eisfischen. „In Skandinavien oder Nordamerika ist das ein richtiger Volkssport.“ Profi-Fischer Bernhard Berger stapft mit uns und einer Kiste voller Equipment im Schlepptau in Richtung seines blauen Zeltes, das widerständig der Kälte auf dem leergefröstelten Stausee ins Gesicht hustet. „Da drinnen kann ich einheizen, dann wird’s gleich wärmer.“ Bernhard will uns offenbar beruhigen. Man sieht unseren klappernden Zähnen und schlotternden Knien wahrscheinlich an, dass wir mit einer derartigen Kälte nicht gerechnet haben. Er auch nicht: „Macht euch nichts draus, mir ist auch kalt.“
Safety first!
Doch noch bevor wir überhaupt über die Eisfläche zittern können, macht Bernhard uns rutsch- und einsturzfest. Spike-ähnliche Untersetzer an unseren Ballen sollen Schlitterpartien mit Nasenbruchkonsequenz verhindern. Tatsächlich bewegen wir uns dank ihnen vorsichtig auf den Ballen trippelnd, wie sich Eiskunstläuferinnen und Eiskunstläufer nach vergeigter Kür auf den Weg zur Garderobe machen.
Um die Hälse bekommen wir einen Gummischlauch mit Eispickeln an den Enden, an denen wir uns am Eis festpinnen sollen, falls wir einbrechen. Kurzer Schock. Ist so etwas denn schon einmal passiert? „Nein, passiert ist das noch nicht. Aber Sicherheit ist das oberste Gebot“, sagt Bernhard. Bevor er ganze Besuchergruppen mit zum Eisfischen genommen hat, hat er sich ausgiebig damit beschäftigt, ab welcher Dicke das Eis welches Gewicht aushält. „Momentan haben wir zwischen 20 und 25 Zentimeter Eis. Da könntest du eigentlich sogar mit dem Auto drauffahren.“
Wie funktioniert das mit dem Eisfischen eigentlich?
Ums Einbrechen müssen wir uns also schon mal nicht sorgen. Auch ein versehentliches Hineinplumpsen in eines der Eislöcher kann nicht passieren: Ihre Durchmesser sind lediglich handgroß. Bernhard bohrt zwei mit einem Gerät ins Eis, das aussieht wie eine Plastikschraube auf Wachstumshormonen. Dann schöpft er die hartnäckigen Eisspäne mit einer Kelle aus dem Wasser, damit das Loch nicht gleich wieder zufriert. Um die Fische in ihrem Wintertaumel auf uns aufmerksam zu machen, bestäubt er die kleine Wasseroberfläche mit feinkörnigem Futter. Ein Mix aus verschiedenen Gewürzen und Maden, die irgendwie so gar nicht zu ihrem kindheitsverklärten Vanille-Duft passen. „Es geht darum, dass die Fische die Aromen im Wasser wittern und herkommen“, erklärt Bernhard.
Während der eine oder andere Fisch unterm Eis vielleicht schon neugierig die Schleimhaut rümpft, holt Bernard eine hauchzarte, fast geschrumpft wirkende Angel hervor. Warum so klein? „Weil ich möglichst nah am Loch sitzen will.“ Logisch. Wie selbstverständlich kramt er einen Plastikbehälter voller Maden aus seiner Jackentasche. Leichte Überraschung durchzuckt das fröstelnde Schweigen, also erklärt uns Bernhard, dass er die Köder möglichst wärmend transportiert, damit sie sich im Wasser zumindest noch ein wenig bewegen. Auch wieder logisch – für den Angellaien trotzdem erst mal gewöhnungsbedürftig.
Fische im Winterdusel
Bernhard Berger ist aber alles andere als ein Fisch-Neuling. Bereits in seiner Kindheit hatten es ihm die flossenschwingenden Unterwasserbewohner angetan. Später studierte er – nach einem kurzen Abstecher ins Jazz-Trompete-Studium – Biologie mit Schwerpunkt auf Zoologie, Gewässerökologie und eben allem, was Fische betrifft. Heute ist er einerseits im Auftrag der Windhag Stipendienstiftung für Niederösterreich und dem Forstamt Ottenstein für die Bewirtschaftung des Ottensteiner Stausees zuständig. Andererseits teilt er als Ingenieur der Fischökologie sein Expertenwissen mit anderen Angel-Enthusiastinnen und -Enthusiasten: Er hilft anderen Vereinen und Gewässern bei der Bewirtschaftung, hält Vorträge, erstellt Gutachten, gibt Kurse.
Selbst für einen so erfahrenen Angler war das Eisfischen anfangs aber komplettes Neuland: „Für mich als Fischbiologen war es extrem spannend herauszufinden, wie sich die Fische im Winter verhalten.“ Na gut, was soll da schon groß passieren – die Fische werden es sich im Schlamm gemütlich machen und darauf warten, dass sich die Eisdecke wieder zurückzieht? Denkste! „Dass sie sehr wohl aktiv sind, ist nur logisch – irgendwie müssen sie ja ihren Energiebedarf decken, und dementsprechend jagen oder fressen“, erklärt Bernhard. Da die Fische aber trotzdem aufgrund der Kälte träger sind, fressen sie weniger. Und das erklärt wiederum, warum man im Winter mit kleineren Ködern – wie unseren Jackentaschen-Maden – fischt.
Angelroutine trifft Fischer-Neuland
Know-How dieser Art hat sich Bernhard in den letzten Jahren via Versuch und Irrtum angeeignet. Fachliteratur gab es schon, aber Erfahrungsberichte von österreichischen Gewässern kaum. Dass die beste Zeit zum Eisfischen die Mittagszeit ist, weil da die Sonne am höchsten steht und die Fische auch Licht zum Fressen brauchen, lehrt also erst die Praxis. Auch, dass die schuppigen Schleimhautträger besonders im Winter sehr temperaturfühlig sind, lernt man mit der Zeit. „Oft spielen sich die Unterschiede gerade am Eis im Zehntel-Grad-Bereich ab. Plötzlich merkt man, dass die Fische aktiver sind“, erzählt Bernhard begeistert. Dass die Chance, einen zu fangen, gerade nach dem Lochbohren oft sehr hoch ist, leuchtet irgendwie ein: Für die winterfadisierten Fische tut sich endlich was. Würden wir wochenlang im dunklen Keller sitzen und plötzlich geht ein Fenster auf, würden wir wohl auch skeptisch-neugierig die Nasen ins Licht halten.
Der erste Fang
Plötzlich tut sich was im Eisloch: Der Schwimmer taumelt – ein Zeichen, dass ein Fisch an den Maden knabbert. Langsam, zaghaft tastet er sich heran. Das Tempo hat wohl mit dem leichten Winter-Dusel zu tun. Schwupps reißt Bernhard die Angel hoch, dreht an der Schnur und wir blicken nach wenigen Sekunden in die Augen einer schwer frustrierten Brachse. Anscheinend können im Winter sogar Fische müde aussehen. Bernhard ist sichtlich erleichtert, dass wir heute wohl nicht stundenlang ums Eisloch frieren müssen, bis etwas anbeißt. Weil die Brachse allerdings noch zu klein ist, um sie dem Wasser zu entnehmen, lässt er sie mit ein paar geschickten Griffen wieder vom Haken.
Follow the Angel-Rules
Denn eines ist die Anglerei mit Sicherheit nicht: unreguliert. Im Gegenteil: Das Fischereigesetz legt die amtlichen Maße, ab denen ein Fisch entnommen werden darf, und die Schonzeiten der einzelnen Arten fest. Ein Fisch darf also erst ab einer bestimmten Größe dem Wasser entnommen werden. Und was, wenn einem versehentlich ein zu kleiner Fisch wie unsere schlaftrunkene Brachse auf den Leim geht? „Schonend damit umgehen, abhaken und wieder zurücksetzen.“
Mittagspause im warmen Zelt
Während uns die wütende Brachse in acht Metern Tiefe bei den anderen Fischen verflucht, retten wir unsere vereisten Stummel, die früher mal Zehen waren, zur Mittagspause ins wärmende Zelt. Mit Bratwurst und Halloumi auf dem Grill sorgt Bernhard hier für das Allround-Erlebnis „Eisfischen“. Denn wärmendes Mittagessen und quatschen gehören genauso dazu wie neugierige Fische und kalte Füße. Wobei Letzteres nicht ganz stimmt. Bernhard erzählt, dass er auch schon mal bei plus fünf Grad eisfischen war. Außerdem ist er beim Angeln immer ganz froh über Gesellschaft: „Ich fühle mich unwohl, wenn ich alleine angeln gehe. Ich brauche wen zum Tratschen“, tratscht Bernhard mit uns.
Zurück aufs Eis
Gerade aufgewärmt und vom verrauchten Indoor-Grillen noch etwas benommen, geht es auch schon wieder hinaus zu den Eislöchern. Getan hat sich inzwischen nichts, das Wasser ist schon fast wieder gefroren. Also auf ein Neues: Eis abschöpfen, Maden anködern und abwarten. „Man muss sich vorstellen: Da sind Schwärme von Tausenden Fischen unter uns. Und dennoch beißt vielleicht genau nur einer“, sagt Bernhard. „Wir fangen in Wahrheit also den Dümmsten.“ Heute dürften unter uns allerdings einige leichtgläubige Flossenschwinger unterwegs sein. Denn als uns die Eisplanet-Hoth-ähnliche Kälte endgültig vom See drängt, haben wir immerhin drei Fische aus dem Wasser geholt.
Unsere Multimedia-Reportagen sind voll euer Ding? Dann seht euch doch mal an, was ein Puppendoktor eigentlich so macht. Oder ihr taucht ein in die Welt eines Schirmmachers.
(c) Beitragsbild | Ines Futterknecht | 1000things.at