Der Maultrommelmacher: Molln und die ganze Welt
Wer Maultrommel sagt, wird früher oder später ziemlich sicher Molln sagen. Aber warum eigentlich? Was hat die oberösterreichische Gemeinde am Rand des Nationalparks Kalkalpen mit dem kleinen Brummeisen zu tun? Und wie gehen Traditionsbewusstsein und Weltoffenheit zusammen? Fragen über Fragen. Wir haben ein paar Antworten.
Die Welt ist ein Dorf, sagt man. Wenn das stimmt, dann wäre sie wahrscheinlich Molln. Am Rand des Nationalpark Kalkalpen, überwacht von angezuckerten Bergrücken, gibt es hier wahrscheinlich mehr überraschende Geschichten als Einwohner*innen. In Molln scheint die Vergangenheit auf eigentümliche Weise in die Gegenwart hineinzuragen. Ein junger Schmied fertigt hier etwa die Rüstungen für die Schweizer Garde im Vatikan. Und ein 82-jähriger Maultrommelmacher hat von hier aus die Welt bereist und empfängt sie in seiner Werkstatt.
Made in Molln
Die Maultrommel hat man sich in Molln auf die Fahnen geschrieben – und sogar ins Gemeindewappen. Tatsächlich gilt die oberösterreichische Gemeinde bis heute als bedeutendster Herstellungsort der Welt. Die Mollner Maultrommelerzeugung ist sogar UNESCO-Weltkulturerbe, bereits seit dem 17. Jahrhundert biegt man hier die Brummeisen zurecht. Früher gab es an die 33 Familienbetriebe, heute sind nur mehr zwei davon übrig. Einer davon ist der von Familie Wimmer-Bades. Stolze neun Millionen Instrumente gingen in einem guten Jahr schon mal von Molln hinaus in die Welt. Nachvollziehbar also, dass man in Molln lange dachte, dass man damit wohl die Weltwiege der Maultrommel sein müsse. Nur stimmt das leider so nicht ganz, wie man offen zugibt: „Man geht davon aus, dass die Maultrommel aus dem ehemaligen Jakutien kommt und eine Geschichte von 2.000 Jahren hat. Da mussten wir uns also eingestehen, dass Molln nicht ihr Ursprung ist“, erzählt Wimmer. „Wir sind zwar ihre Hochburg, aber nicht ihre Erfinder.“
Warum genau die Maultrommel aber ausgerechnet in Molln gelandet ist, ist kaum mehr rekonstruierbar. Im 13. Jahrhundert habe Marco Polo sie über die Seidenstraße nach Europa gebracht, sagt Wimmer. Zuerst kam sie wohl nach Deutschland; bei Ausgrabungen der hessischen Burg Tanneberg fand man ein Exemplar, das Hinweise auf das asiatische Vorbild gibt. „Wasserkraft, Holzgewinnung, die Eisenstraße – das waren in Molln wahrscheinlich gute Voraussetzungen für diesen Beruf“, vermutet Wimmer.
Von Molln aus in die ganze Welt…
Eigentlich wollte Wimmer in jungen Jahren Englisch lernen und hatte ein großes Interesse an Geografie. Aber weil er nun einmal der einzige Bub in der Familie war, musste er Maultrommelmacher werden: Alles andere stand nicht zur Diskussion offen. Bereist hat er die große, weite Welt aber schließlich doch, und zwar mit der Maultrommel im Gepäck: Jeweils eine Woche pro Jahr ist er in ein anderes Land gereist, als eine Art Botschafter der Mollner Maultrommel. Heimgekommen ist er – neben vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen in die Maultrommelkulturen anderer Länder – mit immer neuen Maultrommeln. Weit über 100 verschiedene Exemplare hat er in seiner Werkstatt. Mitten im Gespräch kramt er immer wieder in einer Schublade, holt neue Modelle hervor und hält sie sich an die Lippen. Eine aus Bambus, eine aus Messing, eine mit Schnur – keine sieht aus wie die andere und am wenigsten wie die Mollner Variante. „Viele Maultrommeln aus dem asiatischen Raum sind darauf ausgerichtet, dass man keine Zähne braucht, um sie zu spielen. Für die Mollner Maultrommel braucht man die Zähne als Auflage“, sagt Wimmer. Englisch spricht er auch heute noch kaum, also sorgt er dafür, dass immer jemand aus der Familie zum Dolmetschen da ist, wenn sich wieder einmal eine Reisegruppe angekündigt hat.
Wimmer holt eine Bambus-Maultrommel aus den Philippinen hervor und legt sie an seine Lippen. Zähne braucht man für sie nicht als Auflage. Sie ist in allen Tonlagen gestimmt.
…und die ganze Welt in Molln
Und tatsächlich strömen die internationalen Tourist*innen Bus für Bus nach Molln in Wimmers Schauwerkstatt – wenn nicht gerade eine Pandemie über den Globus fegt, versteht sich. Seit er einmal eine Anzeige in einer chinesischen Zeitung inserierte, hatte er bis vor der Corona-Krise jede Woche chinesische Reisegruppen zu Besuch in seiner Werkstatt, die von außen eher aussieht wie die Garage eines Einfamilienhauses. Innen ist sie nicht nur Produktionsstätte, sondern auch Landkarte von Franz Wimmers Reisen. Die Wände sind gepflastert mit Zeitungsausschnitten, gerahmten Fotos von Begegnungen und Maultrommler*innen aus aller Welt – meistens Frauen, im asiatischen Bereich sind sie die primäre Maultrommel-Zielgruppe, während in Österreich die Männer überwiegen. Und tatsächlich hängt hier auch eine echte Landkarte, auf der Wimmer mit kleinen Fähnchen markiert hat, wo er schon überall war.
Eine malaysische Maultrommel sieht ein bisschen aus wie ein Gespann aus Kochlöffel und Hammer. Sie wird von kleinen Mädchen auf der Straße gespielt und klingt ein wenig wie eine Ratsche.
Wie der Dalai Lama nach Molln kam
Auf einem Bild posiert Wimmer mit Sepp Forcher – als liebenswerter Posterboy von Volksmusik und Brauchtum liegt dieser Konnex natürlich auf der Hand. Über Forcher lernte der Maultrommelmacher den Bergsteiger und Reisenden Heinrich Harrer kennen, oder wie Wimmer ihn demütig nennt: Professor Harrer. Und der brachte wiederum keinen Geringeren als den Dalai Lama mit nach Molln. Davon gibt’s natürlich auch ein Foto. Und sogar noch ein paar weitere Andenken: „Der Dalai Lama hat mir eine Maultrommel geschenkt, auf der ein buddhistischer Mönch im Hintergrund spielt, während ein anderer betet“, Wimmer lässt die kleine metallische Maultrommel stolz von seiner Hand baumeln, „und die Gebetsmühle seines Großvaters hat er mir gleich dazu geschenkt.“
Wimmer zeigt uns eine indonesische Variante, bemalt und ebenfalls aus Bambus. Sie dient religiös-spirituellen Zwecken, gefällt ihm aber weniger als die anderen.
Andere Zeiten
In Österreich selbst ist die Maultrommel verhältnismäßig selten. „Wo der Kreutzer geschlagen ist, hat er keinen Wert“, sagt Wimmer. Am häufigsten findet man sie heute noch im asiatischen Raum als Begleitung zum Meditieren oder für Obertongesänge, aber auch in der US-amerikanischen Country-Musik, in Europa besonders im Norden, in Norwegen oder Finnland. Viele Neugierige, die in Wimmers Werkstatt vorbeischauen, kaufen die Maultrommel weniger zum Musizieren als vielmehr als Andenken. Tatsächlich steigt die Nachfrage nach handgemachten Maultrommeln aber wieder etwas an. Wimmer vermutet, dass das am allgemeinen Rückbesinnen auf Handwerkskunst und Qualität liegt. Für eine handgemachte Maultrommel braucht er jedenfalls eine Stunde, biegt er sie maschinell zurecht, ist er in zehn bis 12 Minuten fertig.
Die Maultrommel aus Myanmar kann man von vorne und von hinten spielen, wie Franz Wimmer auch schon im nächsten Moment demonstriert.
Die Maultrommel ist nach wie vor fest in die Mollner DNA eingeschrieben, wenn auch mittlerweile eher mit unsichtbarer Tinte. „Die Maultrommel zählt mittlerweile nicht mehr für viele zur Identität in Molln. Das ist kein Vorwurf, wir leben eben in einer anderen Zeit“, sagt Wimmer. Er ist weit davon entfernt, den jüngeren Generationen einen Strick aus ihrer Jugend zu drehen. Im Gegenteil: „Im Wirtshaus setze ich mich zu den jungen Leuten. Zu alten Leuten setze ich mich nicht, alt bin ich selber. Ich will mich ja weiterbilden, bei jungen Leuten erfahre ich etwas Neues“, sagt Wimmer. „Es ist wichtig, dass man etwas weiß.“
Die vietnamesische Maultrommel in Wimmers Sammlung ist aus Messing und wird von jungen Buben gespielt; die Bambus-Version spielen in Vietnam die Frauen. Zum Abschied spielt er uns auf dem vietnamesischen Brummeisen einen Walzer.
Noch mehr ausgefallene Handwerksg’schichten gefällig? Wir haben einen der letzten Schirmmacher in Salzburg besucht. Außerdem haben wir uns angesehen, welche Wehwehchen eine Puppendoktorin eigentlich verarztet.
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