Der Porno-Papa und das Käuzchen
Im Raucherbereich hängen die Nebelschwaden beharrlich zwischen den Wänden. Die Playlist, die besonders den Ohren von Alternativos und Studierenden schmeichelt, schwingt nur verhalten bis in den Nichtraucherbereich. Überall pflastert schrullige Deko vom Straßenschild bis zum Poster die Wände. Besonders am Wochenende versammelt das Käuzchen in der Neustiftgasse Studis und urbanes Publikum, das sich in bodenständigem Ambiente auf so manches Bier trifft. Authentische Beislstimmung wie aus einem Bilderbuch für Erwachsene. Dass sich zwischen vollen Aschenbechern und geleerten Gläsern aber schon bedeutend mehr Action abgespielt hat, als bloß das eine oder andere illuminierte Geschmuse, ahnt man nicht. Wo nach dem dritten Bier die Lider schwer werden, waren in der Geschichte des Käuzchens die Augen oft bei Weitem das einzige, das auf Halbmast stand. Das gmiadliche Beisel hielt in gar nicht allzu weiter Vergangenheit als Drehort für eine Wiener Pornoproduktion* her. Zweimal.
Exzentrischer Stammgast
„Jeder kannte ihn unter dem Namen Porno-Papa“, erzählt Barkeeper Mike Breiteneder über den Stammgast, dem das Käuzchen den unerwarteten Profi-Beischlaf zu verdanken hatte. Der Porno-Papa mit schneeweißem langen Haar, zu einem Zopf zusammengebunden, und einem metallic-blauen Pontiac mit Feueradler an der Seite war kein „Prolet“, betont Mike. Nur ein wenig exzentrisch.
Porno-Papa nannte man ihn deshalb, weil er ein Veteran der heimischen Erotikfilmbranche war. Nicht als Darsteller, sondern als Produzent der gefühlsechten Erwachsenenunterhaltung. Vom Käuzchen wohnte er nur einige wenige Meter weit entfernt und kam beim Äußerln mit seinem kleinen Hund immer mal wieder auf einen Kaffee vorbei. Wenn Mike von ihm erzählt, merkt man, dass sich über die Jahre eine Art Freundschaft zwischen den beiden entsponnen hat – in distanzierter Wertschätzung, eine Art skeptische Sympathie, irgendwie typisch für eine Barkeeper-Stammgast-Beziehung.
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Außerplanmäßiger Geschlechtsverkehr
Als der Porno-Papa das Käuzchen zum ersten Mal als Drehort für eines seiner XXX-Lustspiele in Beschlag nahm, kellnerierte Mike dort erst seit ein paar Monaten. Das ist mittlerweile etwa 17 Jahre her. Mit dem Lokalbesitzer war ursprünglich vereinbart, dass im Käuzchen selbst nur die Anbahnungsszene gedreht wird. So nennt man das beim Porno, wenn das präkoitale Pärchen sich erst mal kennenlernt und mit steifen Dialogen die Stummfilm-Ära schlagartig wieder attraktiv macht.
Jedenfalls sollten sich in der sogenannten „Kaschemme“ des Käuzchens, einer abgetrennten Sitzecke, an diesem Samstagvormittag ein Darsteller und eine Darstellerin vor der Kamera eigentlich bloß über der Gürtellinie annähern. Doch ehe Mike es sich versah, ging es in der holzvertäfelten Sitzecke auch schon richtig zur Sache. Aus einem inhaltslosen Dialog wurde inbrünstiges Stöhnen – wer weiß, manchmal überkommt es einen eben einfach. Wenn Mike heute davon erzählt, steht ihm die Verwunderung immer noch ins Gesicht geschrieben. Wer rechnet denn in einem verrauchten Studentenbeisl auch mit einem spontanen Porno? Vor allem aber hat sich in seine Erinnerung eingebrannt, wie plötzlich einer der Darsteller vor ihm an der Theke stand und um ein Glas Wasser bat. Nackt. Mit Erektion. Und Penisring. Gazer. Das war sein Künstlername. Er war der Star der Porno-Papa-Filme. „Ich war erstmal total schockiert“, sagt Mike.
Doch Gazers Erektion hätte an dem Tag nicht nur Mike alleine überraschen können. Denn jederzeit wäre es möglich gewesen, dass ein Gast in den Dreh hereinplatzt: Entschulidgen’S, ist bei Ihnen am Tisch noch frei? Extra abgesperrt war das Käuzchen dafür nämlich nicht – man ging ja auch nicht von mehr als ein paar ungelenken Dialogen aus. Tatsächlich reingestolpert ist dann aber doch niemand.
Wiener Beisltour Porno
Als der Lokalbesitzer von der ausgearteten Anbahnungsszene in der Kaschemme erfuhr, nahm er’s gelassen. So gelassen, dass er dem Porno-Papa und seiner Crew 2017 erlaubte, noch einen Film hier zu drehen – den Film mit dem viel androhenden Namen „Wiener Beisltour“. Der wurde allerdings nicht in der Sitzkoje des Käuzchens gedreht. Darin wäre es bei einer Personnage von drei Männern und drei Frauen auch etwas unübersichtlich geworden. Stattdessen stellte man dafür den großen hinteren Raum des Lokals zur Verfügung, der auch abgesehen von pornösem Rudelgefummel nur größeren Gruppen geöffnet wird. Diesen Dreh hätte man als nicht-kopulierender Gast aber ebenfalls mitbekommen können, sagt Mike. Zwar wäre man wohl nicht einfach so ins Hinterzimmer reingeplatzt, aber das Stöhnen war auch vorne an der Bar schwer zu überhören.
Beim Beisltour-Porno aus dem Jahr 2017 hat Mike zwar nicht hinter die Kulissen gelinst. Dafür war er aber bei vielen anderen Produktionen vom Porno-Papa vor Ort. Zwischen dem ersten und dem zweiten Käuzchen-Porno betrieb er nämlich ein eigenes Lokal im 9. Bezirk. Dort ließ er die Crew immer wieder ihre FSK-18-Filme drehen. „Ich habe so viel gesehen“, lacht er und schüttelt dabei leicht den Kopf. „Es ist eine ganz eigene Welt.“ Obwohl es während der Drehs natürlich mächtig zur Sache ging, beschreibt Mike Darsteller und Crew abseits des Hauptakts als völlig entspannt: „Die sitzen nackt zusammen, plaudern, scherzen.“ Cool.
Hinter den provisorischen Kulissen
Und gerade weil so ein Porno-Dreh den Darstellern und vor allem den Darstellerinnen körperlich wahnsinnig viel abverlangt, war die Crew laut Mike immer darauf bedacht, dass sich die Schauspielerinnen und Schauspieler möglichst wohlfühlen. Sobald ein Kostüm kratzte oder Steinchen auf dem Boden drohten, die Knie aufzuscheuern, brach man ab und kümmerte sich umgehend darum. So vorbildlich das alles klingt, so rau war allerdings das Vokabular, das am Set verwendet wurde. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen, meint Mike. Für die meisten Darstellenden war das aber offenbar längst Routine. Und wenn die Routine fertig abgespielt war, gehörte es zum Deal mit der Location, dass die Crew den Drehort selbst mit Desinfektionsmittel säubert. Nur falls sich die einen oder anderen Käuzchen-Besucherinnen und -Besucher jetzt schon fieberhaft gefragt haben, ob sie vielleicht schon mal versehentlich am Sex-Tisch gesessen haben.
Nicht nur das Käuzchen ist übrigens unerwarteter Drehort von Wiener Porno-Produktionen. Mike erzählt, dass der Porno-Papa unterschiedliche Locations in der ganzen Stadt bespielte, wie etwa auch einen Plattenladen oder ein Frisör-Geschäft, bis er vor etwa einem Jahr an einem Herzfehler verstarb. Das Business besteht durch einen Nachfolger fort.
*Trotz aller Skurrilität ist es wichtig, die Porno-Industrie selbst mit äußerst kritischem Auge zu betrachten. Viele Hetero-Pornos transportieren bis heute problematische bis toxische Geschlechterbilder, wie etwa die herabwürdigende oder erniedrigende Darstellung der Frau. Die Feministische Pornographie steuert dem seit einigen Jahren entschieden entgegen. Im Vordergrund stehen Lust, Erotik und Vielfalt der Sexpraktiken, die ohne Erniedrigung auskommen.
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(c) Beitragsbild | Viktoria Klimpfinger | 1000things