Der selbstgebastelte Streichelzoo von Simmering
Da schlendert man ganz unbeschwert durch Simmering, und plötzlich blökt’s, kräht’s und miaut’s: Auf einmal steht man vor dem Erlebnishof Simmering und Aug‘ und Aug‘ mit einem französischen Zwergschaf oder einem riesigen Brahma-Hahn. Was es damit auf sich hat? Wir haben uns das mal genauer angesehen.
Anm. der Redaktion: Der Streichelzoo ist seit 2019 nicht mehr öffentlich zugänglich und bietet keine Erlebnishof-Aktivitäten mehr an.
Eine bunte Herde aus Enten, Gänsen und Hühnern umringt Hannes Soukup aufgeregt, als er die schwielige Hand in seinen kleinen Maisbehälter taucht. „Die kommen zur Hand, das haben wir geübt“, erklärt der 75-Jährige stolz. Der restliche Mais, den er mit einem Schwung in die Geflügelbande wirft, trifft einen Enterich. Der zuckt aber nur gelassen mit den Flügeln.
Was klingt wie die idyllische Szene auf einem ländlichen Bauernhof, spielt sich mitten in Wien ab – naja, zumindest am Stadtrand. Bei der S-Bahn-Station „Zentralfriedhof“ ist der Erlebnishof-Offenstall Simmering seit Jahrzehnten ein Stück Wildes zwischen Friedhofsmauer und Wohnbauten. Im wörtlichen Sinn: Von außen sehen wahllos zusammengetragene Holzverschläge, Hütten und Abgrenzungen aus Baugerüstteilen nicht unbedingt nach romantischem Bauernhof-Feeling aus. Und schon gar nicht nach einem von der Stadt geförderten Erlebnishof. Also kein glattgebügeltes, hochglanzpoliertes Bilderbucherlebnis für die ganze Colgate-lächelnde Familie. Sondern das rebellische Liebhaber-Projekt eines Sammlers, das die Schaffensfreiheit überwörtlich nimmt.
„Begonnen hat alles vor 38 Jahren mit einem Shetlandpony“, erinnert sich Betreiber Soukup. Nach und nach kam mehr Fläche dazu. Und natürlich irgendwann die Liebe: Schließlich heiratete er die Tochter des benachbarten Verpächters und das glückliche Großgrundleben nahm seinen Lauf. Zumindest auf Teilzeitbasis: Das Ganze war für Soukup immer ein Hobby neben seinem Job bei der Gemeinde. Bis heute wohnt er nicht auf seinem selbstgebastelten Hof – wie auch? –, und kommt oft nur zum Füttern vorbei. Das private Grundstück des ursprünglichen Verpächters nebenan bewohnt mittlerweile seine Stieftochter Evi samt Familie mit Hunde- und Schildkrötenzucht.
Zwischen Holzverschlag und Wellblech
Über dreißig Jahre lang hat Soukup mit Unterstützung seiner Freunde und Familie alles Mögliche angehäuft, was man brauchen könnte, um sich selbst einen Bauernhof zu zimmern: Baumaterial von Abrissen, Wellblech, Holzlatten und verschiedenste Abzäunungen bilden die einzelnen Trakte des Hofes. Eine alte, massive Holzblockhütte mit rot-weiß-karierten Vorhängen und Holzsitzgruppe im Inneren erinnert noch am ehesten an ein gemütliches Bauernstüberl. Daneben lagert Soukup in einigen ramponierten Schuppen Futter und Geräte. Hier ein selbst angelegter Ententeich, dort ein kleines Gemüsebeet, und dazwischen das eine oder andere Tiergehege.
Improvisationstalent geht klar vor Know-How: „Ich bin ja kein Tischler, ich bin ein Pfuscher!“ Natürlich erweckt das bei vielen wahrscheinlich eher Sorge um die Haltungsverhältnisse als Bewunderung für kreatives Stümpern. Soukup nimmt’s gelassen: Bereits als Kind hatte er viele Haustiere. Das meiste Wissen hat er sich aber aus Büchern oder Dokus angeeignet. Und das Wichtigste: „Ich glaube, ich habe einfach einen guten Draht zu den Tieren.“ Und das merkt man auch: Wahrscheinlich ist es die Mischung aus diesem Draht, viel Fläche und einer Prise Wurstigkeit, warum sich die Tiere hier sichtlich wohlfühlen.
Schräge Herde
„Das ist die Elisabeth“, Soukup deutet auf die weiße Ponydame, die uns gemeinsam mit ihrer neugierigen Kleinpferd-Herde umsteht. „Die haben wir von einem Zirkus geschenkt bekommen.“ Elisabeth mit den aufmüpfigen Stirnfransen war der Ausgleich dafür, dass Soukupp Lamas für den Zirkus gehütet hat. Die Lama-Ladys waren trächtig und durften daher aus Sicherheitsgründen nicht in die Nähe der Manege. Genauso wie der Hof, sind also auch seine Bewohner bunt zusammengesammelt.
So kommt es, dass Soukup nicht unbedingt Streichelzoo-typische Tierrassen beherbergt. Wie zum Beispiel Pauline, Herrn Böck und Sir Henry, drei französische Minischafe, deren streitlustiges Geblöke tatsächlich etwas von französischen Umlauten hat. Die Mini-Gang hat Soukup vom Freiluftmuseum Niedersulz bekommen. „Die sind dort anscheinend Rassisten“, zwinkert er. Offenbar hatte man nur Platz für heimische Schafe und kein Interesse an ihrer kleinwüchsigen französischen Verwandtschaft mit den seltsamen Hörnern. Den ebenfalls exotisch aussehenden Hahn Gocki hat Soukup von einem Privatbesitzer, der wegen dem schwarzgefiederten Riesenhahn und seinen sechs Hennen fast aus seiner Wohnung geflogen wäre. Der Prachtgockel gehört zur Rasse der Brahma-Hühner, die für ihre beachtliche Größe bekannt sind. „Wir sind aber kein Gnadenhof“ – das ist Soukup wichtig.
Mensch meets Tier
Ebenfalls wichtig ist Soukup die Begegnung zwischen Mensch und Tier. Wenn er nicht da ist, ist der Hof zwar geschlossen. Aber ein abgezäunter Teil seitlich davon ist jederzeit frei zugänglich. Über die Haupttür „Am Kanal“ gelangt man hinein, über eine zweite Tür am Ende des Hofes wieder hinaus Richtung Simmeringer Hauptstraße. Dazwischen kann man von außen in die Gehege schauen und wird dabei von Enten, Gänsen und Co. skeptisch begleitet. Die kommen nämlich über ein Loch im Zaun in den öffentlich zugänglichen Bereich und veranstalten so jederzeit ihren eigenen Streichelzoo. Wie so oft, ziehen frei zugängliche Attraktionen nicht nur wohlwollende Besucher, sondern auch den einen oder anderen Pfosten an. Manche halten sich nicht an die Hofordnung auf der Hinweistafel am Eingang oder klettern einfach über den Zaun. „Da kann ich schon grantig werden“, murrt Soukup. „Aber da haben’s Pech gehabt!“ Das glaubt man den rüstigen Bastler aufs Wort.
Unter der Woche öffnet Soukup seinen Hof für Schulklassen oder Kindergeburtstagsfeiern. Selten liegt der Altersschnitt über zehn. Am Wochenende kommen oft Familien zum Tiere-Schauen: „In letzter Zeit vor allem Familien mit Migrationshintergrund“, stellt Soukup fest.
Seit der Hof von der MA 22 gefördert wird, ärgert sich der Freizeit-Bauer immer wieder über einige Auflagen. Irgendwie erfüllt er sie dann aber doch, denn das Geld hat der Hof bitter nötig. Die Kindergruppen bringen mit fünf Euro Futterkostenbeitrag pro Kind nicht das große Vermögen. Hin und wieder übernimmt jemand eine Pony-Patenschaft für 80 Euro im Monat. Einiges kommt auch über die Spendenbox am Eingang zusammen. In Summe erhält sich der Impro-Streichelzoo also selbst, wirft aber nicht genug ab, um Ausbauten und Verbesserungen zu finanzieren. „Wir werden den Hof halten, so lange wir können“, der Bammel vor der Zukunft ist Soukup anzuhören. Wer das Ganze nach ihm einmal weiterführen wird, ist ungewiss.
Wer Unordnung und Durcheinander nur schwer aushält, der ist vielleicht in einem konventionellen Tierpark besser aufgehoben. Wir verraten euch, welche unserer Meinung nach die coolsten sind.
(c) Beitragsbild | Viktoria Klimpfinger | 1000things