7 Dinge, die du kennst, wenn du im Speckgürtel aufgewachsen bist
Wiener*innen und Tourist*innen verbinden den Speckgürtel meist mit den schönen Dingen des Lebens. Die scheinbar heile Welt verliert aber ganz schnell ihren Glanz, wenn man dort aufwächst.
Der Wiener Speckgürtel – was für viele idyllisch nach Heurigen, Wienerwald und Ziesel füttern klingt, war für mich zu Teenagerzeiten eher die Hölle auf Erden. Meine Eltern haben sich damals nach etwas gesehnt, das den Komfort der Großstadt mit der idealen Brutstätte für Kinder verbindet. Dabei fiel ihre Wahl zu meinem Leidwesen auf eine kleine Ortschaft fünf Minuten von der Grenze zu Liesing. Für mich war Wien Umgebung aber so gar nicht “the best of both worlds” à la Hannah Montana sondern eher “the worst”. Warum, das erfahrt ihr hier. Vorhang auf für meine Liste an Dingen, die den Speckgürtel zu dem machen, was er ist.
Nicht Fisch, nicht Fleisch
“Du bist ja keine Wienerin” – wenn ich für jedes Mal, wenn dieser Satz fällt, einen Euro bekommen würde, könnte ich mir bereits jetzt das Leben all dieser Hater*innen kaufen. Mittlerweile bin ich aber dazu übergegangen, nicht mehr lang und breit zu erklären, dass ich in Wien geboren und zur Schule gegangen bin, sowie 99 Prozent meiner Zeit in der Bundeshauptstadt verbringe und mich daher mehr als Wienerin identifiziere als so manche Städter*innen, die am Wochenende der Landflucht frönen, weil sie es im Smog der Verkehrshölle nicht mehr aushalten. Trotzdem ist es Letzteren unheimlich wichtig, sich dezidiert von den Speckgürtler*innen abzugrenzen. Vielleicht sind sie auch einfach nur neidisch auf so mancher Leute Luxus-Pools und die malerischen Joggingrouten, die sich direkt vor unseren Haustüren erstrecken. Das würde zumindest den scheinbar grenzenlosen Hass erklären, der jede*n Liesinger*in trotz Parkplatzüberflusses überkommt, wenn vor der Haustür ein Auto mit niederösterreichischem Kennzeichen steht. Sorry Sabine, darfst eh zum Schwimmen vorbeikommen.
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Für immer und ewig zuagrast
Man sollte annehmen, wer von den Wiener*innen nicht als eine*r der Ihrigen angenommen wird, findet zumindest bei den Niederösterreicher*innen ein Zugehörigkeitsgefühl. Paradoxerweise sind aber auch die der Meinung, dass die Speckgürtler*innen ein ganz eigenes Völkchen sind, deren genetisches Material sich ganz entschieden von dem ihren unterscheidet. Im Blut von waschechten Niederösterreicher*innen fließt nämlich augenscheinlich nichts anderes als Waldviertler Mohn, Wachauer Marillen und Mostviertler – äh, Most. Ebenso utopisch wie diese Unterstellung ist auch die Argumentation der Ortsansässigen. Wer nicht mindestens seit zehn Generationen in Wien Umgebung wohnhaft ist und den dazugehörigen Vierkanthof samt dreißig Hektar Felder zum Beweis vorlegen kann, ist und bleibt ein*e “Zuagraste*r” und hat sich somit – natürlich komplett selbst verschuldet – ins soziale Aus der dörflichen Gemeinschaft katapultiert. Einzig die Mitgliedschaft bei Parteijugend, Kirchenchor und Jungschar können Aussicht auf Besserung bieten – aber auch nur scheinbar. Einmal zuagrast, immer zuagrast – da fährt die Pottendorfer Linie drüber.
Ein Schulweg aus der Hölle
Die Pottendorfer Linie bringt mich gleich zu meinem nächsten Punkt: den einigen wenigen Verbindungen zur Außenwelt. Als Inbegriff eines Bimmelzugs karrt sie alle armen Kinder aus dem südlichen Speckgürtel mit quälender Langsamkeit in die Schule oder an den Ort der Sehnsucht aka Wien. Mein Beileid an alle, die mein Schicksal geteilt haben und deren Schulweg sich jeden Tag ähnlich lang angefühlt hat wie Frodos Reise nach Mordor. Stundenlanges Warten im Regen, scheinbar nie enden wollende Wanderungen in der Gluthitze oder olympisch anmutende Sprints zum Bus, der immer immer entweder zu früh, zu spät aber garantiert nie pünktlich kommt, entstammen bei mir nicht nur den überzeichneten Erzählungen meiner Boomer-Eltern, sondern waren die tägliche, beinharte Realität. Klingt melodramatisch? Ist es vielleicht auch aber seid ihr erst einmal als pubertierende Jungspunde auf einen Bus angewiesen, der nur einmal die Stunde und abends sowieso gar nicht fährt – dann reden wir weiter.
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Nachts ist tote Hose
Wer aufgepasst hat, ahnt schon wie die Reise weitergeht. Mit Einbruch der Dämmerung scheint es, als würde der gesamte Speckgürtel in einen lähmenden Tiefschlaf fallen durch den auf einmal alles stillsteht. Wer einen Katzensprung von Wien entfernt aber eben gerade nicht mehr in der Bundeshauptstadt wohnt, hat durch diesen Affront anscheinend jegliches Recht auf die Vorteile des modernen Lebens verwirkt. Einkaufen nach 19 Uhr – Fehlanzeige. Öffis fahren wollen nach 10 Uhr abends – für VOR anscheinend ein komplett abwegiger Gedanke. Wer im südlichen Speckgürtel nach 18 Uhr noch etwas unternehmen möchte, hat genau zwei Optionen: Sich im komplett abgeranzten Melkerkeller die Schuhe auf dem Lehmboden gatschig tanzen oder nach Wien reinfahren. Ersteres macht ihr genau einmal bevor ihr jedes Mal die weite Reise in die Wiener Partygefilde antretet und damit eben auch das Problem mit dem Nachhausekommen auf euch nehmt. Besonders ungern erinnere ich mich dabei an meine 16. Geburtstagsfeier zurück, bei der ich die erste war, die die illustre Runde verlassen musste. Das elterliche Taxi fährt eben auch nur zu christlichen Uhrzeiten.
Du besuchst deine Freund*innen, nie andersherum
Sie umgehen es zwar alle höflich mit “Wollen wir nicht besser in ein Café” oder “Komm doch lieber zu mir”, aber des Pudels Kern ist immer der gleiche. Niemand, absolut niemand, möchte nach Leopoldsdorf, Gerasdorf, Wolfsgraben oder Mauerbach rausfahren und sich dann mitten in der Nacht mit der Frage nach dem nachhause kommen beschäftigen müssen. Nicht einmal besagter Pool, der die Sabines grün vor Neid werden lässt, konnte meine Schulfreund*innen davon überzeugen, öfter als einmal im Jahr zur obligatorischen Geburtstagsfeier in meinem Elternhaus vorbeizuschauen. Und selbst dann ging es spätestens nach dem Abendessen los mit Planung der Heimreise. Wenn die*der Erste in Aufbruchstimmung kommt, startet natürlich just das Zusammenreden und Taxis teilen aufgrund der horrenden Kosten – wer eine Landesgrenze überschreitet, zahlt doppelt – und schwuppsdiwupps ist das Geburtstagskind am eigenen Ehrentag viel zu früh mit einem Berg Geschirr allein zuhaus. Nicht cool.
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Pensionist*innen und Kinder soweit das Auge reicht
Gut zugegeben, das war hart. Aber verdient. Natürlich hat der Speckgürtel wenn man ihn nicht aus einer komplett gebiasden Perspektive betrachtet auch viele schöne Seiten. Für Kinder und Pensionist*innen vor allem. Denn außer den leidigen Vereinsaktivitäten, verstaubten Gasthäusern und ramponierten Kinderspielplätzen haben die Ortschaften rund um Wien nicht viel an Freizeitoptionen zu bieten. Kein Wunder also, dass sich halbwüchsige Aktivitäten wie heimliches Rauchen oder das erste Mal Schmusen oftmals in irgendwelchen Windschutzgürteln unweit des elterlichen Einzugsgebiets abspielen. Später kommt dann immerhin die Option “zum Heurigen gehen” dazu, die oftmals auch zur wöchentlichen Familienaktivität auserkoren wird. Bei einem Achterl Rot lässt sich die unglaubliche Fadesse des vorstädtischen Lebens eben auch besser ertragen.
Voyeurismus, aber nicht so richtig
Die neugierige Nachbarin, die jeden Morgen um 7 Uhr 40 mit dem Pudel an deinem Vorgarten vorbeispaziert und einen tiefen Blick in dein Wohnzimmer wirft, gibt es im Speckgürtel quasi gratis zum Interieur der obligatorischen Doppelhaushälfte dazu. Wer sich nicht dafür interessiert, was die Nachbar*innen tun oder es zumindest als Gesprächsthema bei der Nachmittagsjause braucht, zieht schlicht und einfach nicht in die Vorstadt. Hier redet jede*r über jede*n aber im Unterschied zum “richtigen” Land kennt niemand den anderen so richtig. So etwas wie eine Dorfgemeinschaft existiert nur innerhalb der exklusiven bäuerlichen Clubs zu denen Geburt, Heirat oder eine ÖVP-Mitgliedschaft die einzigen Eintrittstickets sind. Der Großteil der Speckgürtler*innen hat aber, verständlicherweise, Landflucht und kommt nur zum Schlafen hierher – für mehr reicht es eben einfach nicht.
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(c) Facebook-Beitragsbild | 8moments | pixabay