Wie es ist, in Wien vorübergehend im Rollstuhl zu sein
Redakteur Sebastian Gruber von andererseits braucht für drei Wochen einen Rollstuhl. Hier erzählt er, wie er Wien mit Rollstuhl erlebt.
Wir arbeiten mit andererseits zusammen. andererseits setzt sich für Inklusion im Journalismus ein. Das bedeutet: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten hier zusammen an journalistischen Formaten. Mehr Infos zur Kooperation findet ihr im Beitrag dazu und hört ihr in unserer Podcast-Folge mit andererseits.
Ich war am 30. April 2022 wandern zur Walpurgisnacht, vom Lainzer Tor zur Mohrenberger Alm auf der Perchtoldsdorfer Heide. Am Abend sind wir noch beisammengesessen, haben gegessen und getrunken. Als ich aufstehen wollte, blieb ich mit dem Fuß am Gestell der Bank hängen, verlor das Gleichgewicht und flog mitsamt der Bank um. Erst dachte ich, ich habe mir bloß den Knöchel verstaucht. Doch am nächsten Tag stellte sich heraus: Ich habe mir das Wadenbein gebrochen und brauche drei Wochen lang einen Gips.
Mit dem Gehgips kann ich grundsätzlich gehen. Bei langen Strecken fahre ich aber mit dem Rollstuhl, denn ich kann wegen meines Gleichgewichtes mit Krücken nicht gehen und es ist sicherer mit dem Rollstuhl. Bei kurzen Strecken oder wo ich mich sicher fühle, gehe ich. Plötzlich lerne ich Wien aus einer neuen Perspektive kennen. Plötzlich muss ich mir mehr Gedanken über Randsteine und Aufzüge machen. Ich möchte euch davon erzählen.
„Please mind the gap“
Ich musste erstmal üben, wie ich am besten vom Rollstuhl auf die Couch und Retour kam, sowie beim Bett, am Klo und bei der Eingangstür hinaus, damit kam ich aber sehr bald zurecht.
Heute möchte ich einen Spaziergang durch die Innenstadt machen. Um dorthin zu kommen, nehme ich die U-Bahn. Ich habe zwar gesehen, dass die Öffis gut ausgebaut sind, aber leider komme ich in den alten Waggons ohne Hilfe nicht rein, weil sie einen Spalt haben. Bei den neuen komme ich ohne Hilfe rein, aber nur ganz vorne oder ganz hinten, weil es dort eine kleine Rampe gibt.
Mehr Zeit einplanen
Beim Stephansplatz muss man, um ganz nach oben zu gelangen, viel Zeit mitbringen. Man muss nämlich mit zwei Aufzügen fahren. Der eine fährt sehr lange bis in den Halbstock, der zweite ist sehr klein und eng. Jetzt bin ich aber endlich angekommen.
An vielen Orten im 1. Bezirk kann man ganz problemlos mit Rollstuhl herumkommen, es gibt niedrige oder keine Randsteine. Außerhalb ist es schon wieder schwieriger, weil die Randsteine hoch sind. Wenn man hinauffahren will, muss man ganz langsam hinfahren und sich nach vorne lehnen, sonst wirft es einen aus dem Rollstuhl. Auch bei Ampeln, bei denen eine Insel dazwischen ist, fahre ich außerhalb, sonst brauche ich zwei Ampelphasen. Was mir besonders auffällt: Wenn ich mit dem Rollstuhl wohin fahre, muss ich eine längere Zeit einplanen. Ich bin damit gut zurecht gekommen, dass der Weg länger gedauert hat als normal, aber ich musste immer viel früher wegfahren als üblich.
Barrierefreie Öffis
Ich finde, dass alle U-Bahn-Züge, Busse und Straßenbahnen barrierefrei werden sollen oder zumindest, dass bei der U-Bahn bei jeder Türe eine Rampe sein sollte, nicht nur bei der ersten oder der letzten. Das wäre nicht nur für Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen leichter, sondern auch für alle Pensionisten und Pensionistinnen. Alle Gehsteige in Wien sollten sehr niedrig für Rollstühle gemacht werden oder ebenerdig sein, wie an vielen Stellen beim Lugeck nahe des Stephansplatzes.
Am 24. Mai habe ich meinen dreiwöchigen Gips herunterbekommen. Es ist ein befreiendes Gefühl, keinen Gips mehr zu haben. Jetzt weiß ich ein bisschen besser, wie Menschen sich fühlen, die den Rollstuhl sehr dringend benötigen.
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