Ein paar Gedanken zum Wiener Dialekt
Geh, Peppal, plausch‘ net! Es sei denn, du plauschst im Wiener Dialekt. Dann bist du hier richtig. Denn wir haben uns auf die Suche nach dem Wienerischen begeben und auf dem Weg nicht nur Eitrige und 16er-Bleche gefunden.
Tirol krächzt, die Steiermark bellt und in Kärnten gibt‘s sowieso alles nur in verkleinerter Form. Aber was ist eigentlich mit Wien? Bis auf das angeblich so typisch Wienerische „Ur“, das alle anderen Bundesländer aus dem Stand auf die Palme bringt, ist man sich in Sachen Wiener Dialekt selten wirklich einig. Die einen assoziieren sofort den derben Mundl, den anderen schwirrt das näselnde Schönbrunner Deutsch im Ohr herum. Wir haben mit Sprachwissenschaftlerin Lisa Krammer, die den Mundart Podcast betreibt, darüber gesprochen, wo denn das typisch Wienerische zwischen „Mei Bier is net deppert“ und „Pardon, gnä‘ Frau“ zu finden sein könnte.
Was heißt hier bitte „Dialekt“?
In unserem Gespräch betont Lisa immer wieder mit Nachdruck, dass es wichtig ist zu klären, was wir mit dem Ausdruck „Dialekt“ überhaupt meinen. Denn zugegeben: Sprachwissenschaftler würden wahrscheinlich allerorts auf die Barrikaden steigen, wenn wir hier so mir nichts, dir nichts mit Begriffen wie „Mundart“, „Umgangssprache“, Dialekt“ herumjonglieren, ohne nicht wenigstens kurz zu erklären, was genau sie bedeuten.
Definitionen dafür gibt es sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in den Köpfen der Sprechenden viele. Daher legen wir ganz grob fest und ohne uns zu sehr mit terminologischen Spitzfindigkeiten aufzuhalten: Mit „Dialekt“ ist hier eine regionale sprachliche Ausprägung gemeint. Viele verwenden den Begriff gleichbedeutend mit „Mundart“ –, die von der deutschen Standardsprache abweicht, die wiederum viele fälschlicher Weise in der Umgangssprache als „Hochdeutsch“ bezeichnen. Ups. Schon sind wir mittendrin im begrifflichen Wirrwarr.
Sprachlicher Mischmasch
Aber Spaß mit Fachbegriffen beiseite – was ist denn nun der Wiener Dialekt? Vornehmlich eines: ein Sammelsurium, was wohl vor allem mit Wiens Rolle als zentraleuropäischer Ballungsraum und seiner Geschichte als Hauptstadt des Habsburgerreiches zusammenhängt. Es hat Einflüsse aus dem Französischen, Tschechischen, Jiddischen, ja sogar dem Rotwelschen, einem alten Gauner- und Vagabundenjargon. Das würde vielleicht auch den hartnäckig unterstellten Hang der Wienerinnen und Wiener zu kreativen Kraftausdrücken erklären.
Aber wir schweifen ab. Viele Begriffe, die wir für typisch Wienerisch halten, sind es also oft im Kern gar nicht – „Beisl“ oder „Hawara“ stammen etwa aus dem Jiddischen, „Bassena“ (frz.: bassin), „Lavour“ (frz.: lavoir), aus dem Französischen –, und gerade deshalb sind sie eben doch typisch wienerisch. Denn wenn das Wienerische überhaupt erst aus der Vielfalt der Sprachen heraus entstanden ist, sind unterschiedliche sprachliche Einflüsse sein Charakteristikum schlechthin; seine schwere Fassbarkeit wäre somit vielleicht bestes Definitionskriterium. Und würde das nicht bedeuten, dass das Wienerische strenggenommen gar nicht aussterben kann, sondern sich eben einfach immer weiter verändert?
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Wenn sich der Dialekt vertschüsst
Gut, ganz so einfach ist das natürlich nicht. Denn gerade in großen Städten geht der Dialekt generell immer stärker zurück und macht der breiter verständlichen Standardsprache Platz. Lisa beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Sprachgebrauch an Universitäten und fand heraus: „Im Studium ist es so, dass Studierende, die in Wien aufgewachsen sind, de facto keinen Dialekt mehr sprechen. Besonders dialektloyal sind hingegen die Studierenden aus Oberösterreich.“
Doch je mehr sich das Wienerische im Alltag scheinbar verflüchtigt, desto lauter wehrt es sich zurzeit etwa in der Musik gegen das Vergessen: Ob Wanda, Der Nino aus Wien oder Wiener Blond – sie alle bedienen sich dem Wienerischen. Allerdings eher als Kunstsprache, als absichtlich markiertes Sprachzeichen, das uns gerade deshalb sofort ins Ohr springt, weil wir es im Alltag kaum noch hören. Kunst konserviert.
Die berühmte Eitrige
Und was wir hören – und anderen weitergeben –, ist oft zum Klischee stilisiert. „Wie stellt sich Wien für Touristen und Touristinnen sprachlich dar?“, fragt Lisa. „Ist es wirklich der Würstelstand, der einen (fake-)wienerischen Dialekt auflegt, um Wien zu repräsentieren? Ist findet man den Wiener Dialekt eher im Prater oder während einer Fiakerfahrt?“ Bei all diesen Ansichtskartenstereotypen spielt der Wiener Dialekt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Und wie oft haben wir nicht selbst schon mit gönnerhaftem Grinser Gäste aus Deutschland oder auch nur aus Niederösterreich dazu aufgefordert, beim Würstelstand „a Eitrige mit an Bugl, an Krokodü, am G’schissenen und am 16er-Blech“ zu bestellen.*
Lustiges Spielchen. Besonders wenn man bedenkt, dass wahrscheinlich kaum ein Wiener oder eine Wienerin je wirklich so eine Käsekrainer und ein Bier bestellt haben. „Ich vermute, dass man am ehesten den Wiener Dialekt in seinen Ursprüngen noch in einem Alt-Wiener Kaffeehaus hören könnte“, sagt Lisa. „Und dann aber bitte eine Melange mit Apfelstrudel inklusive einer Portion Wiener Schmäh oder von einem grantigen Kellner serviert.“ Dass der Kellner in dem Alt-Wiener Kaffeehaus, in dem wir uns getroffen haben, lächelnd die Rechnung bringt und uns auf Hochdeutsch verabschiedet, ist vielleicht bloß Zufall.
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Was das Wienerische also wirklich ausmacht, ist zwischen touristentauglicher Inszenierung und hausgemachtem Mundl-Kult kaum noch klar herauszuhören. Aber womöglich wird der Versuch, es festzupinnen und einzugrenzen, dem Charakter des Wienerischen auch gar nicht gerecht. Vielleicht ist es stattdessen besser, ihm seinen schwer definierbaren Freiraum zu lassen. Je vielfältiger, desto besser. Denn wenn schon die echten Wiener nicht untergehen, wird das Wienerische erst recht nicht die Patsch’n streck’n.
Jetzt hab ihr Lust, selbst euer Dialektwissen auf die Probe zu stellen? Dann macht am besten unser Mundart-Quiz! Ihr wollt auf dem Laufenden bleiben? Dann registriert euch und folgt unserer Liste Quizzes für regelmäßige Updates.