Fahren drei Deutsche in die Antarktis: Vom Mut, sein Ding zu machen
Dennis, Tim und Michael machen erfolgreich „irgendwas mit Medien“ – auch wenn manche meinten, das sei aussichtslos. Ihr letzter Streich war eine Reise in die Antarktis. Nun kommt der Film über diese Expedition in die österreichischen Kinos. Er ist irgendwie eine Dokumentation, aber irgendwie auch ein V-Log. Jedenfalls ist er ein Plädoyer dafür, sein Ding durchzuziehen, egal wie viele Zweifelnde einen umgeben. Wir haben mit Dennis und Tim gesprochen.
Häufig bekommt man als junger Erwachsener mit untypischen bis ungewöhnlichen beruflichen Ambitionen folgenden Satz in seinen vielen Abwandlungen zu hören: „Willst du nicht lieber etwas Vernünftiges machen?“ Diese Aussage kann verunsichernd bis verletzend sein. Drei junge Deutsche hat sie zum bisher größten Projekt ihres Lebens angespornt – unter anderem. Dennis Vogt (26) und Tim David Müller-Zitzke (24) sind aus der Nähe von Göttingen an die Hochschule Bremerhaven, um dort den Bachelor Digitale Medienproduktion zu studieren. Der Bremerhavener Michael Ginzburg (30) ist von seiner Heimatstadt aus als Foto- und Videojournalist auf der ganzen Welt unterwegs. Die Antarktis zu bereisen war lange ein Traum der drei Freunde.
Also haben sie sich auf den Weg gemacht und ihre Reise dokumentiert. Das Resultat heißt Projekt: Antarktis. Am 5. April kommt der Film in die österreichischen Kinos. Dennis, Tim und Michael werden fünf Tage lang in Österreich unterwegs und bei neun Vorstellungen persönlich anwesend sein. Wir haben den Film vorab gesehen und per Skype mit den Jungs über ihre Expedition gesprochen und über den Mut, Träume zu leben und seinen eigenen Weg zu gehen – allen Zweifeln Außenstehender zum Trotz.
1000things: Was löst denn bei euch dieser Satz „Macht doch was Vernünftiges“ aus? Was habt ihr euch da früher dabei gedacht, wenn euch das jemand gesagt hat?
Tim: Wir haben eigentlich gerade deswegen die Motivation gehabt, das dann erst recht zu machen. Weil wir zeigen wollten, dass es geht. Wir konnten uns nie vorstellen, jeden Tag für etwas aufzustehen, auf das wir eigentlich gar keinen Bock haben, einfach nur weil es Geld bringt. Das ist in unseren Augen die falsche Einstellung.
In welchem Rahmen ist denn letztendlich dieser Entschluss gefallen, eure Reise in die Antarktis anzugehen? So richtig „Das machen wir jetzt“?
Dennis: Michael, Tim und ich haben schon öfter Projekte gemeinsam gemacht. Wir haben immer wieder ein Bierchen zusammen getrunken und da ist dann der Gedanke gereift. Irgendwann haben wir das alles einmal auf eine DIN-A4-Seite niedergeschrieben und von da aus ist es dann eigentlich gestartet. Also man kann sagen, mit einem Blatt Papier hat alles angefangen.
Wie lässt man sich von diesem großen Berg an Arbeit nicht entmutigen, vor dem man bei so einem Projekt steht?
Tim: Man hat natürlich Angst, dass es nicht klappt. Aber Angst schafft auch Motivation, Konzentration und Einsatz. Wir haben nie wirklich gedacht, dass wir das alles gar nicht schaffen. Uns war immer klar, dass es sauanstrengend wird, wir es aber durchziehen.
Dennis: Klar, man hat dann dieses große Ziel und es scheint erst einmal unmöglich. Wir haben uns immer kleinere Ziele gesetzt, Zwischenziele. Das würde ich jedem empfehlen. Du musst nicht von jetzt auf gleich, in die Antarktis fahren. Schreib doch einmal die erste E-Mail an jemanden, der vielleicht ein potentieller Geldgeber wäre. Ich denke mit kleinen Meilensteinen kann man sich sehr gut zum großen Ziel hangeln.
Wie haben denn eure Familie, eure Freunde darauf reagiert, als ihr eure Pläne verkündet habt?
Dennis: Ich habe immer mal wieder erwähnt, dass wir das machen wollen. Die wussten schon lange, dass wir öfter darüber gesprochen hatten. Irgendwann habe ich dann gesagt: Jetzt packen wir’s richtig an. Am Anfang hieß es natürlich erst einmal: „Ja, mach mal, bin mal gespannt.“ Als wir dann das erste Geld eingesammelt hatten und irgendwann die Reise feststand, waren die Leute schon auf unserer Seite, haben uns unterstützt und gesagt: „Zieht das durch!“
Tim: Die Sponsoren waren ein bisschen schwieriger zu überzeugen. „Wir wollen euer Geld und wir fahren jetzt in die Antarktis und machen darüber auch noch einen Kinofilm.“ Da haben sie sich erst einmal an die Stirn getippt. Aber wir haben‘s dann einfach hundert Mal versucht und es hat ein paar Mal geklappt und das hat dann gereicht, um das Ding zu starten.
Was waren für euch persönlich die wichtigsten mentalen Vorbereitungsschritte für euer Projekt?
Tim: Erst einmal muss man sich darauf vorbereiten, dass man sehr, sehr oft an seine Grenzen kommen wird. Es war für uns völlig klar, dass wir auch durch die mangelnde Bezahlung echt auf dem Zahnfleisch gehen werden. Wir mussten dann neben dem full-time-Job der Vorbereitung vorher und der Produktion nachher eigene Aufträge machen, um uns überhaupt über Wasser halten zu können. Aber auch das gehört dazu. Wenn man ein Ziel verfolgt, ist es klar, dass man Opfer bringen muss. Letztendlich lohnt es sich.
Dennis: Man muss offen sein für das ganze Neue. Man weiß nicht, was passiert, man hat auch ein bisschen Angst. Man kann nicht abschätzen, wie das Projekt läuft, ob wir überhaupt wieder zurückkommen aus der Antarktis. Man muss sich einfach aus der comfort zone herauswagen.
Warum habt ihr als Reiseziel ausgerechnet die Antarktis ausgewählt?
Tim: Also Reiseziele gibt’s natürlich viele, aber wir haben von Anfang an gesagt, die Antarktis ist unser Traum und da wollen wir hin. Die Antarktis ist auch ein sehr gutes Symbol für etwas fast Unerreichbares. Es gibt wenig Flecken auf der Erde, die so weit weg sind von Deutschland und die auch so schwer zu erreichen sind. Wir wollen mit dem Film ja nicht nur die Reise zeigen, sondern wir wollen eben auch dazu motivieren, sein eigenes Ding zu machen. Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, seinen Traum zu erreichen. Dass es eben nicht immer dieser vernünftige lineare Lebenslauf sein muss, sondern dass es eben auch anders geht.
Dennis: Wir wollen mit diesem Film auch zeigen, dass der Weg nicht immer der einfachste ist und man oft kämpfen muss. Gerade auch wegen der Drake-Passage. [Anm. d. Red.: Die Drake-Passage ist die Meeresstraße zwischen Kap Hoorn und der Antarktischen Halbinsel. Von Ushuaia in Argentinien aus führt der Seeweg zur Antarktis durch die Passage.] Das ist eine der stürmischsten Seen weltweit, da muss man hart kämpfen.
Habt ihr das Gefühl, das kann man so auch aufs restliche Leben auslegen?
Tim: Das ist sehr frei übertragbar. Jeder hat seine Antarktis. Etwas, an das er sich nicht herantraut, etwas, wovon ihm echt alle abraten. Weil sie sagen es ist unvernünftig, unsicher, es ist vielleicht nicht das Bestbezahlte. Wir sind der Meinung, dass es das Wichtigste ist, dass man Bock hat auf das, was man tut. Und dann werden sich Wege finden, davon auch zu leben. Wir finden es so schade, wenn wir hören, dass sich Leute nicht trauen, diese Sachen anzugehen und dann für den Rest des Lebens zum Beispiel irgendeinen Job machen, auf den sie eigentlich gar keinen Bock haben.
Zuhause hat man mehr oder weniger seinen eingespielten Alltag. Wie hat sich denn euer Alltag auf dem Schiff verändert?
Tim: Man legt sein Leben in die Hand der Expeditionsleitung. Das ist sehr spannend. Man darf auf dem Schiff nichts machen, das nicht von oben abgesegnet wird. Also für jede Bewegung auch außerhalb des Schiffes, muss man durch drei, vier Instanzen. Dazu kommt das Wetter. Man kann noch so gut planen und dann macht einem das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Und das Wetter hat sich auch mal am Tag drei, vier, fünf Mal geändert in der Antarktis. Das geht so schnell. Also muss man sehr viel absprechen, hat aber dafür sehr viele Überraschungen. Es ist echt schwierig zu planen und zu arbeiten. Ansonsten war es sehr eng auf dem Schiff, sehr wenig Privatsphäre.
Dennis: Wir wussten von Anfang an, dass wir dort kein Internet haben. Als wir dann aber wirklich gemerkt haben, dass wir das ganze Social-Media- und Internet-Gedöns gar nicht brauchen, war es sehr angenehm. Dass man sich wirklich hingesetzt hat mit den Leuten, gequatscht hat, supertolle Geschichten erfahren hat. Man fängt an, die Zeit sinnvoller zu nutzen. Ich persönlich bin jetzt in Deutschland kaum mehr auf Facebook und mir fehlt es auch gar nicht.
Tim: Wir haben es auch gerade nach der Wiederkehr auch ganz krass gemerkt. Du erfährst auf dem Schiff nichts davon, was im Rest der Welt los ist. Und auf einmal legst du wieder in Süd-Argentinien an und siehst wieder Werbung und alles Mögliche. Da merkt man plötzlich, wie viele Eindrücke das Gehirn tagsüber verarbeiten muss. Eigentlich ist Langeweile etwas richtig Tolles. Da kann man kreativ werden und fängt an, nachzudenken.
Wie war das, die Antarktis zum ersten Mal zu betreten?
Tim: Es ist etwas ganz Ungewohntes, einen Flecken Erde zu betreten, der niemandem gehört. Durch den Antarktis-Vertrag ist eben geregelt, dass das so bleibt. Dass da keine Industrie angesiedelt wird, keine Kriege geführt werden und damit der Friede gesichert ist. Das Land, unter dessen Flagge das Schiff segelt, mit dem du kommst, ist dafür zuständig, dass die Regeln nicht gebrochen werden.
Rückblickend, was war denn die größte Überraschung und was die größte Enttäuschung eures Projekts?
Dennis: Ich glaube die größte Überraschung für uns war, wie der Film angekommen ist. Wir haben den Film nicht nach irgendwelchen filmischen Richtlinien gemacht. Wir haben sehr viel elektronische Musik benützt und nicht das klassische Doku-Genre bedient, was auch ein Kritikpunkt von den „offiziellen Kritikern“ war. Vom Publikum haben wir sehr tolles Feedback gekriegt. Wir hatten teilweise ältere Herrschaften, die weit über 60 und 70 [Jahre alt] waren. Die sind nach dem Film aufgestanden, haben geklatscht und gesagt, dass ihnen die Musik besonders gut gefallen hat. Das war eine große Überraschung, dass man da gar nicht in Zielgruppen denken kann, sondern wenn etwas neu, cool, innovativ und spannend ist, gefällt das jedem.
Tim: Mir ist gerade noch eine Enttäuschung eingefallen, die dazu passt: dass viele Leute gar keine Lust auf dieses Neuartige haben, darauf, sich neu inspirieren zu lassen, von ihren alten Mustern wegzukommen. Ein paar alteingesessene Filmkritiker haben das Konzept überhaupt nicht angenommen, haben es gar nicht verstanden. Die haben gesagt, sowas gehört auf YouTube und nicht ins Kino.
Die vielen positiven Reaktionen wiederum sind ein Beweis dafür, dass es sich lohnt sein Ding so zu machen, wie es noch nicht gemacht wurde, oder?
Tim: Ja, der Film wurde ein Publikumsliebling. Wir haben so viel tolles Feedback bekommen, so viele Zuschriften von Leuten, die uns gesagt haben, dass sie wegen unseres Filmes ihren Job gekündigt haben und jetzt das machen, worauf sie wirklich Lust haben. Diese Reaktionen zu bekommen ist echt atemberaubend.
Dachtet ihr von Anfang an, dass so etwas passieren würde?
Tim: Wir sind keine Superhelden, keine Extremsportler oder so. Wir sind normale Jungs, die gerne ihre Erfahrung teilen wollen. Wir haben natürlich gehofft, dass wir diese Einstellung verbreiten und die Leute inspirieren können. Dass das wirklich funktioniert, konnten wir uns aber zuerst nicht vorstellen.
Dennis: Wir haben gerade viele Vorführungen in Schulen, der Film wird gerade ein bisschen zu einem Schul- und Motivationsfilm. Das ist auch etwas, das uns großen Spaß macht: Vor Schülern oder vor Menschen allgemein zu stehen, die Bock auf unsere Story haben und die wir auch persönlich motivieren können.
Tim: Genau, wir wollen mit dem Film das sagen, was wir früher in der Schule gerne gesagt bekommen hätten. Es ist schön, dass sich da jetzt der Kreis schließt und viele Schüler den Film sehen.
Dennis und Tim haben mit dem Kinofilm den praktischen Teil ihrer Bachelor-Arbeit abgeliefert. Den theoretischen Teil geben sie ab, sobald sie ihre Kinotour abgeschlossen haben. Der Schritt nach Österreich war nur der erste Schritt ins Ausland. Dennis, Tim und Michael schielen schon nach dem fremdsprachigen Ausland und machen sich demnächst an die Arbeit, den Film zu übersetzen. Die genauen Tour-Daten für Österreich findet ihr auf der Facebook-Seite von Projekt: Antarktis.
(c) Beitragsbild | PROJEKT: ANTARKTIS