Performance am Welt-Down-Syndrom-Tag: Schritt für Schritt zum offenen Miteinander
Am Stephansplatz hat ein Tanz-Flashmob stattgefunden, um auf den Welt-Down-Syndrom-Tag aufmerksam zu machen. Theresa-Marie Stütz und Max Ryba von andererseits waren vor Ort und haben mit den Tänzer*innen und Veranstalter*innen gesprochen.
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Hinter einer gelben Linie haben sich Tänzer*innen aufgereiht. Sie laden Freiwillige aus dem Publikum ein, mit ihnen zu tanzen. Viele sind sofort dabei. Auch wenn die ein oder andere Person noch Schwierigkeiten mit der Choreografie hat, merkt man, dass vor allem eines im Vordergrund steht: Spaß an der Sache.
Der 21. 3. ist der Welt-Down-Syndrom-Tag. Das Datum kann man sich gut merken, denn bei Menschen mit Down-Syndrom ist das 21. Chromosom dreimal statt zweimal vorhanden. “Keep calm it’s only an extra Chromosome” steht auch auf dem T-Shirt von Simon Couvreur, der mitgetanzt hat. Er ist Stellvertreter für den Verein Down-Syndrom-Wien und kümmert sich um dessen Social-Media-Kanäle. “Für mich ist dieser Tag sehr wichtig. Wir zeigen viele unterschiedliche Menschen, damit es in allen Ländern einfacher wird für Menschen mit Down-Syndrom”, erklärt Simon Couvreur.
Tanz als Ausdrucksmittel
Organisiert wurde der Flashmob vom Verein Ich bin OK. Seit 42 Jahren bietet dieser verschiedene Tanzkurse für Menschen mit und ohne Behinderung an. “Wir wollen allen Menschen die Möglichkeit bieten, Tanz als Medium zu verwenden und sich in dieser Form auszudrücken”, erklärt Hana Zanin, die künstlerische Leiterin des Vereins, “Gerade Menschen mit Down-Syndrom, die manchmal Schwierigkeiten beim Sprechen haben, bekommen so die Möglichkeit, sich nonverbal auszudrücken. Und das können sie oft wirklich sehr gut!” Das sieht man auch bei dem Flashmob am Stephansplatz. Auch Fiona hat mitgetanzt und erzählt: “Mir hat das Tanzen gefallen, mit meinen allerbesten Freunden. Es macht einfach Spaß.”
Faire Bezahlung für alle Künstler*innen
Der Verein Ich bin OK veranstaltet schon seit vielen Jahren “Street-Dance-Performances” am Welt-Down-Syndrom-Tag, heuer zum ersten Mal gemeinsam mit anderen Vereinen in Europa. Zum Song “Back on my Feet” wurde dafür eine Choreografie einstudiert. Der Flashmob soll Menschen mit Down-Syndrom sichtbarer machen. Denn laut Hana Zanin gebe es noch immer viel zu tun: “Es ist in der Gesellschaft viel passiert, aber von oben – von der Politik – kommt noch zu wenig Hilfe.” Viele junge Menschen, die zu ihrem Verein kommen seien jetzt zwar viel offener, viel informierter und hätten weniger Vorurteile im Umgang mit Menschen mit Behinderung, aber im großen Rahmen habe sich noch nicht genug verändert. Und das, obwohl die europäische Behindertenrechtskonvention schon 2008 in Kraft getreten ist, und damals auch eine konkrete Strategie mit Schritten bis ins Jahr 2020 vorgestellt wurde.
Vor der gelben Linie sieht man auf dem Boden einige Plakate liegen. Sie betonen, dass Trisomie 21 eine Bereicherung ist. Ein weiteres Poster fordert außerdem die faire Bezahlung aller Künstler*innen. Doch hier sei das System noch zu unflexibel, so Zanin. Auch wenn es jetzt im Kulturbetrieb mehr Bereitschaft gibt, mit Menschen mit Behinderung zusammenzuarbeiten, gibt es oft keine Möglichkeit, weil es finanziell nicht möglich ist. Sogar wenn es finanzielle Mittel gibt, um Menschen mit Behinderung für die Zusammenarbeit zu bezahlen, können diese das Geld oft gar nicht annehmen, weil sie sonst ihre Sozialunterstützung verlieren könnten. Das ist schade, der Verein Ich bin OK hat nämlich auch eine Dance Company mit fortgeschrittenen Tänzer*innen, die mit internationalen Kulturinstitutionen und professionellen Choreograf*innen zusammenarbeiten. Aktuell zum Beispiel mit der Landesbühne Sachsen.
Ein Sprung im Bewusstsein
Auch die “Dance Assists” von Ich bin OK waren anwesend, um Menschen aus dem Publikum die Tanzschritte zu erklären. Die haben die weltweit erste Tanzassistent*innen-Ausbildung für Menschen mit Behinderung absolviert. Darauf ist Zanin besonders stolz. “Es bewirkt so viel, wenn ein Mensch mit Behinderung auch vorne steht, und den anderen was beibringen kann”, erklärt sie. “Das ist ein ganz großer Sprung im Bewusstsein, was die Position von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft betrifft. Wenn die Menschen verstehen: Die können mir auch was geben, und mir auch was beibringen.”
Cathi, eine weitere Flashmob-Tänzerin, erzählt: “Es hat mir Spaß gemacht, es hat mein Herz ausgeschüttet. Das war der schönste Tag, den ich heuer erlebt habe.” Und wie ihr ging es wohl allen, die an diesem Tag am Stephansplatz dabei waren. Denn jede*r war eingeladen mitzutanzen. Auch wir versuchten uns – anfangs noch etwas verlegen – an der Choreografie. Doch die Verlegenheit verpuffte rasch und der Flashmob wird rasch zu einer willkommenen Abwechslung. Der alltägliche Ernst konnte kurz vergessen werden und verwandelte sich schnell in ungewohnte Ausgelassenheit.
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