Geschlossene Wiener Lokale, die wir vermissen
Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um der geschlossenen Lokale zu gedenken, die für immer einen Tisch in unserem Herzen reserviert haben (oder auch nicht). Nachdem wir euch vor Kurzem auf Instagram und Facebook gefragt haben, welche Lokale in Wien ihr vermisst, verraten wir euch jetzt jene Lokale, die uns für immer im Gedächtnis bleiben werden.
Wir haben euch vor Kurzem auf Facebook und Instagram gefragt, welche geschlossenen Lokale ihr in Wien schmerzlich vermisst. Bei der Welle an bittersüßer Nostalgie, die uns daraufhin ins Gesicht geschwappt ist, ist uns ganz warm ums verschrumpelte Herzerl geworden. So warm, dass wir uns nicht länger zurückhalten können und ebenfalls ein bisschen in Erinnerungen schwelgen wollen.
Café Westend
Wir starten diesen sonst so sehnsüchtig schmollenden Artikel gleich mal mit überraschend guten Neuigkeiten: Gerade haben wir das jähe Ende vom kultigen Café Westend am oberen Ende der Inneren Mariahilfer Straße beklagt, da eröffnet es auch schon wieder. Ja, richtig gelesen, tot Geglaubte leben länger – und manche lassen sich offenbar sogar wiederbeleben. Zumindest wenn es um geschlossene Lokale geht. Jedenfalls hat dieses Jahr Yasha Afdasta das Westend übernommen und aufgefrischt: Tagsüber ist es das klassische Café geblieben, das wir so schmerzlich vermisst haben, abends verwandelt es sich dann in eine Bar mit Cocktails, Aperitivo, Fingerfood und sogar Live-Musik.
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Café Westend | Mariahilfer Straße 128, 1070 Wien
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Wiedereröffnung im Mai 2023
Café Griensteidl
Das Griensteidl am Michaelerplatz war lange Zeit eines der Aushängeschilder dessen, was man allgemein unter Wiener Kaffeehaustradition versteht. Einer von wenigen gastronomischen Zeitzeugen der Kaffeehausliteraten und ihrer mal mehr, mal sicher auch weniger angeregten Gespräche. Stefan Zweig ging hier her, um in Gesichtern und Schnurrbärten zu baden, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Karl Kraus kritzelten dort ebenfalls so manche Serviette voll. Das Griensteidl beherbergte sie und viele andere, überdauerte das Junge Wien, bis es zum Stillleben des alten Wiens wurde, eine Art Fin-de-Siècle-Erlebniswelt, naserümpfende Kellner inklusive.
Für all das stand das Griensteidl, nicht nur für Tourist*innen, die es etwas weniger überliefen als das benachbarte Café Central. Seit 2020 hat das Griensteidl nun auch das mit seinen illustren Gästen aus dem vorvorigen Jahrhundert gemein: Es gibt es nicht mehr. Stattdessen kann man da, wo früher Karl Kraus und Felix Salten diskutierten, heute zwischen Tiefkühlerbsen und Kohlsprossen wählen und wenigstens mit metaphorischer Fackel und ebensolcher Inbrunst, die man Kraus gerne nachsagt, “Zweite Kassa bitte!” skandieren. Die Wiener Seele – überdauert?
Die Gräfin am Naschmarkt
Auch die Gräfin am Naschmarkt gab es lange, auch sie genoss gewissermaßen Kultstatus. Und obgleich sicher auch so manche Gäste hier zur illustreren Ausgabe gehörten, war es doch weniger das Klientel, als vielmehr die Atmosphäre, die im Gedächtnis blieb. Dass auch schlechte Werbung letztlich gute Werbung ist und Adel eigentlich zu rein gar nichts verpflichtet, dafür stand die Gräfin bald mit ihrem Namen. Nein, hier ging man nicht wegen der Einrichtung oder dem Essen hin – sondern trotzdem. Als Severin Corti die unter Nachtschwärmer*innen besonders beliebte Comtesse unter den Tschumsn dann 2018 mit einer legendären Kritik im Standard adelte, unterschrieb er damit ihren Status als zweifelhafte Institution.
Man könnte den Wiener*innen anhand dieser Geschichte nun besonderes Wohlwollen für Underdogs attestieren, man könnte aber auch einen gewissen Hang zum Voyeurismus des Scheiterns wittern. So oder so hat erst die Pandemie fertig gebracht, was TripAdvisor-User*innen und Severin Corti höchstpersönlich nicht vermochten – sie hat der Gräfin den Bröselteppich unter den abgetragenen Schuhen weggezogen und den Grenadiermarsch geblasen. Im Frühling 2021 verabschiedete sich die Gräfin schließlich unter lautem Protest der Bevölkerung von ihrer ergebenen Gefolgschaft.
Ost Klub
Unter dem prägnanten Logo des Ost Klubs stieg man hinab in das weitläufige, labyrinthisch verwinkelte Kellerlokal unter dem Schwarzenbergplatz, das Bar, Club und Konzertlocation in einem war. Den richtigen Weg zum Mainfloor musste man sich hier erst mal erkämpfen, doch das zahlte sich in der Regel aus: “The greatest music from orient to occident”, so lautete das Motto hier und zog zahlreiche fulminante Acts an, Russkaja fegten hier etwa über die Bühne. Das hatte in diesen heiligen Hallen übrigens schon lange vor dem Ost Klub Tradition: Mit dem Atrium eröffnete hier in den 60er-Jahren Wiens angeblich erste Diskothek, in den 80ern das Papas Tapas und so weiter. Vor ein paar Jahren wurde der Ost Klub schließlich zu einem Weinclub umfunktioniert, weil sich Anrainer*innen über die zu laute Musik beschwert hatten, Russendisko musste Ambient weichen. Mittlerweile hat auch der Weinclub geschlossen, und auch das ist sicher schon ein paar Jährchen her.
Steinzeit
Ein paar viele Jährchen her ist die Steinzeit, schon klar. Ein Teil der deutlich jüngeren Menschheitsgeschichte und hoffentlich nicht einmal der war hingegen das Lokal Steinzeit irgendwo im Bermudadreieck des Schwedenplatzes. Unter der Fischerstiege trafen sich die Connaisseur*innen der Wiener Metalszene auf ein paar schale Biere, halbherzige Wuzzel-Turniere und zum rhythmischen Langhaarschütteln. Geruch und Deko, die man im rauchverqualtem, fast zappendusteren Keller kaum erkennen konnte, erinnerten tatsächlich etwas an prähistorische Zeiten. Hier und da blinzelte einem beim Headbangen ein kleiner Pterodactylus von der Decke aus hilflos zu, der das große Saurieraussterben ärgerlicherweise verpasst hatte. Etiquette gab es hier unten so gut wie keine, Alterskontrollen an der Bar auch nicht – beides ja auch Erfindungen der frühen bis späten Neuzeit, so weit, so historisch akkurat. Das Prinzip des “everything goes” wurde hier zum Prinzip des “everything went kind of wrong”. “Jugendliche Freiheit”, denken die einen vielleicht beim Gedanken an die Steinzeit, “Ranzhittn” ziemlich sicher alle anderen.
Ungar Grill
Der legendäre Ungar Grill in der Burggasse spielte da in einer ganz anderen Liga, ja, eigentlich betrieb er eine gänzlich andere Sportart. Das urige Beisl mit der kultigen Ausstattung und dem herrlich überwucherten Innenhof zog beharrlich die nationale wie internationale Kulturszene an. Und das schon lange, bevor Wirtin Darija Kasalo, die innerhalb der Szene selbst ebenfalls so etwas wie Ikonenstatus besitzt, den Grill übernommen hat. Über 50 Jahre gab es den Ungar Grill, er lockte Legenden wie John Irving, Bilderbuch oder Herbert Grönemeyer, aber auch alle anderen. Der Ungar Grill selbst ließ sich davon aber nicht großartig beeindrucken, trug seine pissgelbe Neonschrift über den Fenstern wie eine gleichgültige Augenbraue, wollte nie mehr sein, als er war, war für alle.
Im Jahr 2020 musste er seine Pforten schließen und Immobilienspekulanten weichen, die daraus Luxuswohnungen machen wollten. Der legendäre Mikrokosmos, degradiert und eingeschrumpft zum Fahrrad- und Müllraum. Ein Skandal. Das fanden damals auch seine treuen Fans sowie all jene, die ihn nur vom Namen her kannten. Es folgte Benefizabend nach Benefizabend. Vergebens. Doch Darija Kasalo warf die Flinte zum Glück nicht gänzlich ins Korn, sondern suchte sich stattdessen einen anderen Acker. Sie übernahm das indische Shalimar im Sechsten, der Ruf zog mit ihr um. Und auch hier wartet ein wunderbar verwunschener Innenhof.
Villa Aurora
Verwunschen, so könnte man auch das Erscheinungsbild der Villa Aurora im 16. Bezirk bezeichnen, wenn man wohlwollend ist. Wobei eine gewisse, nennen wir sie mal: rustikale Atmosphäre zur Villa Aurora, wie wir sie kennen, ja auch dazugehört. Bereits 1785 erbaut und vom selben Architekten entworfen, der auch für das Lusthaus im Prater verantwortlich zeichnet, seufzte einem hier jede Ritze in den knarzenden Dielen im Vorübergehen Geschichte ans Bein. So jedenfalls das Narrativ. Eine herrliche Aussicht über Wien, verträumtes Ambiente und deftige Schnitzelvariationen, wie man sie vom Schwesterlokal Schloss Concordia in Simmering kennt, haben die Villa Aurora zum idealen Schlussakkord am Ende eines Sonntagsspaziergangs am Wilhelminenberg gemacht. Noch ist aber nicht aller Sommertage Abend, der letzte Stand ist, dass die Sanierung auf sich warten lässt und man ein neues Konzept für die Villa Aurora ausarbeiten will.
Nachtschicht
“Schicht ist Pflicht” – oder lieber nicht. Egal ob ihr damals in der Nachtschicht beim Donauzentrum fröhlich vor euch hingekrocht habt oder den dubiosen Club nicht mal mit dem kleinen Zeh betreten hättet, ob es euch beim bloßen Aussprechen des Wortes “Nachtschicht” freudige oder angewiderte Gänsehaut über die Poren jagt – jede*r hatte eine Meinung zur Nachtschicht. Und als sie 2009 dem Club Couture wich, wurde selbst der größte Anti-Schichtler insgeheim ein bisschen sentimental. Der CC wurde später übrigens zum Bollwerk, und auch das hat inzwischen dicht gemacht. Schicht im Schacht. Aber auch das ist noch kein Grund, die Pali-Tücher und neonfarbenen Ed-Hardy-Kapperl zu kübeln (es sei denn aus stilistischen Gründen, aber who are we to judge?). Denn mittlerweile gibt es immer wieder Krocha-Revival-Partys. Ja, so lange ist diese Phase inzwischen her.
Kantine
Von der Kantinenparty auf der Playlist zur OG Kantine. Die Kantine im 3. Bezirk begann als Zwischennutzung, als Leerstandsprojekt im alten Zollamt. Rasch wurde sie aber zu einem der legendärsten Techno-Clubs der vergangenen Jahre. Das Top-Soundsystem brachte die Trommelfelle bis in die frühen Morgenstunden und darüber hinaus zum Donnern, manch eine*r schob sich beim Foodtruck vor dem Eingang noch um 6 Uhr Früh ein beherztes Frühstücks-Hot-Dog in die Kiemen, um dann auf der Terrasse, begleitet vom wohligen Wummern des Basses, die Sonne aufgehen zu sehen. Herrlich. So legendär wie die Nächte war auch die finale Nacht der Kantine, die Abrissparty im Jänner 2016, die erstmals das gesamte Gebäude bespielte, bot jede Menge Raum und Möglichkeit für Exzess. Kurzzeitig gab die Kantine ein Gastspiel in einem stillgelegten Casino im Wiener Prater, ist aber inzwischen aufgrund eines Disputs mit dem Ex-Prater-Chef wieder geschlossen.
Hippie Café
Wer sich in den 00er-Jahren in Wien die Stirnfransen seitlich über die Augen kämmte und die Gabe des Sehens zugunsten einer gepflegten Matte einbüßte, der kannte es, das Hippie Café in der Otto-Bauer-Gasse. Wenn man als Wiener Emokind nicht gerade im Burggarten oder beim Mäci auf der Mariahilfer Straße herumlungerte, dann garantiert im Hippie. Direkt neben dem Hippie Shop, den es leider ebenfalls nicht mehr gibt und den man schon fünf Kilometer gegen den Wind am beißenden Patchouli-Geruch erkannte, überschnitten sich im Café die Zielgruppen. Meistens siechten oder knutschten allerdings die Emos in der Dunkelheit vor sich hin, ihrem natürlichen Habitat. Hauptattraktion hier: die Shishas und die absolute Freiheit. Der Betreiber, der meistens sichtbar in anderen Sphären schwebte, kontrollierte keine Ausweise und stand meistens etwas gedankenverloren in der Küche und starrte Fertigpizzas an. Ab und zu gab es Polizei-Razzien, hieß es, und irgendwo läge extra zu diesem Zweck ein Hinterausgang. Vielleicht aber nur Heldensagen einer um Bedeutung ringenden Generation.
Hörsturz und so
Wenn es schon um die Emokultur in Wien geht, können wir diesen Artikel nicht beschließen, ohne nicht zumindest einmal “Hörsturz” geschrieben haben. Ja, schon klar, das Hörsturz war ein Event, kein Lokal. Aber wie sehr blutet euer altes Emo-Herz (</3) beim Gedanken daran, dass ihr ziemlich sicher irgendwann einmal auf einem Hörsturz wart, ohne zu wissen, dass es euer letztes gewesen sein wird? Die Arena, wo alles begann, gibt es glücklicherweise immer noch. Das Exx, in das es später verlegt wurde, schon nicht mehr. Und auch um die versteckte Area51 in einem Industriekomplex in Simmering, die dem Hörsturz mit dem Ai:Rock Konkurrenz zu machen suchte, ist es längst ruhig geworden. Und war dort ganz in der Nähe nicht auch das berüchtigte Movimento, in dem sich nur die Punkigsten der Punks trafen?
Apropos Emo: Unsere Redakteurin unternimmt eine ausgiebige Zeitreise zurück in ihre Emo-Zeit in Wien. Und wir erinnern uns an die kultigsten Getränke unserer Jugend.