Historischer Schwertkampf ohne Rüstung und Kettenhemd
An die Schwerter, kreuzt die Klingen! Nein, wir haben keine Reise in die Zeit der wackeren Ritter gemacht. Auch heute noch wird mit Schwertern gekämpft – und das nicht nur in nachempfundenen Rüstungen auf Mittelalterfesten. Der historische Schwertkampf ist seit gut 30 Jahren ein ernstzunehmender Sport. Wir haben uns im Wiener Augarten angesehen, warum.
Es ist ein sonniger Dienstagnachmittag im Herbst und ich durchquere den Augarten. Am Fuße des Flakturms „Peter“ mit dem Graffiti „Never again“ wollte ich mich eigentlich um 17 Uhr mit Simon und Thomas treffen. Dass ich mich zehn Minuten verspäte, macht nichts. Sie wärmen sich inzwischen mitten auf der Wiese auf. Von Weitem sieht es aus, als würden sie sich auf einen Yoga-Workshop oder eine Tai-Chi-Stunde vorbereiten. Ein kleiner, kindlicher Teil in mir ist irgendwie enttäuscht, dass die Schwertkampf-Trainer weder Kettenhemd noch Rüstung tragen. Das einzige, was ritterlich wirkt, ist Simons blonde Mähne, die ihm als Zopf bei seinen Aufwärmübungen folgt wie Sancho Panza seinem Don Quijote.
Schwertkampf als moderner Sport
Genau darum geht es aber auch nicht, erklären mir Simon und Thomas, nachdem wir uns begrüßt und uns neben einige Langschwerter ins Gras gesetzt haben. Thomas ist freischaffender Schauspieler und Simon studiert Geschichte, Philosophie und Psychologie auf Lehramt. Besonders für Simon ist das Schwertkämpfen eine Art Kindheitstraum come true. „Als kleiner Junge wollte ich unbedingt ein Ritter sein“, erzählt er. „Und irgendwann fragt man sich, wie die Ritter das eigentlich gemacht haben mit den Schwertern. Denn in Filmen sieht man oft nur, wie sie aneinander vorbeischlagen.“ Beiden ist aber wichtig, dass der Schwertkampf, wie sie ihn betreiben, als echter Sport anerkannt wird, und nicht als mittelalterliches Cosplay. HEMA nennt sich das Ganze. Also: Historical European Martial Arts. Vor ungefähr 30 Jahren begann der Trend, sich in sportlicher Ernsthaftigkeit mit der alten Kampfkunst auseinanderzusetzen und sie wiederzubeleben. „Daraus hat sich eine Sportart entwickelt mit Turnieren, Seminaren, mit Events, die es mittlerweile auf jedem Kontinent gibt – ja sogar in Japan, Südkorea oder Südafrika“, erzählt Simon und schaut mich dabei mit erstaunt aufgerissenen Augen an.
Ich starre verblüfft zurück. In meinem Kopf spielen sich zahlreiche Action-Sequenzen aus Ritterfilmen ab, in denen die Schwerter rücksichtslos aufeinanderprallen bis einer, naja, stirbt. Dann reitet mir auch noch Till Schweiger durch den Kopf, wie er in „Traumschiff Surprise“ in seiner rosa Rüstung mit der Lanze vom Pferd gestochen wird. Auch brutal, aber gleichzeitig ziemlich lustig. Und als ich schließlich an den schwarzen Ritter aus Die Ritter der Kokosnuss denken muss, wie er bis auf den Rumpf verstümmelt immer noch wacker kämpft, weicht mein besorgter Blick fast einem unabsichtlichen Grinser. Ja, ja, tollpatschige Ritter sind lustig, ha ha.
Ist das nicht gefährlich?
Klammert man die Tollpatschigkeit aus, sind die Schwertkampf-Szenen in Filmen aber vor allem eins: verdammt brutal. Und damit richte ich endlich meine nächste Frage an Simon und Thomas, die meine Gedankenwanderung von Besorgnis zu Belustigung und zurück wahrscheinlich an meinem Gesichtsgulasch ablesen konnten: „Ist das nicht gefährlich, so zu kämpfen wie die Ritter damals?“ Thomas und Simon zögern ein wenig und schmunzeln. „Grundsätzlich wollte man sich ja damals beim Training auch nicht verletzen“, sagt Thomas. „Natürlich wurde trainiert, um dann später in ernsten Kämpfen gegeneinander anzutreten. Aber das Üben dafür, behaupte ich, lief im Prinzip auch nicht anders ab als heute.“ Stimmt. Hätte irgendwie auch keinen Sinn gemacht, wenn am Ende jeder Trainingseinheit ein Ritter weniger einsatzbereit gewesen wäre.
„Vielleicht waren die Kämpfer damals etwas härter im Nehmen“, sagt Thomas und lacht. Stimmt auch. Das beweist letztlich auch der schwarze Ritter aus „Die Ritter der Kokosnuss“, wenn er selbst bis auf den Rumpf verstümmelt immer noch kampfbereit ist. Vielleicht sind Monty-Python-Filme aber auch nicht unbedingt die verlässlichste historische Quelle. Jedenfalls erzählt mir Thomas weiter, dass der Schwertkampf bereits ab dem 15. Jahrhundert von den Bürgern als Sport adaptiert wurde. Adaptiert bedeutet im Mittelalter allerdings nicht, dass man scharfe Schwerter durch Gummiknüppel und Rüstungen durch Luftpolsterfolie getauscht hat. Nein, man hat eben einfach mit stumpfen Klingen gefochten. „Aber schon auf blutige Wunden“, sagt Thomas. „Man hat bis zur höchsten blutigen Wunde gefochten.“
Dagegen wirken die Schmisse, die sich gewisse schlagende Burschenschaften heute absichtlich zufügen, wie Knutschflecke. Diese Assoziation kommt übrigens auch einem neugierigen Beobachter, der sich später zu uns gesellt. Doch einer der Schüler wehrt das entschieden ab: Hier geht es nicht um martialische Rituale oder um die Markierung eines längst überholten Bildes von Männlichkeit, wie es die schlagenden Verbindungen propagieren, sondern hier geht es um einen Sport, bei dem jede*r willkommen ist. „Wir sind quasi das Gegenteil der schlagenden Burschenschaften“, sagt der Schüler lächelnd.
Kämpfen wie damals
Die Quellen, auf die sich die historische Kampfkunst von heute bezieht, sind sogenannte Fechtbücher, in denen die Fechtmeister aus dem Mittelalter ihre Übungen beschrieben haben. „Viele Quellen über das Kämpfen mit dem langen Schwert gehen zurück auf Johannes Liechtenauer, einen einflussreichen Fechtmeister im deutschsprachigen Raum“, sagt Thomas. Die Wiener Gruppe des INDES-Vereins, die Simon und Thomas leiten, bezieht sich hauptsächlich auf diese Quellen. Andere Grppen verwenden möglicherweise andere Quellen, weshalb das Wechseln von Verein zu Verein oft auch mit dem Wechseln zu anderen Techniken einhergeht.
Doch auch wenn es Werke aus dieser Zeit gibt, muss es doch relativ schwer sein, sich da durchzuwühlen, vermute ich zunächst. Immerhin ist Mittelhochdeutsch nicht unbedingt einfach zu verstehen. „Unsere Quellen sind im Frühneuhochdeutschen verfasst, das ist schon verständlicher“, sagt Simon. Frühneuhochdeutsch ist die nächste Sprachstufe des Deutschen nach dem Mittelhochdeutschen und unserer heutigen Sprache in Ausdrücken und Grammatik deutlich ähnlicher. „Außerdem wurden diese Schriften heute oft schriftlich normalisiert und wissenschaftlich interpretiert.“
Simon liest aus einem Fechtbuch, in dem Peter von Danzig bereits im 15. Jahrhundert die Merkverse von Johannes Liechtenauer entschlüsselte. Das Lustige an früheren Sprachstufen wie dem Frühneuhochdeutschen ist, dass das Kauderwelsch irgendwie vertraut klingt, und doch etwas fremd. Gewisse Ausdrücke und Redewendungen muss man kennen, um zu wissen, was gemeint ist, wenn es etwa heißt: „So seüß im den ort gericht für sich lanck ein und stich ihm zum Gesicht oder zur Brust.“ Aha, sage ich. Hä?, sagt mein Gesicht. Simon erklärt: Der Ort ist die Schwertspitze. Einschießen bedeutet so viel wie stechen. Also geht es hier wohl darum, den Gegner mit dem Langschwert beim Gesicht oder an der Brust zu treffen.
„Wenn du da nicht weißt, worum es geht, kannst du nichts damit anfangen.“
Während Simon mir diese Codes aufschlüsselt, wird klar, dass er sie längst in seine Sprache integriert hat. Er erklärt mir, dass sich dieser Satz auf die Reaktion darauf bezieht, dass der Gegner weich am Schwert ist. Das klingt zwar, als könnte man ahnen, was es bedeutet. Je länger ich aber darüber nachdenke, desto klarer wird: Ich weiß es eigentlich nicht. „Das bedeutet, er drückt nicht dagegen“, löst Simon schließlich die Verwirrung auf. Ich bin aber längst nicht die einzige, die bei Liechtenauers Merkversen nicht ganz mitkommt. „Liechtenauer betrieb das absichtlich als versteckte Kunst und benützte verschlüsselte Merkverse“, sagt Thomas. „Wenn du da nicht weißt, worum es geht, kannst du nichts damit anfangen.“ Ich bin erleichtert. Also war das Germanistik-Studium doch nicht umsonst. Doch weil Danzigs Schülern das Rätselraten langsam zu anstrengend wurde, schrieben sie mit der Zeit überall dazu, was eigentlich gemeint ist.
Bunte Gruppe an Hobby-Ritter*innen
Auch im Augarten trudeln die ersten Schwertkampf-Schüler*innen nach und nach ein. Ein langhaariger, großer Mann mit tiefer Stimme und lustigen Sprüchen, ein etwas kleinerer Mann mittleren Alters, und eine Frau mit gräulichen Haaren gesellen sich zu uns und ergänzen Simons und Thomas Erklärungen durch neugierige Kommentare. Schnell wird klar: Nicht nur die Schwertkampf-Trainer kennen sich hier bestens aus. Nach einiger Zeit kommen auf noch ein paar junge Frauen dazu, die sich etwas abseits schon mal aufwärmen.
Schließlich sieht es aus, als wäre die Gruppe komplett. Wir stellen uns im Kreis auf und Thomas sagt ein paar Aufwärmübungen an: Fußkreise, Armschwünge, Sprints, das Übliche eben. Dann folgen einige Partnerübungen, die ich mit Thomas gemeinsam mache. Es ist nicht unbedingt hilfreich, dass ich noch vom Aufwärmen außer Atem bin. Thomas schwingt die Arme bedacht in meine Richtung und ich soll ihnen ausweichen. Wie ein kleiner, unkoordinierter Gnom ducke ich mich jedes Mal einfach willkürlich. Fühlt sich nicht richtig an, ist auch nicht richtig. Schließlich erklärt mir Thomas, dass ich besser Blickkontakt halten sollte, weil ich ja sonst nicht weiß, wohin ich ausweichen soll. Macht Sinn. Also ziehe ich dieselbe skurrile Bewegung die nächsten Male wieder durch und starre ihm dabei verkrampft ins Gesicht. Ob Thomas sich genauso sehr ein Lachen über meine Performance verkneifen muss wie ich? Schwer zu sagen – er begegnet meiner panischen Unfähigkeit mit großer Professionalität. Und dann bin ich dran und darf mit meinen Armen auf ihn einrudern. Jetzt erst sehe ich, wie das Ausweichen eigentlich aussehen sollte. Agil geht Thomas in die Knie, springt weg, dreht sich. Als ich wieder dran bin, ist meine größte Leistung, dass ich in eine Gatschlacke steige.
An die Holzschwerter!
Die Schüler nehmen danach erst einmal Holzschwerter auf und beginnen mit ihren Übungen. Übrigens ist die historische Kampfkunst längst nicht auf das Langschwert beschränkt. Es gibt auch Techniken für Dolche und andere Waffen. Hier in Wien trainiert man allerdings vornehmlich mit Schwertern. Die Regeln macht man sich für jeden Kampf selbst aus. Denn eigentlich ist im historischen Schwertkampf alles erlaubt, weil es ja ursprünglich schon auch ums Überleben ging. „Erst einmal ist wichtig, dass ich überlebe. Mit welchen Mitteln auch immer“, erklärt mir Thomas. „Auch wenn ich auf die Klinge greife und damit riskiere, meine Hand oder meinen Finger zu verlieren. Auch das gibt’s als Technik.“ Simon ergänzt: „Es gibt auch Techniken, bei denen ich mein Schwert fallen lasse, ins Ringen übergehe und den anderen werfe oder ihm Arm oder Schulter breche.“ Diese Techniken wenden sie hier natürlich nicht an – man will ja gemeinsam trainieren und sich nicht gegenseitig verstümmeln.
Ihr habt Lust bekommen, selbst ein bisschen das Schwert zu schwingen? Der INDES-Verein ist in Graz, Klagenfurt, Korneuburg, Kulmbach, Linz, Regensburg, Salzburg und Wien aktiv. Der USI-Kurs der Wiener Gruppe findet semesterweise immer dienstags von 19:30 bis 21:00 Uhr statt. Im Herbst und Winter wird nicht im Augarten, sondern in der Singrienergasse 23 im 12. Bezirk trainiert. Schnuppern ist kostenlos. Der Mitgliedsbeitrag für den Verein kommt auf 25-45 Euro, je nachdem, wie viel ihr auf der hohen Kante habt. Zurzeit finden die Kurse noch online statt, sobald es wieder möglich ist, wechselt man ins Freie.
Wenn ihr noch nicht genug habt von Historischem, dann informiert euch doch mal über den längst vergessenen Tiergarten im Wiener Prater. Ihr wollt mehr von unseren Abenteuern? Wir waren am Salzburger Untersberg beim Jodel-Workshop.
(c) Beitragsbild | Viktoria Klimpfinger | 1000things