Hut & Stiel: Wiener Schwammerln aus dem Kaffeesatz
Was haben Schwammerln mit der Wiener Kaffeehauskultur, nachhaltiger Ernährung und der Lobau zu tun? BauertothePeople blickt mit euch hinter die Kulissen eurer Schwammerln. Bianca und Willy haben einen Tag mit dem Gründer Manuel Bohrnbaum bei Hut & Stiel in der Kleinen Stadt Farm verbracht.
Das Journalist*innen-Duo Bianca Blasl und Wilhelm Geiger gibt mit seiner Plattform „Bauer to the People“ umfangreich, nahbar und mit einer ordentlichen Prise Schmäh Aufschluss über die Wertschöpfungskette unserer Lebensmittel, blicken hinter die Kulissen und holen die Menschen vors Podcast-Mikro.
Auf der Suche nach der Kleinen Stadt Farm radeln wir gemütlich durch die Lobau. Als plötzlich eine idyllische Oase vor uns auftaucht. Die Bienen summen, die Vögel zwitschern. Es riecht nach „frisch gekocht“. Wie damals bei der Omi. Wir folgen dem Geruch und entdecken Manu. Er rührt meditativ in einem Topf. Als er uns sieht, lächelt er – seine Augen leuchten im Halbschatten – er drückt uns gleich den Kochlöffel in die Hand. Es gibt Schwammerlgulasch. Wir löffeln genüsslich, während Manu zu erzählen beginnt.
Mit einem Popsch auf 10 Kirtagen
„Als hätte ich das noch nie gehört“, lacht Manu uns an, als Bianca ihn zum ersten Mal Schwammerl nennt, um die Grenzen unseres Interviewpartners auszutesten. „Aber mögen tu ich’s nicht unbedingt.“
Der Mann hinter Hut & Stiel hat 1.000 Eisen gleichzeitig im Feuer, ist Geschäftsführer von Hut&Stiel, Mitgründer von Perspektive Landwirtschaft, Teil der Kleinen Stadt Farm und des dazugehörigen Cafés. Wenn er könnte, würden ihm gleich noch fünf Ideen zum Anpacken einfallen. Gleichzeitig strahlt er eine Ruhe aus, die ansteckt. Wir haben schon viele junge Unternehmer*innen getroffen. Viele davon drehen dezent am Rad. Wir manchmal mit ihnen. Doch heute sitzen wir im Café Schillwasser, es ist Dienstag. Die Welt scheint hier im Halbschatten des geschlossenen Cafés für uns stehenzubleiben, während Manu erzählt. Von Vöcklabruck in Oberösterreich und der Arbeit in der dortigen Bank zieht es ihn, wie viele seiner Freunde, nach Wien. Zuerst noch in eine neue Bankfiliale. Er lernt viel. Unter anderem auch, dass er vielleicht nicht unbedingt der geborene Banker ist. Aber mit Menschen kann er. Also beginnt er als Sozialpädagoge zu arbeiten.
Daheim in Oberösterreich begegnet ihm beim Laufen ein verwaistes Bauernhaus. „Ein Schlüsselerlebnis“, sagt Manu und schaut in sein Kaffeehäferl. Das und der Wille etwas gegen das Bauernsterben zu unternehmen, zieht ihn an die Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU). Er studiert Agrarwissenschaften. Mit der Idee, Lehrer zu werden und Bauernhöfe wie diesen einen verwaisten in Oberösterreich erhalten zu wollen, und trifft dort Gleichgesinnte. So entsteht der Verein „Perspektive Landwirtschaft“. Eine Plattform, die Bauern*Bäuerinnen ohne Nachfolger*innen und jene, die in die Landwirtschaft einsteigen wollen, zusammenbringt. Überhaupt ist Manu jemand, der die Welt retten will. Und er tut das mit viel Pragmatismus und wirtschaftlichem Verständnis. So ist auch Hut & Stiel passiert.
Von Kaffee, Schwammerln und dem Weltretten
„Sie wussten nicht, dass es unmöglich war, und deshalb haben sie es getan.“Dieses Zitat von Mark Twain passt zu den Gründern von Hut& Stiel, wie die Faust auf’s Aug’:
Zwei Studenten, die in einem feuchten Altbaukeller in Wien auf Kaffeesatz Schwammerln züchten. Die Idee, aus Mist mehr zu machen. Nachhaltige Lebensmittel produzieren. Fleischlos. Weil sie selbst vegan und vegetarisch gegessen haben. Wegen der Tiere und wegen der Umwelt. Weltretten halt. Aber wenn, dann g’scheit. Was sich hier nur extrem vereinfacht schreiben lässt, war die Initialzündung, Schwammerln auf Kaffeesatz zu züchten. Als Alternative. Wo kann das besser funktionieren als in Wien mit seiner Kaffeehauskultur?
„Naivität,“ schmunzelt Manu, als Antwort auf die Frage warum sie 2014 damit angefangen haben und wie sie auf die Idee gekommen sind. „Ich habe bei sehr vielen Sachen in den letzten 10 Jahren gegen jede Empfehlung gehandelt und einfach gemacht“, schmunzelt er weiter. „Uns hat fasziniert, worauf Schwammerln überall wachsen und so aus einem Abfallprodukt Lebensmittel zu produzieren.“ Außerdem wollte er ja was mit Landwirtschaft machen und mit Menschen. „In den Medien haben sie uns auf und ab gespielt“, erzählt Manu. So ist aus der Idee ein Unternehmen geworden. Heute ist die Pilzproduktion vom Keller in größere Container hier in der Kleinen Stadt Farm und in Weinkeller in Klosterneuburg umgezogen. Hut&Stiel liefert seine Austernpilze vor allem an die Gastronomie. Was übrig bleibt, wird Pesto oder besagtes Schwammerlgulasch. Und Manu? Der liebt es, sein Wissen weiterzugeben, und jede*r kann bei ihm lernen, wie man Pilze zieht.
Ein kleiner Fakt für’s G’spür: Wir essen pro Jahr rund 59 Kilo Fleisch und 2 Kilo Pilze in Österreich.
Von Leidenschaft und dem, was Leiden schafft
Szenenwechsel: Wir folgen Manu quer durch die Kleine Stadt Farm. Hinaus aus dem Café, wo die Blätter der Trauerweide ein fesselndes Spiel aus Licht und Schatten auf den Boden werfen. Vorbei an einem üppigen Glashaus und Parzellen, wo Kleine und Große wuseln und Gemüse selbst anbauen. Um ein Eck, vorbei an einer alten Veranda, die an die Omama im Apfelbaum erinnert. Zu den Schwammerln ins Kühlhaus. Er öffnet die Tür und lässt uns herein. Vorsichtig hebt er das Papier einer der Kisten mit den Austernpilzen. Sein Blick ist fast liebevoll. „Wenn ich den sicheren Hafen meiner Familie nicht hätte…“. Wir verstehen.
Manu ist gleichzeitig Geschäftsmann und Idealist. Vielleicht ist es die Kombination, die ihn so besonnen gemacht hat. „Manchmal ist es zu viel“, muss sich der Tausendsassa eingestehen. Als Selbstständiger muss man seine Grenzen kennen. „24/7 arbeiten geht immer. Vor allem mit der Motivation, die man hat, wenn man etwas liebt. Aber nur eine Zeit lang“, sagt er ganz ohne Groll. Auch er habe schon seine Grenzen überschritten. „Daraus lernen, wenn man auf die Papp’n fällt. Das macht’s aus.“ Mit diesen Worten stiefeln wir zurück zum Café, lassen 24/7 auch hinter uns und machen uns ein Bier auf.
Ihr wollt noch mehr wissen und Manu und seine Geschichte noch besser kennenlernen? Hier geht’s zur Podcast-Folge von Bauer to the People.
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