Wir waren beim Jodel-Workshop und es war gut so
Jodeln hat vielleicht dank Assoziationen mit Heimatfilmen und Almdokus nicht unbedingt das most sexy Image. Aber wir haben uns das Ganze bei einem Jodel-Workshop mal genauer angesehen und mussten feststellen: Es macht verdammt viel Spaß!
Stirdelt man ein bisschen in der österreichischen Traditionskiste, stößt man dabei leider schnell mal auf Heimatverklärung und rituellen Patriotismus. Sogar bei Dirndl und Lederhose beschleicht mich seit geraumer Zeit ein ungutes Gefühl, als würde mir das Almdudler-Pärchen mit feuchtem Atem „Hulapalu“ ins Ohr hauchen. Wenn bei mir schon auf textiler Ebene leichte Traditionsbeklemmungen aufkommen, könnt ihr euch ausrechnen, wie ich zum Jodeln stehe. Oder stand. Denn seit ich in Salzburg einen Jodel-Workshop* besucht habe, muss ich jeden blöden Alm-Öhi-Joke aus der Vergangenheit beschämt zurücknehmen.
Erstkontakt mit meinen Mit-Jodler*innen
Nervös treffe ich am Eingang zur Untersbergbahn meine Jodel-Gruppe. Ich in flatternden Haremshosen, die meisten anderen der fünf Frauen im – „Hulapalu“ – Dirndl. Auch Anita Biebl, unser Jodel-Coach. Aber als wir während der achtminütigen Fahrt auf den steilen Untersberg ins Quatschen kommen, zeigt sich schon, dass der Workshop und auch Biebl nichts mit Heimatfilmsetting zu tun haben, im Gegenteil: Wenn sie nicht gerade neugierige Städter*innen und Einheimische zum Jodeln bringt, leitet sie einen Soundpainting-Chor, erzählt sie mir. Aha. Ich nicke kurz wissend und schüttle dann doch verwirrt den Kopf. Soundpainting ist eine bestimmte Dirigiersprache, bei der der*die Chorleiter*in den Chor durch körperliche Gesten anweist und so eine Art Live-Komposition kreiert, erklärt sie. Also wie Malen mit Tönen, quasi.
Das Trauma vom Singen
Und auch die Jodel-Gang selbst ist bunt gemischt: eine Mutter mit zwei kleinen Töchtern, eine junge Frau, eine Teilnehmerin, die ihre brasilianische Freundin zum Jodeln verdonnert hat. Und Sepp, der einzige Mann in der Gruppe. Mit acht Leuten inklusive Anita Biebl ist meine persönliche Schamgrenze für gesangliche Einlagen allerdings um acht Personen überschritten. Seit der vernichtenden Kritik zu meinem „Alle meine Entchen“ im Kindergarten, weil ich angeblich das mittlere C nicht getroffen hätte, löst die öffentliche Zur-Hör-Stellung meiner Singstimme so etwas wie posttraumatische Flashbacks aus. Nicht nur bei mir. Auch bei meinen Weghörern.
Während ich also noch überlege, ob ich erst mal hyperventiliere oder mich gleich in Embryonalstellung hinter dem nächsten Felsen verstecke, sagt Anita Biebl zum Glück die magischen Worte: „Jodeln kann jeder!“ Wie? Ich muss also nicht erst mal das mittlere C finden, damit ich losjodeln kann? „Jodeln hat im Vergleich zum Singen weniger mit dem Treffen von Tönen zu tun, sondern vor allem mit dem Lockerlassen, Fallenlassen, ins kalte Wasser Springen.“ Perfekt – ins Wasser plumpsen kann ich.
Erst mal das Instrument aufwärmen
Bevor wir das nichts ahnende Tal mit unserem Amateur-Jodeln beschallen, müssen wir uns erst einmal aufwärmen. Was Biebl dann ankündigt, erinnert mich stark an meine hartnäckigen Besuche bei Impro-Theatergruppen: den Körper als Instrument aufwärmen, die Lippen mit Geräuschen ausgehender Luftballons lockern, sich am ganzen Leib mit den Fäusten freiklopfen – nicht zu enthusiastisch allerdings, sonst sieht man am nächsten Tag aus wie abgelegenes Obst. Das Gute an den Reaktions- und Aufwärmspielen, die dann folgen, ist das Betretensein im Kollektiv, das sich im besten Fall in Wurstigkeit umwandelt. Als wir uns vor einander schließlich nicht mehr genieren, dürfen wir endlich jodeln. „Ich hol‘ nur kurz meine Ziach!“, sagt Biebl und schnallt sich ihre Ziehharmonika um.
Mit deutlichem Gesichtsgulasch artikuliert sie uns die Silben vor, während die „Ziach“ das Ganze mit erdigem Röhren begleitet. Irgendwie muss ich bei diesem Slow-Mo-Jodeln plötzlich an die Asterix-und-Obelix-Folge denken, in der Obelix die ganze Friedenspfeife alleine raucht und dann alles verlangsamt und verzerrt wahrnimmt. Spricht man die Jodellaute langsam und bewusst aus, wird einem erst richtig klar, dass sie inhaltlich überhaupt keinen Sinn ergeben, ja nicht einmal eindeutig der deutschen Sprache zuzuordnen sind: „Hodl, dadl, leudl.“ Kryptische Zeilen aus dem Indogermanischen? Verwirrte Silben von einem Betrunkenen an der Bar? Oder doch ein verschlüsselter Code der Illuminati? Nichts davon – einfach nur gut hodl-dadl-leudl-bar.
Jodeln ist international
Dass das Jodeln kein besonderes Textverständnis erfordert, ja es nicht einmal nötig ist, genau dieselben Silben zu wiederholen, macht es unerwartet international. Gleichzeitig heißt seine Universalsprachlichkeit aber nicht, dass es bedeutungsleer ist. „In den Bergen hat man mit dem Jodeln Aufmerksamkeit erzeugt und Bescheid gegeben, wo man sich befindet“, erklärt Anita Biebl. „Es gibt aber auch Gerüchte, dass man anderen Leuten mit einem bestimmten Jodelruf signalisieren konnte, dass sie zum Beispiel nach rechts gehen sollen.“
Der Alpensingsang ist aber auch in dem Sinn international, dass er keineswegs auf die Alpen beschränkt ist. Jodeln ist also nichts typisch Österreichisches und Schweizerisches, womit man sich identitätsstiftend abkapseln könnte in Tradition und Eigensinn. Es gibt viele Völker weltweit, die sich mit wortlosem Gesang zwischen Brust- und Kopfstimme über weite Distanzen verständigen. Ihren englischen Gruppen erzählt Biebl immer: „It was the first short message service.“ Angeblich sind sogar die australischen Aborigines bekannt dafür, dass sie anderen Völkern ihre Wegbeschreibungen vorsingen.
Babysteps zum richtigen Dröhnen
Würde ich als Frischling jemandem den Weg vorjodeln, würde er sich wahrscheinlich bis zur Vermisstenanzeige verlaufen. Aber darum geht es beim ersten Mal auch noch nicht. Babysteps. Zuerst ist wichtig, dass man sich überhaupt traut. Dass man den Übergang von der Kopf- in die Bruststimme genießt. Anfangs klingt das für mich Gesangsklemmi noch völlig unmöglich. Doch mit der Zeit und mit fallender Hemmschwelle spüre auch ich in den tieferen Tonlagen ein angenehmes Dröhnen, in das die zaghafte Kopfstimme selbstbewusst hinunterrutscht.
Es hat natürlich nichts mit dem warmen, sonoren Brustton von Beyoncé und Co. zu tun. Ich würde es auch kaum „gesungen“ nennen. Eher ist es ein ganz ursprüngliches, freies Dröhnen, das Spaß macht und mich für eine Sekunde meinen Kampf mit dem mittleren C vergessen lässt. Und auch mit Notation hat Jodeln recht wenig zu tun. Natürlich könnte man alles irgendwie aufzeichnen, meint Biebl. Aber darum geht’s nicht. „Jodeln geht von Mund zu Mund.“ Notenlese-Skills sind also auch kein Muss.
Singen ohne Worte
Apropos Skills: Während wir noch angestrengt die ungewohnten Silben nachjodeln, setzt auf einmal das Dröhnen der „Ziach“ aus und dafür ein Beatbox-Beat ein. Ja, Anita Biebl kann auch das. Im Dirndl und mit „Ziach“ um die Schultern, inmitten unsicher jodelnder Bergbesucher zerschmettert sie mit ihrem lässigen „Pfft“ und „Zschhh“ jede denkbare Schublade an der Felswand. Es fehlt nur noch ein Mic-Drop und sie hätte wohl mehr Credibility als jeder überschätzte Rapper da draußen.
Und die kommt nicht von ungefähr: Bereits mit 17 ist Anita Biebl von Bayern nach Salzburg gekommen, um am Mozarteum Musik- und Tanzpädagogik zu studieren. Das Hauptfach war „Stimme“. „Während des Studiums habe ich mehr und mehr das Singen ohne Worte erforscht. Das beinhaltet ja nicht nur Jodeln, sondern auch Beatboxen, Vokalperkussion, instrumentellen Gesang und Obertongesang.“ Die Jodelei hat Biebl also nicht von Klein auf mitbekommen, weil sie wie Heidi auf der Alm lebte und nur so mit ihren Freunden kommunizieren konnte: „Bei mir kommt das nicht aus der Familie. Sondern es ist das intrinsische Interesse daran, die Stimme als Instrument zu benutzen und nicht nur als Wortübermittler.“
Abschluss mit Diplom
Je länger uns Biebl Harmonika-ziehend und beatboxend begleitet, desto sicherer werden wir: Die Zunge formt die Silben wie von selbst, das peinliche Berührtsein schwindet. Und sogar das obligatorische Jodel-Solo am Ende des Workshops traue ich mir zu. Zu Beginn habe ich diesen Punkt noch realitätsverweigernd ausgeblendet. Aber er ist nun einmal erforderlich, um mein Jodel-Diplom zu bekommen. Und das will ich unbedingt, wenn ich schon mal hier bin.
Zuerst schmettert die Gruppe den Frage-Jodler, und jeder einzelne grölt den Antwort-Jodler. Dann umgekehrt. Kurze Panik. Kleines Blackout. Und dann ging’s doch erstaunlich gut. Nur die alteingesessenen Almwirte auf der anderen Seite des Tales hat das plötzliche Alpengedudel womöglich etwas verwirrt. Vielleicht haben wir ja unabsichtlich ein paar Schimpfwörter rübergejodelt. Trotzdem: Das Diplom habe ich mir meiner Meinung nach redlich verdient. Es berechtigt mich hochoffiziell dazu, jederzeit und überall zu jodeln. Also nimm dich in Acht, Welt – holladriö!
Was wir auf unserer Reise nach Salzburg noch so alles erlebt haben? Zum Beispiel waren wir in Oberösterreich Flussschnorcheln. Wenn ihr noch mehr von unseren Multi-Media-Reportagen wollt, dann begleitet uns doch in zwei von Österreichs legalen Cannabis-Shops.