Jung, erfolgreich, unglücklich: die Lebenskrise Mitte 20
Ist unsere Messlatte für Zufriedenheit zu hoch, oder warum verfallen so viele Menschen Mitte 20 in eine Lebenskrise? Ein neuartiges Phänomen, hätte es doch früher so etwas wie eine Quarter-Life-Crisis nicht gegeben: Als meine Eltern in meinem Alter, also Mitte 20, waren, war bereits das erste Kind auf dem Weg. Sie bauten zusammen ein Haus, sparten fleißig Geld, legten sich einen Hund zu und träumten von der gemeinsamen Zukunft. Und hier bin ich, heute Mitte 20. Anstatt, wie meine Eltern in meinem Alter, die großen Fragen des Lebens zu lösen, sitze ich regelmäßig verzweifelt auf der Couch und versuche mit herausgestreckter Zunge den Keks aus der Prinzenrolle zu bekommen. Und das mit zwei abgeschlossenen Studien. Noch heute fühle ich mich also viel zu oft unfähig, auf eigenen Beinen zu stehen – ist doch die erste Aktion angesichts der streikenden Waschmaschine der Anruf bei meiner Mami.
Zukunft, quo vadis?
In vielen Belangen bin ich also unbeschreiblich hilflos, ich fühle mich weder glücklich noch kreuzunglücklich. Also treibe ich einfach so dahin – und das in sämtlichen Lebensbereichen. Aber alles halb so schlimm, möchte man meinen. Immerhin ist man „in den besten Jahren“, hat gerade die Uni abgeschlossen, bei verschiedensten Praktika Erfahrungen gesammelt und wäre endlich bereit für „die Welt da draußen“. Eigentlich. In Wahrheit haben wir keine Ahnung, was wir denn nun wollen, wohin wir gehen, wem wir vertrauen, oder wer wir eigentlich sein möchten. Und stürzen oftmals blindlings in eine Lebenskrise Mitte 20. Aber warum? Kreieren wir uns etwa gar aus Langeweile Luxusprobleme, weil wir keine echten mehr haben?
Die Unfähigkeit, sich für Dinge zu entscheiden
Da bin ich also – und treibe so dahin. Man möchte sich ja immerhin auch auf nichts festlegen. Sei es nun eine Antwort auf die schlimmste aller Fragen („Und, was machst du dann nach dem Studium?“), eine Verabredung mit Freundinnen und Freunden, ein Urlaub oder gar eine Beziehung. „Schau ma mal, ich geb spontan Bescheid“ ist die Antwort auf nahezu alles Zwischenmenschliche der Generation Y, meiner Generation. Oder sollte ich sie doch lieber „Generation schau ma mal“ nennen? Man weiß also beim besten Willen nicht, was man will und trotzdem weiß man ganz klar, was man nicht möchte: sich festlegen. Immer jetzt gerade das tun und lassen, worauf man Lust hat. Spontan bei der Party heute Abend vorbeischauen, sofern sich nichts Besseres ergibt, vielleicht mit ins Kino gehen, falls aus den Partyplänen nichts wird. Oder das G’spusi, das eigentlich schon längst mehr Beziehung also G’spusi ist, partout nicht Beziehung nennen – denn ansonsten könnte man ja nicht mehr einfach abhauen, wenn eine Beziehung dann doch nicht so gut in den Kram passt.
All diese Dinge natürlich ohne Rücksicht auf andere. Gleichzeitig zeigen wir aber wenig Verständnis, wenn „die anderen“ das gleiche Verhalten an den Tag legen: Wir sind schwer beleidigt, wenn uns jemand nicht zu- oder absagt. Dafür sind wir gerne verliebt. Verliebt in den Gedanken, verliebt zu sein und diesem Gedanken jederzeit den Garaus machen zu können – ganz ohne schlechtes Gewissen und bitteres Nachspiel. Wir wollen nicht verletzt werden von anderen, verhalten uns aber selbst komplett egozentrisch und spazieren wie ein Elefant durch den Porzellanladen. Und natürlich halten wir uns stets sämtliche Optionen offen und nutzen dann doch keine davon, denn eine Entscheidung bringt Veränderung – und was, wenn sich die Dinge zum Schlechten verändern? Wirklich glücklich sind wir mit unserer Ungebundenheit allerdings auch nicht, denn wir machen alles nur so halb und lassen uns auf nichts mehr wirklich ein. Wir haben also das Gefühl, nichts so richtig auf die Reihe zu bekommen und finden uns schnell in unserer Lebenskrise Mitte 20 wieder.
Die Generation Y und ihre Maßlosigkeit – undankbar oder überfordert?
Warum also wählen wir nicht einfach ein Studium, einen Partner oder eine Partnerin, einen Beruf oder eine Unternehmung am Wochenende aus und schauen einfach, wie es läuft? Stattdessen sind wir so beschäftigt, uns ständig nach der besseren Alternative umzusehen, dass wir am Ende völlig vergessen, zu leben. Ich denke, wir sind überfordert von der Vielzahl der uns gebotenen Möglichkeiten: Uns wird Beruf X angeboten, aber der Job Y klingt auch interessant, oder wie wär’s gar mit einer Stelle im Ausland? Irgendwie sind wir auch ein bisschen undankbar. Denn wir sehen diese fast unbegrenzten Möglichkeiten mittlerweile nicht mehr als Segen, sondern als Bürde – und geben uns mit nichts zufrieden. Immerhin ginge es ja möglicherweise noch besser, noch weiter und noch schneller. Man könnte fast meinen, wir hätten schon mit Mitte 20 schlichtweg das Zufriedensein verlernt.
Was dazukommt: Heute ist irgendwie alles möglich, nichts ist mehr falsch, nichts wirklich richtig. Alles ist bloß Auslegungssache. Das ist einerseits gut und Ergebnis unserer modernen Gesellschaft, trotzdem wäre das Nichtvorhandensein Hunderter Optionen paradoxerweise irgendwie befreiend: eine einzige Option ohne Alternativen. Eine gewisse Sicherheit, die ich mir insgeheim manchmal irgendwie wünsche. Andererseits jedoch sind es genau diese Freiheit und diese Unsicherheit, die das Lebensgefühl der heutigen Generation junger Erwachsene ausmachen.
Why so serious?
Das sich treiben Lassen – mal auf einem Surfbrett auf Bali, mal verloren in unseren eigenen Gedanken – ist toll, solange wir es nicht zerdenken. Denn sind wir uns ehrlich: Es gibt weder den perfekten Job, noch die makellose Wohnung oder die ideale Beziehung. Und genauso wenig sind wir makellos oder perfekt. Und zum Glück ist es doch gerade das Unperfekte, das uns die meiste Freude bereitet. Deshalb lasst uns mutig sein. Entscheiden wir uns wieder für Dinge mit ganzem Herzen, lassen uns auf Menschen und echte Gefühle ein, versuchen einfach mal diese Lebenskrise mit Mitte 20 als eine große Chance zu sehen, die sich gleich über mehrere Jahre zieht. Lasst uns unsere jungen Ichs genießen, mit allen Unsicherheiten, Imperfektionen und erster Lachfältchen.
Ganz oben auf eure „Ich-genieße-meine-jungen-Jahre“-Liste könnt ihr jedenfalls schon mal die Dinge setzen, die Studierende in Wien unbedingt erleben sollten. Wir haben uns außerdem damit beschäftigt, welche Vorurteile es gegen Studierende gibt und was an ihnen dran ist.
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