Semmelweis-Areal: Kulturzentrum statt Leerstand
Wo einst ein Kinderheim war, wird derzeit geputzt, gemalt und gebaut: Der Kunst- und Kulturverein Semmelweisklinik hat sich zur Zwischennutzung im Gebäude Nummer 4 auf dem Semmelweis-Areal eingemietet und will das leerstehende Haus beleben. Wir haben uns das Projekt vor Ort angeschaut.
Ein gelbes Bobbycar in Form eines VW Käfers – oder zumindest das, was davon übrig ist – steht im Keller des Hauses mit der Nummer 4 am Semmelweis-Areal in Wien-Währing. Die Vorderreifen fehlen, eine dicke Staubschicht überzieht die Motorhaube, der Lack hat Kratzer. Der Verputz der Wände im Keller ist an manchen Stellen längst abgebröckelt, an anderen geben grüne Abdrücke von Kinderhänden Einblick in die Vergangenheit des Hauses: Bis in die 70er-Jahre war darin ein Kinderheim untergebracht, später auch Büros, Wäscherei und Großküche der Semmelweis-Frauen- und Geburtsklinik.
Jetzt findet man rund um das historische Haus Pressspanplatten und Menschen, die dem leerstehenden Gebäude wieder Leben einhauchen wollen. Denn seitdem die Semmelweisklinik 2019 in das Krankenhaus Nord gezogen ist, stehen drei der Häuser, in denen sich die Klinik einst befand, leer. Eines davon ist auch das “Wirtschaftshaus”, das dem neu gegründeten Kunst- und Kulturverein Semmelweisklinik für die Zwischennutzung zur Verfügung steht. Die Häuser sind im Besitz der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), ab Ende 2024 sollen hier Bildungseinrichtungen entstehen.
Leerstand beleben
Wo früher Büros waren, werden bald verschiedene Künstler*innen ihre Ateliers aufschlagen, es gibt verschiedene Räume für Events, Workshops, Seminare oder auch Sportkurse oder Proben. Die ehemalige Waschküche – das Herzstück des Projekts – wird zum öffentlichen Veranstaltungsraum umfunktioniert. Im Sommer sollen hier die ersten Ausstellungen stattfinden und für Herbst ist schon jede Menge Programm geplant, erzählt Nathalie Frickey. Sie ist Kunsttherapeutin und eines der elf Mitglieder des Vereins. “Wir wollen Vernetzung, wir wollen, dass sich hier ganz viele Leute zuhause fühlen. Aus dem Grätzel, aber auch aus der Kulturszene”, sagt sie. “Wir sind ein guter Un-Ort, der noch keine fixe Schiene fährt. Bei uns kann noch ganz viel Neues entstehen.”
Bis man sich hier tatsächlich zuhause fühlt, steht noch viel Arbeit bevor. Die Fassade ist denkmalgeschützt, darunter bröckelt es besonders im Westtrakt gewaltig. Hinter Türen voller Sticker stehen WC-Ruinen ohne fließendes Wasser, verblasste Kindermalereien zieren vergilbten Wände. Im ersten Stock gibt es noch nicht überall Strom. Der Osttrakt, in dem bis 2019 Büros und Großküche der Semmelweisklinik untergebracht waren, sieht im Vergleich dazu fast luxuriös aus. Einige der mehr als 30 Ateliers sind hier schon vermietet, besonders die lichtdurchfluteten Räume sind beliebt. Auch die Bewegungs- und Veranstaltungsräume werden schon für Proben und Filmdrehs genutzt.
Kein Luxusort
Mit Abstand am meisten zu tun hat der Kunst- und Kulturverein Semmelweisklinik aber in der ehemaligen Waschküche. Der Raum mit den meterhohen Wänden soll barrierefrei werden, dafür plant das Team noch zwei Rampen für Rollstuhlfahrer*innen. Außerdem muss der Boden neu gemacht werden. Für die Umbauarbeiten hat der Verein ein Crowdfunding gestartet. 199 Unterstützer*innen stützten das Projekt mit 16.430 Euro. Die sollen jetzt dafür aufgewendet werden, dass in der Waschküche schon bald Konzerte, Ausstellungen und Aufführungen stattfinden können.
Allein vom Crowdfunding kann sich das Projekt Semmelweisklinik aber nicht finanzieren. Denn die monatlichen Kosten belaufen sich auf etwa 10.000 Euro – für die Versicherung, Betriebskosten und einen Verwaltungsbeitrag. “Strom zahlen wir noch einmal extra nach Bedarf”, erklärt Frickey. Über Eintritte für Veranstaltungen und Raumvermietungen soll das Geld reinkommen. Für ein Atelier zahlt man 10 Euro pro Quadratmeter, auch die Teammitglieder zahlen für ihre Arbeitsräume Miete.
“Idealerweise hätten wir gerne Leute, die ein großes Budget haben und uns einen Unterstützerpreis zahlen, mit dem wir uns dann leisten können, dass auch Menschen mit weniger Mitteln sich zu einem günstigen Preis einmieten können”, erklärt Frickey. Denn das Ziel sei, leistbar zu bleiben und die Nachbarschaft miteinzubeziehen. “Wir wollen, dass hier auch Platz ist für Leute aus dem Grätzel, die meinetwegen ein Kaffeekränzchen abhalten oder einen Nähworkshop, oder dass am Sonntagmorgen hier Yoga stattfinden kann. Es soll nicht zu einem Luxusort, sondern für möglichst viele Leute zugänglich werden.”
Soziales und wirtschaftliches “Experiment”
Damit so ein Ort entstehen kann, braucht es engagierte Leute. “Unser Konzept basiert auch auf Selbstausbeutung”, sagt Frickey bei der Tour durch das Haus. Seit Herbst 2021 arbeitet sie mit dem Verein an dem Zwischennutzungsprojekt. Vor allem seit der Schlüsselübergabe fühle es sich streckenweise wie ein Fulltime Job an, bezahlt wird das elfköpfige Team für die Bau- und Renovierungsarbeiten nicht. “Ich habe gerade viel Zeit, deshalb mache ich auch gerade viel. Das wird sich auch über den Sommer verändern – je nachdem, wer wann da ist. Parallel arbeiten wir gerade Strukturen aus.” Außerdem plant der Verein, zwei von ihnen als Office Manager*innen anzustellen, die für die viele organisatorische Arbeit ein Gehalt bekommen.
Als wären Finanzierung und Bauarbeiten nicht schon Aufgabe genug, kommt beim Kunst- und Kulturverein Semmelweisklinik noch hinzu, dass elf wildfremde Leute nun als Non-Profit-Organisation zusammenarbeiten und den Laden schmeißen müssen – oder dürfen. Die Menschen, die sich im Verein engagieren, stammen alle aus dem Kunst- und Kulturbereich. Darüber hinaus hatten sie vor allem eines gemeinsam: Raumbedarf. Und so haben sie sich nach der Besichtigung des Wirtschaftshauses vernetzt und in vielen Zoom-Calls und Treffen Konzepte und Präsentationen ausgearbeitet. Und tatsächlich: Sie haben sich im Bewerbungsprozess gegen andere Ideen für das Semmelweis-Areal durchgesetzt. “Das ist alles auch ein soziales Experiment, nicht nur ein wirtschaftliches”, sagt Frickey.
Es sei anstrengend, nicht als “fertiges Team” zu kommen und das Gebäude zu übernehmen. “Wir müssen auch vom Gebäude und voneinander im Team lernen, was wir brauchen.” Gleichzeitig erfüllt es sie auch mit Stolz, schon so weit gekommen zu sein: von der Ausarbeitung des Konzepts, über die Präsentationen vor der BIG, bis zu den Umbauarbeiten. “Wir haben alle eine steile Lernkurve und wir werden alle noch lang von den Erfahrungen, die wir gerade machen, zehren können. Daher ist es schon jetzt für mich ein Erfolg, diesen Weg gegangen zu sein.”
Mehr zum Thema? Wir waren auch bei dem Zwischennutzungsprojekt Never at Home, das eine leerstehende Schule zum Artspace gemacht hat. Was sich sonst noch in Währing tut, erfahrt ihr in unserer Liste 1180 Wien.