Landkind vs. Stadtkind: Das Grüßen auf der Straße
Unsere Redaktion ist so vielfältig wie sie wunderschön ist – das haben objektive, unabhängige Studien ergeben. Daher tummeln sich in der Wiener Burggasse sowohl eingeborene Stadt- als auch „zuagraste“ Landkinder. Und die sind sich nicht immer einig. Weil wir gerne zündeln, fachen wir den Stadt-Land-Battle in dieser Kolumne mit vollem Bewusstsein an. Dieses Mal diskutieren das Stadtkind und das Landkind über das Grüßen auf der Straße.
„Griaß Gott in Österreich, griaß Gott beinond“, brummt die Ikone des Regionalfernsehens Sepp Forcher mit leichtem Lispeln am Anfang seiner Sendung „Klingendes Österreich“ in die Kamera. So wie es sich eben gehört: Man grüßt sich. In der Großstadt nur, wenn man sich kennt, am Land auch, wenn nicht. Da kann man schon mal durcheinanderkommen, wenn man vom Land in die Stadt zieht oder umgekehrt. Diesmal erzählen Landkind Julia und Stadtkind Viki, warum die Sache mit dem Grüßen sie manchmal an ihre sozialen Grenzen bringt.
Julia, das Landkind
In der Siedlung, in der ich aufgewachsen bin, wohnten meine Familie und ich und alle Lehrer, die Mariazell so beherbergte. Den Lehrern war es sehr wichtig, auch privat mit einem „Grüß Gott“ gegrüßt zu werden. Wenn nicht, dann gnade uns Gott. (Was für eine Ironie.) So haben wir bereits früh das „Grüß Gott“ als automatische Grußformel verinnerlicht. Im krassen Unterschied zum jovialen „Hallo“, das natürlich gar nicht ging. Immerhin sagen das doch die Amerikaner in ihren Sitcoms. Gar nicht grüßen war überhaupt keine Option – das galt als hochgradig unhöflich und respektlos. Sollte man doch mal aus Versehen jemanden grußtechnisch ignoriert haben, konnte man sich sicher sein, dass das nicht ungestraft blieb. Prompt wurde eine direkte Beschwerde seitens des Ungegrüßten bei den Eltern eingereicht. Also blieben wir alle brav dem „Grüß Gott“ treu.
Als ich vor zehn Jahren aus der 1500-Seelen-Gemeinde in die Zwei-Millionen-Menschen-Metropole Wien zog, wurde mir nach einigen irritierenden „Grüß Gott“- und mutigen „Hallo“-Begegnungen bewusst, dass die Menschen es hier gar nicht als respektvoll, sondern eher als aufdringlich und nervig empfinden, wenn man sie unbekannterweise im Vorbeigehen auf der Straße grüßt. Außerdem merkte ich schnell, dass es zeitlich doch ziemlich ineffizient ist, eine Strecke in Wien „grüßend“ zurückzulegen.
Vom Land in die Stadt
Einer der einprägsamsten Momente meiner ersten Tage in Wien war folgender: Ich stand am Stephansplatz und grüßte alle Menschen, die mir so vor die Füße liefen. Wen ich hier allerdings nicht bedacht hatte, war ein brav arbeitender Mozart. Einer von denen, die den Touris irgendein Ticket für ein Konzert in der Staatsoper verkaufen möchten. Es war dank meinem hektischen Gegrüße erstaunlich schwierig, ihm klarzumachen, dass ich gar keine Touristin bin, sondern tatsächlich hier wohne und eigentlich nur höflich sein wollte. Und als er es dann doch begriff, wollte er mich prompt auf einen Feierabend-Drink einladen. Das hat man also vom Grüßen in Wien, dachte ich und lehnte dankend ab. Das Grüßen ließ ich daraufhin mal eine Weile bleiben.
Trotzdem ist der Drang zu grüßen nach wie vor in mir – die Kindheit ist ja doch sehr prägend. So passiert es mir heute noch laufend, dass ich auch mitten in Wien Menschen grüße, die mich nett anlächeln oder mir eine Sekunde zu lange in die Augen schauen. „Grüß Gott!“ Ups. Da war’s schon wieder. Natürlich ist mir bewusst, dass es keinen Sinn macht, durch eine Millionenstadt zu gehen und jeden Menschen einzeln zu begrüßen. Das übersteigt eindeutig mein Stimmvolumen und meine Lebenszeit. Manchmal geht mir als Landkind der direkte Kontakt mit den Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung in der Öffentlichkeit aber doch ziemlich ab. Denn so viele Vorteile die starke Anonymität der Großstadt hat, so viele zwischenmenschliche Nuancen bleiben dadurch oft auf der Strecke. Und wenn es nur ein nettes „Guten Morgen“ des sympathischen Nachbarn ist, das einem den Tag erhellt. Mittlerweile habe ich mich aber mit der Grüß-Abstinenz in Wien arrangiert: Jedes Mal, wenn ich meinen Heimatort besuche, plane ich besonders viel Zeit ein, spaziere durch den Ort und grüße, was das Zeug hält.
Viki, das Stadtkind
In Wien leben fast zwei Millionen Menschen. Wenn ich die alle auf der Straße grüßen würde, bräuchte ich vom Stephansdom bis zum Stock im Eisen fünf Stunden statt fünf Minuten. Je mehr Menschen auf einem Fleck wohnen, desto anonymer wird das Zusammenleben. Das ist nicht unfreundlich, das ist nur logisch. Daher war es für mich als Kind verständlicherweise auch immer wieder eine Sache der Umstellung, wenn ich mit meiner Familie Urlaub am Land machte oder unsere Verwandten in einem kleinen Dorf in Niederösterreich besuchte. Immerhin ist die Devise für Stadtkinder doch, so wenig Kontakt mit Fremden aufzunehmen wie möglich. Wenn dir jemand Süßigkeiten anbietet: Renn weg! Wenn dich jemand fragt, wo du wohnst: Renn weg! Aber wenn dir am Land ein fremder Mensch entgegenkommt, dann nimm gefälligst aktiv Kontakt zu ihm auf, du unhöfliches Gfrastsackl!
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Sicher im urbanen Schneckenhaus
Ehrlich gesagt brauche ich da auch heute noch ein wenig Zeit, aus meinem urbanen Schneckenhaus zu kriechen und wildfremde Leute auf der Straße nett zu grüßen. Doch bricht man aus dieser Konvention aus und grüßt einfach mal nicht, weil einem eben einfach nicht danach ist und dieser wildfremde Mensch sowieso in zwei Sekunden für immer hinter der nächsten Ecke verschwunden sein wird, fühlt man sich wie der letzte asoziale Vollhonk. Und wird direkt von der Land-Community als Wiener „Großkopfater“ geshamet. Wieso ist die Grüßerei also so ein großes Ding für uns, obwohl sie ja eigentlich überhaupt kein Ding ist? Vielleicht liegt es ja daran, dass am Land jeder Unbekannte ein Freund ist, den man noch nicht kennt, während in der Stadt jeder Unbekannte in einer gesichtslosen Masse aus unzähligen Unbekannten verschwimmt. Oder vielleicht liegt es auch einfach daran, dass man sich im Kleinen, Persönlichen viel penibler an festgesetzte Konventionen halten muss als im Großen, Anonymen.
Fairerweise muss ich dazusagen, dass mir als Stadtkind natürlich auch eingebläut wurde, auf der Straße zu grüßen. Nur eben gewisse Personen, die ich kenne. In einer Einfamilienhaus-Siedlung im Randbezirk war das die gesamte Nachbarschaft. Und als Kind grüßt man bitteschön zuerst und möglichst untertänig, sonst petzen die vergrämten Nicht-Begrüßten das den Eltern und dann gibt’s Schimpfer. Als ich dann als Erwachsene in ein Wohnhaus gezogen bin, war es für mich also nicht nur logisch, sondern eine sozialgesetzliche Verpflichtung, meinen neuen Nachbarn im Aufzug ein fröhliches „Grüß’ Sie!“ zuzuträllern. Da die meisten eher brüskiert bis genervt ein gedämpftes „Hallo“ zurückgrummelten, bin ich aber mittlerweile zu einem unverfänglichen kurzen Kopfnicken übergegangen. Da kann jeder reininterpretieren, was er will: einen Gruß, eine Aufforderung zum Faustkampf, oder einfach ein nervöses Zucken.
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