Landkind vs. Stadtkind: Die Krampus-Läufe
Unsere Redaktion ist so vielfältig wie sie wunderschön ist – das haben objektive, unabhängige Studien ergeben. Daher tummeln sich in der Wiener Burggasse sowohl eingeborene Stadt- als auch „zuagraste“ Landkinder. Und die sind sich nicht immer einig. Weil wir gerne zündeln, fachen wir den Stadt-Land-Battle in dieser Kolumne mit vollem Bewusstsein an. Dieses Mal diskutieren das Stadtkind und das Landkind über ihre Erfahrungen mit Krampus-Läufen.
„Wennst schlimm bist, kommt der Krampus.“ Wie oft haben wir das in unserer Kindheit gehört? Und wie oft ist er tatsächlich gekommen? Während in den Stadtkindergärten meistens nur der liebe Nikolaus seine Schoki verteilte, machen am Land wochenlang enthemmte Kramperln die Straßen unsicher. Landkind Julia und Stadtkind Viki erzählen, wie unterschiedlich sie zum Krampus und seinen wahnsinnigen Gehilfen stehen.
Julia, das Landkind
In meinem Heimatort Mariazell gibt es jedes Jahr Krampusläufe. Die waren bis weit über die obersteirischen Grenzen hinaus bekannt. Da wurden die Straßen abgesperrt und extra Punschstände aufgestellt. Neben den Touristen fand sich auch fast jeder Bewohner am abgesperrten Straßenrand, um den furchteinflößenden Kramperln beim Laufen zuzusehen. Und wenn sie kamen, flüchtete man schnell.
Alles begann in meiner Kindheit
Als ich noch ein kleines Mädchen war, hat mich mein Papa mit zum Krampuslauf genommen. Er hat mich auf seine Schultern gepackt und ich habe mich zusammengerissen, diese nicht vor lauter Angst nass zu machen. Denn in meinen Kindheitstagen waren die Regeln bei Krampusläufen noch etwas anders. Ganz nach dem Motto: Wer zu langsam ist, den bestraft der Krampus! In den 90ern wurden bei Krampusläufen die Ruten nicht nur ausgepackt, sondern auch ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt. Damals durften die Kramperln noch die abgesperrte „Lauf-Strecke“ verlassen und einzelnen Personen nachlaufen, um diese bis in die kleinsten Gassen zu verfolgen und grün und blau zu peitschen. Übrigens zählten Unmengen an Schnaps zur normalen Vorbereitung für den Krampuslauf.
So kam, was kommen musste: Natürlich entdeckte uns ein Krampus, lief direkt auf uns zu und versuchte, mich von den Schultern meines Papas zu reißen, was er aber dank seines hohen Alkoholpegels nicht ganz schaffte. So fing mein Papa einen Ruten-Schlag, ich bekam den Schock meines Lebens und der Krampus wackelte schreiend zum nächsten Opfer weiter. Nach diesem ersten Krampus-Erlebnis habe ich den Krampuslauf bis zu meiner Jugend, übrigens ausgelassen. Und den Krampus lieber in Schokoladen-Form verspeist.
Kam Zeit, kam Veränderung
Glücklicherweise hat sich seit den Krampusläufen der 90er einiges verändert. So war ab meiner Jugend die Polizei wesentlich stärker präsent, die Kramperln gehören einer neuen Generation (viele davon auch Freunde von mir) an und sie sind vor allem nüchtern. Der wichtigste Punkt ist, dass die Kramperln die Absperrung nicht mehr verlassen und auch keine Hiebe mehr verteilen dürfen. Ihr könnte euch also sicher vorstellen, dass ich mehr als froh bin, dass daraus eine Show mit Feuer, großartigen Masken und festlicher Stimmung geworden ist.
Heute beeindrucken mich vor allem die einzigartige Handwerkskunst der handgeschnitzten Masken und die fulminante Show, in welche die verschiedenen Krampusvereine das ganze Jahr viel Liebe und Zeit hineinstecken. Das ist etwas, das uns sehr verbindet und zeigt, was man mit viel Liebe zur Tradition alles machen kann. Nun finde ich es großartig, wenn Menschen dem Stammtisch im Wirtshaus den Verein mit ihren Freunden vorziehen und gemeinsam auf etwas hinarbeiten, was letztendlich Tausende von Besuchern aus der ganzen Welt anlockt und begeistert. Ich habe also meinen Frieden geschlossen mit dem Krampus und kann mit Stolz behaupten, dass mich vor allem in meinem Heimatort Mariazell die jährlichen Krampusläufe begeistern und ich mein Kindheitstrauma dank vieler netter Kramperln verarbeiten konnte.
Viki, das Stadtkind
Im Kindergarten besuchte uns rund um den 6. Dezember eigentlich immer nur der Nikolaus. Also war lange Zeit der einzige Krampus in meinem Leben der uralte Zwetschkenkrampus meiner Mutter, einige beachtliche Zentimeter hoch, mit Filz und Rute verziert und standesgemäß grauslich – mal abgesehen von seiner ekligen Klebrigkeit, die dem jahrelangen Dörrobst-Verfall seiner Zwetschkengliedmaßen geschuldet war. Der gruselte mich weniger, als dass er missbilligendes Stirnrunzeln verursachte: Warum stand er auch auf der Anrichte und grinste mich mit seinem einen blöden Filzzahn dummdreist an, während ich meinen wertvollen Schoko-Nikolo in einem inhalierte? Den konnte man ja wenigstens essen! Wenn ich in den Oberschenkel des Grind-Krampusses gebissen hätte, wäre ich wahrscheinlich mit ausgepumptem Magen im Spital gelandet.
Eine Magenverstimmung und pickige Finger waren also lange Zeit das Level an Bösartigkeit, das ich mit dem Krampus verband. Nicht besonders furchteinflößend, bloß ein bisschen grauslich. Erst im Erwachsenenalter erfuhr ich immer häufiger von eskalativen Perchten- oder Krampusläufen (für mich als Stadtkind beides dasselbe, weil bei beiden verrückte Maskierte herumrennen und mich mit einer Rute verprügeln). Natürlich stand für mich erst mal nicht zur Debatte, mich so einer Massenschlägerei freiwillig auszusetzen. Was hat es denn auch für einen Sinn, völlig enthemmten, bis zur Unkenntlichkeit maskierten, alkoholisierten Typen dabei zuzusehen, wie sie ausrasten und mir ziemlich sicher Schmerzen zufügen?
Der erste und einzige Perchtenlauf meines Lebens
Im Laufe des Studiums weitete sich mein Freundeskreis allerdings rapide weit über die Wiener Stadtgrenzen hinaus aus – und schon hatte mich ein Kärntner emotional zwangsverpflichtet, doch mal einem Perchtenlauf in seiner Heimatstadt beizuwohnen. „Des muasst lei amol gsegn hobn.“ Ja, ja, lei, lei, mein lustiger Kärntner Freund, im Nachhinein ist mir das Ausmaß an Untertreibung durchaus bewusst, das da absichtlich in deiner Stimme mitschwang. Beim Perchtenlauf rutschte mir dann das Herz endgültig in die Hose. Zwar sind diese Läufe angeblich schon viel regulierter und zivilisierter als noch vor ein paar Jahren.
Aber alleine schon, dass ein Typ mit einer Maske, die aussieht, als hätte sich eine Hexe mit einem Yeti gepaart, wie im ärgsten Drogenrausch an der aufgestellten Absperrung rüttelt, die die Zuschauer von den exekutierenden Kramperln trennte, war für mich Schock genug. Wehren konnte ich mich auch nur mit vorsprachlichen Quietschlauten, hatte man mir doch eingebläut, mich nicht als Wienerin erkennen zu geben. „De Stodtpflonzn fongans besunders gern aussi.“ Na super. Also blieb mir nur Schweigen und das Ausweichen des Blickkontakts auf Profi-Level. Aber zugegeben: Feuer-Shows, musikalische Untermalung à la Rammstein und die unglaublich kunstvolle Hässlichkeit der Masken machten das Ganze zu einem ziemlich einzigartigen Erlebnis. Und das wird es für mich auch bleiben.
Ihr wollt noch mehr Konfliktpotenzial zwischen Stadt und Land? Dann lest euch durch, wie unterschiedlich unsere Stadt- und Landkinder das Grüßen auf der Straße sehen. Lieber mehr Stadt-Impressionen? Unsere Redakteurin schildert, warum der erste Schnee in Wien immer der beste ist – und danach alles bergab geht.