Mein Vater, der Anti-Held
Gute Ratschläge und besonnene Lebensweisheiten bekommt man schnell mal von den Eltern. Aber besonders im Gedächtnis geblieben sind mir die skurrilen Aktionen meines Vaters, die mir gezeigt haben, dass keiner von uns unfehlbar ist. Alles Liebe zum Vatertag!
Wenn wir klein sind, sind unsere Eltern unangefochten unfehlbar. Und dann werden wir größer und merken, dass die, die alles im Griff haben sollten, mindestens genau so große Chaoten sind wie wir selbst. Zumindest war es bei mir so. Mein Vater inszeniert sich gern als abgebrühten Übermann, der alles im Griff hat. Das hätte natürlich mein Männerbild massiv verkorksen können, würden seine Geschichten und Erlebnisse dieser Inszenierung nicht immer wieder in die Quere kommen. Zwar ist er nicht unbedingt der große Lebensweisheiten-Klopfer, aber genau mit diesen Geschichten hat er mir immer wieder unfreiwillig bewiesen, dass Männer – und im Speziellen Väter – nicht immer alles im Griff haben müssen, nicht immer die Starken sein müssen, sondern ruhig mit festem Griff in einen Stacheldrahtzaun greifen und danach weinend bergab laufen können, während ihre schwangere Frau ihr Mountainbike trägt. Aber ich greife vor.
Als mein Vater mir gezeigt hat, dass meine Mutter die Starke ist
So, die Stacheldraht-Geschichte muss ich natürlich noch mal in Ruhe und von Anfang an erzählen: Mein Vater ist ein unglaublich unternehmungslustiger und sportlicher Mensch. Wenn er bei seinem stressigen Job mal Zeit dafür hat. Also muss er dann natürlich alles gleichzeitig machen. Deshalb packte er eines schönen Samstags meine sechsjährige Schwester, meine Mutter, die wiederum mich noch in ihrem Bauch eingepackt hatte, und sein neues Mountainbike ein und fuhr mit ihnen zu irgendeinem Wanderberg, der neben netten Spazierwegen auch eine, ich zitiere, „leiwande Downhillstrecke“ im Angebot hatte. Der Plan: Alle gemeinsam fahren mit dem Sessellift bergauf. Dann könnte meine Mutter gemütlich mit meiner Schwester bergab spazieren, während sich Papa waghalsig den Berg hinunterschmeißt. Dass idyllische Familienausflüge generell anders funktionieren, müssen wir hier nicht extra ausdiskutieren.
Die Realität: Das Rad meines Vaters hatte diese Clip-In-Pedale, an denen man die passenden Radler-Schuhe festmachen kann. Also clippte er seine Füße an sein Rad und rauschte bergab. Bei einem Stacheldrahtzaun musste er abbremsen, um das Rad darüber zu heben. Auf der anderen Seite schnallte er den einen Fuß wieder ins Pedal. Doch bevor er aufsteigen konnte, machte sich das Rad selbstständig. Einfüßig am Rad festgepinnt, gab’s nicht wirklich viele Optionen, einen Sturz zu verhindern. Mein Vater entschied sich aber für die ungeschickteste: Mit ganzer Kraft krallte er sich am Stacheldrahtzaun fest – was natürlich schrecklich wehtat und ihn erst recht zu Fall brachte.
Nächste Szene: Nachdem meine Mutter ihn aus den Fängen seines Pedals befreit hat, trottet ein Vater trottet zeternd und jammernd in seinen klappernden Clip-in-Schuhen neben meiner Mutter bergab, ihr Kind in der einen Hand, das unselige Rad in der anderen. Leider bei Weitem nicht der einzige überhastete Familienausflug, der mit Tränen endete.
Als mein Vater mir gezeigt hat, wie wichtig das Loslassen ist
Alles, was einen mit Rädern ausstattet, ist die große Leidenschaft meines Vaters. So eine Zeitlang auch das Inlineskaten. Leider hatte er genau an diesem einen perfekten Skate-Tag auch meinen kleinen Bruder im Kinderwagen am Hals. Prinzipiell lässt sich Kinderwagen-Schieben ja ganz gut mit Inlineskates vereinbaren. Prinzipiell. Denn im Herbst war bei uns außerdem immer Drachensteig-Zeit. Sobald der Wind günstig war, kam mein Vater schon mit einem neuen Drachen an, den man unbedingt steigen lassen müsse. Ihr erinnert euch: Es musste ja immer alles gleichzeitig passieren. Daher der Plan: Er fährt mit meinem Bruder, seinen Skates und dem neuen, teuren Drachen auf die Donauinsel und gleitet auf seinen Fußrollen dahin, während er den Kinderwagen schiebt und den Drachen steigen lässt. Das verursacht mir allein schon beim Nacherzählen Stress.
Die Realität: Eine Zeitlang ging diese Sportversion einer Ein-Mann-Band auch erstaunlich gut, bis eine starke Windböe die Kontrolle über den Drachen übernahm und ihn in Richtung Donau steuerte. Die Konsequenz: Da der Weg entlang des Wassers ja eben und gerade verläuft, ließ mein Vater in einer Kurzschluss-Reaktion den Kinderwagen los – der würde schon irgendwann stehen bleiben. Viel wichtiger: Der Drachen war wie gesagt verdammt teuer und könne ihm doch nicht jetzt beim ersten Ausflug gleich abhandenkommen. Weil Papa partout nicht loslassen wollte, zog ihn das widerspenstige Ding kurzerhand mit sich ins Wasser. Das alles ging glimpflich aus: Der Kinderwagen blieb stehen, der Drachen ließ sich zurückholen, nur mein Vater war patschnass und angepisst.
Als mein Vater mir gezeigt hat, dass die Flucht nach vorne manchmal die einzige Option ist
Die Donauinsel hat uns tatsächlich einige skurrile Geschichten verschafft. Wie auch diese: Sie beginnt als harmloser Radausflug mit meiner Schwester und meinem Vater. Wir rollten zufrieden vor uns hin, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, schön war’s, rundum schön. Weil das Leben aber ein kranker Sadist ist, musste das natürlich in einem Desaster enden. Ich war ungefähr fünf Jahre alt und erinnere mich nur daran, dass die Bikinis weniger und die nackte Haut mehr wurden. Plötzlich standen da immer mehr entblößte Körper mit seltsam baumelnden Zusatzausstattungen, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Ich merke, wie mein Vater immer panischer in die Pedale tritt. Auch die Nackten waren etwas ungehalten darüber, dass da vollständig Bekleidete ihre blanke Idylle störten.
Einer davon ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil er mit rausgestrecktem, stolzem FKK-Bauch mitten in der Wiese stand und uns verwirrt beobachtete. Außerdem war seine Zusatzausstattung so klar zu sehen, dass ich neugierig wurde: „Papa!“ schrie ich. „Was hat der Mann da für ein Rohr zwischen den Beinen?“ Der blanke Horror für einen Vater: das Aufklärungsgespräch mit seiner kleinen Tochter mitten auf der Donauinsel. Seine Reaktion: „Schaut’s da nicht hin! Fahrt’s! Um Himmels willen, fahrt’s!!!“ Umdrehen konnten wir ja nicht mehr. Das hätte wahrscheinlich noch mehr Fragen aufgeworfen, da wir dafür mitten im Epizentrum der Nacktheit erstmal stehenbleiben und absteigen hätten müssen. Also blieb uns nur die Flucht nach vorne. Und wir rasten durch den FKK-Bereich wie die letzten Überlebenden einer Zombie-Apokalypse – verwirrte, sich langsam hinter uns versammelnde Nackte im Rücken.
Als mein Vater bewiesen hat, dass Gewalt die dümmste aller Lösungen ist und man das Autofenster niemals offenlassen sollte
Diese Geschichte ist tatsächlich schon lange vor meiner Ankunft auf dieser Welt passiert: Mein Vater ist ein ziemlich von sich und seinen Fahrkünsten überzeugter Autofahrer mit ausgeprägtem Verkehrsgerechtigkeitssinn. Bei einer seiner Fahrten hat ihn angeblich ein LKW-Fahrer geschnitten. Doch nicht mit ihm! Dem musste er zeigen, wo der Hammer hängt, und schnitt ihn bei nächster Gelegenheit ebenfalls. Blöd nur, dass beide bei derselben Ausfahrt von der Autobahn abfahren mussten und bei einer roten Ampel hintereinander zum Stehen kamen. Wutentbrannt sprang der LKW-Fahrer aus seinem Fahrzeug, stampfte nach hinten zu meinem Vater und verpasste ihm durchs offene Autofenster einen rechten Haken.
Jeder andere hätte sich jetzt wahrscheinlich das Kennzeichen notiert und die Polizei verständigt. Aber doch nicht der selbsternannte Verkehrspolizist im Blutrausch! Also verfolgte mein blutverschmierter Vater den LKW, der nicht wusste, mit wem er sich da angelegt hatte. Und bei der nächsten Ampel sprang er aus dem Auto, rannte nach vorne und zog sich – damals ziemlich gut trainiert – mit einem Arm am Rückspiegel des Fahrzeugs hoch. Mit der anderen Hand verpasste er dem verblüfften Fahrer ein Retour-Veilchen. Das Ganze endete natürlich erst recht bei der Polizei und beweist einmal mehr, dass Gewalt einfach keine Lösung ist.
Lieber Papa, wahrscheinlich weißt du gar nicht, dass du mich mit all deinen schiefgegangenen Geschichten und peinlichen Fails so viel mehr gelehrt hast als mit klugen Ratschlägen. Danke dafür!
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