Raunzen & Reisen: Warum Nachtzüge manchmal zach sind
Wir lieben Reisen, und ganz ehrlich: Wir lieben auch Raunzen. Weil beides wunderschön sein kann, teilen wir hier schamlos unsere Gedanken und nehmen euch diesmal mit in den Nachtzug. Denn obwohl der für unsere Autorin Sonja mittlerweile wie ein zweites Wohnzimmer ist, wartet sie mit dem Buchen der nächsten Fahrt lieber noch etwas. Warum das so ist, erklärt sie hier.
Man kann eigentlich nur Gutes über Nachtzüge sagen. Vor allem, wenn man Reisejournalistin ist und Wert auf Nachhaltigkeit legt. Sie machen umweltschonendes Reisen leicht, zeitsparend und abenteuerlich. Ich bin ganz der Meinung der ÖBB und überzeugt davon, dass sie die Zukunft von Städtetrips innerhalb Europas sind. Aber, und das muss unter uns bleiben: Mühsam sind sie manchmal durchaus.
Wie Nachtzug fahren 2016 ausgesehen hat
Als ich zum ersten Mal in einen Nachtzug steige, ist das weit entfernt von cool oder trendy. Es ist vor allem dubios. Damals, vor fast neun Jahren, war der Nachtzug von Wien nach Krakau kein Ort, der auf TikTok gehyped wurde. TikTok gab es damals noch lange nicht, die Route mit dem Nachtzug schlug mein Papa, ein absoluter Zug-Nerd, vor.
Man musste früher wohl wirklich sehr Schienen begeistert sein, um die Strecke zu kennen, zusätzlich etwas wild drauf, um sie auch tatsächlich zu nutzen: Denn das 6er-Abteil, in das sich meine Freundin und ich damals einbuchten, hatten wir selbst im Hochsommer für uns. Über die Erfahrung selbst kann ich nichts Negatives berichten – das Konzept Nachtzug erschien mir aber selbst nach meinen ersten beiden Fahrten so nieschig, dass ich einfach vergaß, dass es existierte. Bis zum Boom vor ein paar Jahren.
Das 6er-Abteil, in der sich meine Freundin und ich damals einbuchten, hatten wir selbst im Hochsommer für uns.
SONJA KOLLEr
Mindestens zehnmal von Wien nach Berlin und wieder zurück, von dort nach Amsterdam und Zürich, von München nach Slowenien und schließlich sogar von Neapel nach Sizilien: In den letzten Jahren habe ich wirklich viel Zeit in Nachtzügen verbracht und verschiedenste Anbieter getestet. Als jemand, der Backpacking und abenteuerliches Reisen liebt und weiß, dass die Breite des Angebots mittlerweile wirklich top ist, drängt sich die Frage auf: Warum wartet aktuell kein Ticket auf mich?
Da gibt’s noch was zum Geraderuckeln
Weil meine Mama nach meiner Ankunft in Wien mit dem Nachtzug aus Berlin schon weiß, dass ich am ersten Vormittag zwar körperlich, aber garantiert nicht geistig anwesend bin. Mittlerweile bin auch ich mir darüber bewusst, dass eine Nachtzugfahrt keine Zeitersparnis bedeutet. Zumindest für mich nicht. Komme ich an, brauche ich nämlich mindestens drei Stunden Tiefschlaf, um zu funktionieren. Der Vormittag ist also eh weg und ich hätte einfach einen frühen Zug nehmen können – für die Hälfte der Kosten.
Es sind nicht etwa Schnarcher*innen oder die irgendwie an jedem Wochentag anwesenden Bier trinkenden Party-Fahrer*innen, die mich wach halten. Ich bin es gewohnt, in Schlafsälen von Hostels mit White Noice in den Ohren durchaus akzeptabel Schlaf tanken zu können. Auch sind es nicht die Ausweiskontrollen und die Interaktionen im Pyjama mit Grenzpolizist*innen mitten in der Nacht, die mich am Ankunftstag wie auf Wolken gehen lässt. Es ist das Ruckeln.
Stay humble, fahr Nachtzug
Mit In-den-Schlaf-Wiegen hat das auf einigen Strecken nämlich absolut nichts mehr zu tun. Oft werden Nachtzugfahrten künstlich ausgedehnt, damit man zu christlichen Uhrzeiten an seinem Zielort ankommt. So dauert die Fahrt von Berlin nach Wien nicht etwa wie tagsüber acht, sondern 12 Stunden.
Dass er, während er vehement von links nach rechts geschmissen wird, nicht den natürlichen Instinkt entwickelt, sich zu entspannen und wegzudösen, kann ich meinem Körper nur schwer vorwerfen.
SONJA KOLLER
Das Positive: Da fällt auf, was für einen Fahrkomfort wir mittlerweile aus ICEs gewohnt sind. Während die schnelle Fahrgeschwindigkeit mich dort Kaffee über mehrere Wagons hinweg jonglieren lässt, merke ich das Ruckeln in den größtenteils deutlich langsamer fahrenden Nachtzügen um einiges mehr. Dass er, während er vehement von links nach rechts geschmissen wird, nicht den natürlichen Instinkt entwickelt, sich zu entspannen und wegzudösen, kann ich meinem Körper nur schwer vorwerfen.
Mein Vorschlag: Schneller fahren
Weil ich nicht nur raunzen will, habe ich aber einen Vorschlag: Schneller fahren. Nachtzugfahrten verkürzen. Es gibt da nämlich noch einen zweiten Verzögerungsgrund, an dem man aus meiner Sicht schrauben könnte. Bleiben wir als Beispiel bei der mir tief vertrauten Strecke Berlin – Wien. In den frühen Morgenstunden wartet man dabei – relativ knapp vor der österreichischen Grenze und damit dem Zielort Wien – für eineinhalb Stunden in der tschechischen Grenzstadt Breclav. Wenige Stunden davor verbringen Fahrgäste 40 Minuten in Bohumin, der Grenzstadt zu Polen.
Warum ich das so genau weiß? Weil es meist die einzigen Stunden erholsamen Schlafs sind, die ich bekomme. Die Pausen zu streichen, früher in Wien anzukommen und den Schlaf in meinem Bett zu tanken, wäre mir trotzdem lieber.
Ein wienerisches Versöhnungsangebot
Aber ich bin ja versöhnlich gestimmt. Worüber ich mich hier nämlich gar nicht echauffieren will, sind die Preise. Und, damit verbunden, dass eine hygienische, funktionierende Toilette im Nachtzug für mich mittlerweile durchaus eine positive Überraschung und keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Dass ich mittlerweile weiß, dass man einfach keine Koffer in Standardgröße mitnehmen kann, weil sie im Abteil mit anderen Reisenden fast unmöglich Platz finden. Und, dass ich schon in einigen Abteilen mitgefahren bin, wo die Anzahl an Steckdosen nicht mit jener der Gäste übereingestimmt hat – wobei das eh nur dann relevant war, wenn es überhaupt Strom gab.
Das alles sind Dinge, die besser als Naturkatastrophen sind, deren Häufigkeit und Stärke wir durch Klimasünden wie dem Fliegen beschleunigen. Deshalb stehe ich weiterhin hinter Nachtzügen, werde euch die schönsten Strecken in Europa empfehlen und darauf hinweisen, wie sehr sich so eine Fahrt nach Freiheit und Abenteuer anfühlen kann. Aber genau deshalb ist es mir auch wichtig, dass der Raum für Verbesserungen langsam kleiner wird.