Ein Museum voller Nonsens
Nicht alles, was erfunden wird, kann man brauchen. Und nicht alles, was gebraucht wird, kann man auch erfinden. Macht Sinn und irgendwie auch nicht? Dann seid ihr gedanklich schon mittendrin im Nonseum, wo sich alles um unsinnige Erfindungen dreht, die aber doch irgendwie Sinn machen. Oder so. Aber lest am besten selbst.
Wieder einmal eine Lesung, Vernissage oder eben eine dieser Veranstaltungen, bei der ich zwar total interessiert mitnicke, aber nach einer halben Stunde schon gedanklich zum Gratis-Buffet abdrifte. Und ist es mal eröffnet, gibt’s kein Halten mehr. Bei manchen Leuten fragt man sich, ob sie das Schlingen-pro-Minute zuhause vortrainieren, so wie die zulangen. Wie ungehobelt, denke ich mir jedes Mal wieder, während ich pappvoll überlege, wie ich es möglichst unauffällig anstelle, mir auch noch einige Häppchen für später einzupacken. Doch endlich habe ich sie gefunden, die Antwort auf diese und zahlreiche andere Fragen, die ich mir nie wirklich gestellt habe: Denn das Nonseum in Herrnbaumgarten stellt eine Armada an Erfindungen aus, die das Leben, wie wir es kennen – in keinster Weise verändert haben. Weil sie eben Nonsens sind. Aber so etwas wie die mit Alu ausgekleidete Handtasche, die das Abräumen beim Buffet erleichtern soll, ist für mein All-you-can-eat-Dilemma immerhin fast so bahnbrechend wie für andere der Mars-Rover.
Daniel ohne Düsentrieb
Das sind sie, die Erfinder*innen: Problemlösende – schlaksig, verpeilt, mit schiefer Brille. Zumindest setzt sie uns die Pop-Kultur mit verschrobenen Genies wie Entenhausens Daniel Düsentrieb oder Dr. Frink von den Simpsons immer wieder so vor. Der Daniel Düsentrieb des Nonseums ist Fritz Gall. Nur dass er weder schlaksig, zerzaust noch zerstreut ist. Höchstens ein wenig schrullig.
Mit einem verschmitzten Lächeln und stets leicht ironischem Unterton sitzt er in einem Lehnstuhl mitten in seinen Exponaten und erzählt uns von sich und seinem Schaffen. Wie selbstverständlich ist am Kaffeetisch eine Kurbel angebracht mit einem nachgebildeten Finger am Ende – wenn man sie dreht, rührt der Finger den Kaffee um. Regelmäßig löst Gall seine abgerauchte Zigarette durch eine neue ab. So schnell und natürlich, dass man es gar nicht merkt. Es wirkt eher, als würde er konstant rauchen. Betulich bietet er uns passend zur Tschick einen Kaffee an. Gerne Schwarz. Mit Zucker. Die Fingerkurbel zum Umrühren können wir dafür aber noch nicht verwenden. Ihr fehlt noch das entsprechende Fein-Tuning, denn der Finger dreht sich nicht wie gewollt im Kreis, sondern schwenkt nach links und rechts.
Vom Regal…
Gall ist aber längst nicht bloß leidenschaftlicher Raucher und Anekdoten-Schleuderer. Eigentlich ist er nämlich Bildhauer. Und Kunsterzieher. Aber das mehr für die Brötchen. „Mein Weg als Bildhauer wäre an und für sich gut verlaufen, aber irgendwann ist mir das Erfinden dazwischengekommen“, zwinkert er. Bereits als Student meldete er ein Patent auf ein stapelbares Regalsystem an. Fast schon spießig im Vergleich zu der Menge an Unkonventionellem, die unseren Kaffee-Plausch umgibt. „Das war mein erster Kontakt zum Erfinden.“
…zum Nonsens
Natürlich brauchte es aber als Inspiration zu einem über 700 Quadratmeter großen Hort an Skurrilitäten wie dem Nonseum mehr als bloß ein Regalsystem. Gall berichtet von einer Art epiphanischem Erlebnis. Mit einem Tischtuch. Er saß mit vier Freunden in einem Lokal. Einer davon der Literat Stefan Slupetzky, mit dem Gall in Studentenzeiten zusammen WG-te. Ein anderer Gottfried Umschaid oder „Umschaid-Friedl“, ein kunstaffiner Heurigenwirt aus Herrnbaumgarten, von dem noch das eine oder andere Mal die Rede sein wird.
„Die Kellnerin wendete am Nebentisch das Tischtuch um, um es ein zweites Mal zu verwenden. Da dachten wir uns: Es wäre doch sinnvoller, wenn wir gleich ein würfelförmiges Tischtuch konstruieren würden.“ Hä? Meine offensichtliche Ratlosigkeit spornt Gall weiter an. Mit breitem Grinsen bekräftigt er: „Ja, wirklich, ein Tischtuch als Würfel! Sechsseitig verwendbar!“ Selbstverständlich. Wie konnte ich nur zweifeln. „Für uns war das ein Aha-Erlebnis: Warum erfinden wir nicht überhaupt Sachen, die keinen Sinn machen, sondern einzig dazu da sind, den Menschen ein Lächeln zu entlocken?“ Immerhin.
Schneckenrennen und Samenspenden
Jetzt mussten diese Sachen nur noch hinaus in die Welt. Schon war sie gegründet, die Erste Österreichische Nonsens-Erfindermesse. 1984 in Herrnbaumgarten im Heurigen vom „Umschaid-Friedl“. Denn Fritz Gall ist immerhin auch gebürtiger Herrnbaumgartner. Dass Skurriles offenbar eine nicht zu unterschätzende Fanbase hat, schock-freut ihn bis heute: „37 Gäste haben wir erwartet, 5000 sind gekommen.“
Seit damals gibt’s jedes Jahr mindestens eine skurrile Aktion in Herrnbaumgarten. Das streng regulierte Weinbergschnecken-Rennen etwa. Nacktschnecken durften aus Jugendschutzgründen nicht teilnehmen. Dieses Jahr gibt’s das Herrnbaumgarteln. Wortspiele gehen ja immer. Deshalb gibt’s passend zum Garteln auch Samenspenden vom Nonseum. Kurzes schmutziges Lachen seinerseits, betretenes Schweigen meinerseits. Natürlich Pflanzensamen! Aber im Arztkittel verteilt, das unterstreicht das Schlüpfrige. Immer noch Schweigen.
Ein toter Mann im Vorgarten löst jeden Konflikt
Für die Bewohner*innen eines kleinen Dorfes, weit ab vom Schuss und vor allem von jeglicher alternativer Kunstszene, war die Künstler-Ansiedelung in Herrnbaumgarten anfangs vor allem eines: bedenklich. Plötzlich stiefelte eine Handvoll junger Kunstschaffende in nonkonformistischen Outfits durch eine der hintersten Ecken des Weinviertels. Das Eis zwischen Kunst und Dorf brechen konnte erst ein Dodamou. Also Weinviertler Slang für „toter Mann“. Also Synonym für Vogelscheuche, keine Panik. Gall baute im Rahmen eines Projekts mit Künstlerinnen und Künstlern, Schülerinnen und Schülern ein paar crazy Strohmänner und -frauen. Vielleicht war’s die sprühende Kreativität, vielleicht schlagartig einsetzender Konkurrenzdruck: Jedenfalls stellten plötzlich auch die Herrnbaumgartnerinnen und Hernnbaumgartner in ihren Vorgärten den einen oder anderen gepimpten Dodamou auf.
Mittlerweile reitet man die Unfug-Welle hier geschlossen als „Das verruckte Dorf“. Allerdings nicht ganz uneigennützig: Der stetige Nonsens brachte dem eigentlich unscheinbaren Herrnbaumgarten mit der Zeit ja auch eine Mords-Publicity. „Die Herrnbaumgartner haben bemerkt, dass sie so auch was verkaufen können“, meint Fritz Gall. Also endlich ein paar mehr Abnehmende für den – wie könnte es im Weinviertel anders sein – Wein. Auf den ist man hier natürlich ganz besonders stolz. Muss man ja auch. Ist verpflichtend.
Den ganzen Tag lang Nonsens
Jedenfalls konnten dadurch Gall und seine Truppe, die heute vor allem aus seiner Familie und ihrem Verein zur Verwertung von Gedankenüberschüssen besteht, 1994 endlich den ersten Teil des Nonseums eröffnen. Eigentlich hätten sich die Herrnbaumgartnerinnen und Hernnbaumgartner im Gegenzug ja gewünscht, dass das Gebäude auch für Feuerwehrfeste zur Verfügung steht. Antwort: „Sicher nicht!“ Ging auch gar nicht, bei all den Exponaten.
Abgesehen von der Feuerwehr ist das Konzept seit jeher: offen für alles und jeden. Denn theoretisch kann jeder Erfinder, jede Erfinderin Vorschläge und Exponate einbringen. Ob die ausgestellt werden, hängt vom Chef-Tüftler ab. „Das obliegt einer strengen Jury, bestehend aus: mir“, grinst Gall. „Ich muss schauen, dass die Qualität der Skurrilitäten und Absurditäten einfach passt.“ Und über zu wenig Ausstellungsmaterial muss er sich sowieso keine Sorgen machen. Mit der Zeit platzte man hier vor Unsinn sogar aus allen Nähten.
Daher kam 2012 ein weiteres Gebäude dazu. Hochmodern und klar strukturiert: Hier sind die Nonsens-Gadgets nach Tagesablauf geordnet: Ein Schlafzimmer ausgestattet mit einer Schäfchenzählmaschine über dem Bett oder einem ferngesteuerten Nachttopf darunter.
Ein Badezimmer mit der laut Gall wohl wichtigsten Erfindung: dem Nasenbohrer! (Ein nachgebildeter Finger an einer Kurbel, leicht gekrümmt, soll drehend die Nase freimachen.) Dann eine Küche, ein Arbeitszimmer, ein Hobby-Zimmer – alles voller Nonsens! Und nicht nur das: Auch im Garten des Nonseums und im alten Heustadl – jede Menge Unsinn.
These socks are made for partners
Ein besonderes Anliegen von Gall: „Das Kleidungsstück, das am meisten mit Füßen getreten wird.“ Die Socken also. Seine Stimme ist plötzlich sanft und fast mitleidig, während er uns seinen Sockentrockner vorführt: eine kleine, drehbare Wäschespinne, die die Socken von ihrer Schweißnässe befreien soll. Speziell den zahlreichen Einzelsocken, die ihre Partner in der Waschmaschine oder unter dem Bett verloren haben, gilt sein Mitgefühl. Deshalb hat er im Nonseum auch eine Single-Socken-Börse installiert. In einer Box werden alle Einzelsocken gesammelt und neu vermittelt. „Falls Sie also einen Socken haben, der einem von denen ähnlich sieht…?“, fragt er. Leider. Meine Einzelsocken sind alle überzeugte Singles.
Für Schwervermittelbare gibt es in Herrrnbaumgarten im Sommer auch einen Sockenwanderweg. Einzelsocken werden auf einer Wäscheleine entlang des Pfades aufgehängt. Gall hat sogar eine Theorie, warum immer mehr Socken als Singles die Schubladen hüten: „Das Phänomen tritt ja weltweit auf. Vielleicht gibt es eine internationale, auf Socken spezialisierte Mafia, die einzelne Exemplare entwendet.“ Zwischen all dem Nonsens ergibt so etwas plötzlich Sinn. Aber was wäre ihre Agenda? Gall verstummt. Voll erwischt. Vermutlich steigen nicht viele Besucherinnen und Besucher ernsthaft darauf ein. Aber auch für seine Ratlosigkeit hat er schließlich eine Erklärung: „Wir bewegen uns ja nicht im Kriminal!“
Historisch belegter Nonsens
Allerdings arbeitet der institutionalisierte Blödsinn durchaus auch investigativ: Bei Umbauarbeiten im Keller vom Umschaid-Friedl stießen Gall und Umschaid angeblich auf das Skelett vom Wappentier des österreichischen Kaiserreichs: dem Doppeladler. Wie der dahin kam? „Der Doppeladler war das Haustier der Habsburger. Die Sisi ist ja oft vom Hof geflohen und hat ihn mitgenommen. Einmal hat sie sich in Herrnbaumgarten versteckt. Als man sie zwang, für eine Fronleichnamsprozession nach Wien zurückzukehren, hat sie aus lauter Zorn den Doppeladler braten lassen und verspeist“, erklärt Fritz Gall mit ernster Miene.
Als seriöser Nonsens-Wissenschaftler würde man so etwas aber natürlich nie behaupten, ohne nicht auch entsprechend unsinnige Beweise vorlegen zu können. Im Nonseum ist nicht nur das Doppeladler-Skelett selbst ausgestellt, sondern auch ein Foto von Sisi mit ihrem angeblich liebsten Haustier. „Der Hoffotograf hat einen Pudel über den Doppeladler retuschiert. Wir haben ihn wieder wegretuschiert“, so Gall. Es freut ihn sichtlich, dass das Ganze – obwohl natürlich kompletter Blödsinn – riesige Wellen schlug. Der Dorfgasthof, wo Sisi damals angeblich den Adler verputzte, heißt heute „Zum Doppeladler“. Es gab weltweite Berichte, unter anderem von CNN. Die österreichischen Monarchistinnen und Monarchisten, die ihren Habsburger-Ikonen immer noch nachtrauern, waren begeistert. „Österreich wollte daran glauben.“ Das ist zwar aufs Erste lustig, schreit aber auf den zweiten Blick nach einem intensiven Facepalm.
So ist das mit dem Nonsens: Zunächst mal belustigt er uns, und dann haut er uns des Pudels Kern mit Konfetti-Tröte um die Ohren. Denn auch wenn die Sockenmafia vermutlich keine Agenda hat – Fritz Gall hat eine, und die macht letztlich doch Sinn: Die Nonsens-Erfindungen sollen dem Konsumrausch entgegenstehen; in einer Zeit, in der alles brauchbar und effektiv sein muss, die Unbrauchbarkeit feiern. Und so sinnentleert sind viele Dinge hier eigentlich eh nicht. „Von geschätzten 499 Exponaten sind geschätzte 498 brauchbar“, meint auch Gall. Nur sind sie eben nicht glattgebügelt, marktgetrimmt und um Himmels willen nicht digital!
Achtung: Das Nonseum befindet sich immer von Allerheiligen bis Ostern in Wintersperre.
Ihr wollt noch mehr Skurriles? Wie wäre es zum Beispiel mit einem Besuch beim Puppendoktor? Wir stellen euch außerdem noch weitere skurrile Museen in ganz Österreich vor.