#OIDAitssexism: Was Hashtags zur Sexismus-Debatte beitragen
Hashtags wie #MeToo beweisen schon seit Jahren, wie wichtig es ist, Sexismus und sexuelle Übergriffe einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen. Seit ein paar Monaten sammelt die österreichische Plattform OIDAitssexism anonym Geschichten, in denen Personen mit Sexismus konfrontiert wurden.
Lächle doch mal! Nein, doch nicht so, das wirkt nuttig. Leg doch mal ein bisschen Schminke auf, du siehst so müde aus. Den Lidschatten hättest du dir allerdings sparen können, damit siehst du billig aus. Sei mutig, aber nicht zu vorlaut, du Zicke! Und wenn du einen Minirock trägst, bist du selber schuld.
Gerne verlangt man von Frauen, dass sie ein gewisses Verhalten an den Tag legen, sich auf eine bestimmte Weise kleiden und auch ja allen möglichen Erwartungen entsprechen. Tun sie das nicht, provozieren sie damit häufig feindselige Reaktionen – oder Schlimmeres. Ob man sie belästigt, wenn sie sich zu knapp kleiden oder ein paar Bier über den Durst getrunken haben, läge in ihrer Hand. So wird das zumindest gerne dargestellt. Im Jahr 2018 wurde ein 27-Jähriger in Irland vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen, nachdem seine Anwältin in ihrem Schlussplädoyer sagte: „Kann die Beweislage ausschließen, dass sie sich zu dem Angeklagten hingezogen fühlte und dass sie nicht abgeneigt war, jemanden zu treffen und Geschlechtsverkehr zu haben? Sie müssen sich anschauen, wie sie gekleidet war. Sie trug einen Tanga mit einer Vorderseite aus Spitze.“ Dafür gibt es sogar einen eigenen Begriff: Victim Blaming.
Hashtags als Parolen
Es kommt nicht von ungefähr, dass Frauen tagtäglich bewusst und unbewusst Maßnahmen setzen, um sich vor sexuellen Übergriffen zu schützen, während die meisten Männer keinen Gedanken daran verschwenden. Immerhin wurde uns ja lange genug eingebläut, dass die Verantwortung für sexualisierte Gewalt bei den Frauen selber liege. Doch nach und nach werden uns solche Mechanismen immer bewusster, die öffentliche Wahrnehmung scheint sich zu wandeln. Ein wenig jedenfalls. Hashtags wie #MeToo, #aufschrei oder #ThisIsNotConsent haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass immer mehr Frauen sich zu Wort melden, von ihren Erfahrungen mit Sexismus und Belästigung erzählen und einander Solidarität aussprechen. „Dass der Zugang zu vielen Menschen durch die sozialen Medien wesentlich erleichtert wird, kann eine emanzipatorische Wirkung haben“, sagt Maria Mesner, Studienprogrammleiterin der Gender Studies an der Universität Wien.
Auch Österreich hat seit ein paar Monaten so einen Hashtag: #OIDAitssexism. Dahinter steckt die Plattform oidaitssexism.com, an die man Erfahrungen mit Sexismus schicken kann, die dann auf Instagram und Facebook veröffentlicht werden. Anonym, darin besteht der wesentliche Unterschied zu Hashtags wie #MeToo. „Immer wieder sind uns solche Geschichten und Situationen selbst passiert. Je öfter wir anderen Menschen davon erzählt haben, desto stärker ist uns klar geworden, dass das Bewusstsein dafür, wie alltäglich so etwas vorkommt, noch immer nicht besonders groß ist“, erzählen die beiden Betreiberinnen der Plattform, die ebenfalls anonym bleiben wollen.
Ehrliche Verwirrung oder defensive Opferrolle?
Denn obwohl die sozialen Medien und Hashtags den Vorteil haben, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen und Diskussionen anzustoßen, die das Bewusstsein für Themen wie Sexismus schärfen, liegt genau darin auch ihr Manko: Shitstorm, Hatespeech, Backlash – you name it. Gerade #MeToo hat von Anfang an auch viel Gegenwehr ausgelöst, wie es Diskussionen zum Thema Sexismus und Feminismus leider oft an sich haben. Viele Männer äußerten plötzlich existenzielle Verwirrung, was denn jetzt überhaupt erlaubt und was verboten sei. „Diese Opferrolle ist ein Gestus, den Menschen oft einnehmen, wenn sie ihrer Privilegien beraubt werden. Und es ist ein Privileg, gegen jemanden ungestraft übergriffig zu werden“, sagt Maria Mesner.
Statt sich dieser Verantwortung einfach nur bewusst zu werden, ärgert sich so mancher Stammtisch-Grantler grunzend darüber, dass man schon nicht mehr wisse, wo man hingreifen darf, sapperlot! Dabei ist die Antwort doch so einfach: Nirgends. Oder anders formuliert: Wenn du dich erst fragen musst, ob das, was du gerade tust, sexuelle Belästigung sein könnte, ist es das in der Regel auch. „Grundsätzlich finden wir es aber wichtig, dass man nicht nur ein oberflächliches Gespräch darüber führt, wenn solche Äußerungen kommen“, sagen die OIDAitssexism-Betreiberinnen. „Es wäre wichtig, dass man ernsthaft darüber spricht: Reden wir darüber, was dir nicht klar war.“
Prominente Gegenwehr
Umgekehrt sind es aber nicht nur manche Männer, die sich bei der Debatte um Sexismus unverständlich zeigen. Das hat etwa Schauspielerin Nina Proll vor etwa zwei Jahren mit ihren kontrovers diskutierten Äußerungen zur MeToo-Debatte bewiesen:
Das führt die Debatte auf so vielen Eben ad absurdum, dass man glatt von der M.-C.-Escher-Stiege fällt. Im Wesentlichen kann man dem Gepolter vor allem zwei Dinge entgegenhalten. Erstens: Avancen sind etwas anderes als sexuelle Belästigung, das sollte jedem einleuchten, der kurz darüber nachdenkt (siehe oben). Zweitens: Das Privileg, „Nein“ zu sagen und dabei nicht um den Job oder ähnliche Abhängigkeiten bangen zu müssen, haben bei Weitem nicht alle Frauen. Außerdem bringt dieses „Nein!“ auch nichts mehr, wenn mir ein wildfremder Mann in der U-Bahn auf den Hintern grapscht und danach einfach ausstiegt. Da greift das „Wehr dich halt und sei kein Opfer“-Argument also ebenfalls etwas zu kurz. Natürlich könnte man noch Absätze lang über dieses PR-taugliche Posting diskutieren, aber wie über so vieles ist auch darüber längst Gras gewachsen. Eines hat Nina Proll damit aber definitiv bewiesen: Chauvinismus ist nicht nur ein Männerding.
Sexismus geht uns alle an
Aber wie sieht es eigentlich umgekehrt aus: Ist Sexismus ein reines Frauenproblem? Bei dieser Diskussion müsse man vorsichtig sein, weil sie schnell zu einem Ablenkungsargument wird, laut Maria Mesner: „Sexismus ist immer ein Phänomen, das mit Macht gekoppelt ist. Wenn Frauen in machtvolle Positionen gelangen, kann es schon sein, dass das mal umgekehrt der Fall ist. Aber die Anzahl solcher Situationen ist im Vergleich entschieden geringer.“ Das können auch die Betreiberinnen der OIDAitssexism-Plattform bestätigen: Nur drei von mittlerweile etwa 90 Einsendungen berichten von Sexismus gegenüber Männern.
Generell geht Sexismus aber natürlich alle etwas an. Deshalb richtet sich die Plattform OIDAitssexism auch an alle Menschen, die ihre Erfahrungen mit Sexismus mit der Öffentlichkeit teilen wollen: „Wir wollen allen Menschen eine Plattform geben“, sagen die Betreiberinnen. „Also haben wir sie für alle Geschichten geöffnet, die Menschen mit Sexismus verbinden.“ Männer und Frauen, jung und alt, im Arbeitsumfeld oder in der Straßenbahn. „Auch das Ausmaß der Geschichten ist unterschiedlich und die zwischenmenschlichen Beziehungen, um die es dabei geht, die vom Beziehungspartner bis zu wildfremden Personen reichen.“ Obwohl sie sich prinzipiell über die Einsendungen freuen, weil ihnen das Projekt am Herzen liegt, ist das Durchlesen im selben Moment sehr beklemmend. Die vielen Zusendungen beweisen aber auch, wie groß der Bedarf an Bewusstmachung und offenen, konstruktiven Debatten ist. Und die zeigen nach und nach ihre Wirkung: Man erkennt sexistische Mechanismen, man wird sich ihnen immer stärker bewusst, man spricht darüber. „Eigentlich sollte das eine Sache aller Menschen sein“, sagt Maria Mesner. „Und das ist schon mehr und mehr der Fall.“
Noch mehr zum Thema? In unserer Senf-Kolumne erklärt unsere Redakteurin, warum wir den Feminismus immer noch brauchen. Inspiration für euren Alltag zu Hause findet ihr ebenfalls bei uns.