Mein erstes Mal auf einem Rennrad
Wer kennt sie nicht, die passionierten Rennradfahrer*innen unter uns, die gefühlt ihre ganze Freizeit dem Drahtesel widmen? Aber ist Rennradfahren wirklich so leiwand? Unsere Redakteurin hat es ausprobiert und sich auf der Donauinsel ein Rennrad ausgeborgt.
Es ist so etwas wie die mathematische Gleichung der Freizeitgestaltung: In jedem Ensemble an Instagram-Stories kommt dir mindestens eine pro Tag unter, in der jemand auf einem Rennrad sitzt. Im Lockdown haben wir Bananenbrot gebacken, jetzt spannen wir uns bäuchlings auf die dünnen Drahtesel und sorgen bei Fußgänger*innen auf der Donauinsel für ein konstant mulmiges Gefühl. Aber Rennrad kann man nicht einfach ab und zu hobbymäßig fahren. Nein, Rennrad fahren ist offenbar ein Lebensgefühl, ein Lifestyle, dessen Regelbuch mit sich bringt, dass man sich beim Pedaletreten filmt – am besten nur die Lenkerstange, damit alle Zusehenden nicht viel mehr wissen, als das, was sie wissen müssen: nämlich dass man Rennrad fährt –, dass man übermenschlich lange Strecken zu Uhrzeiten zurücklegt, die so weit außerhalb der Kernarbeitszeiten liegen, dass einem die Straße auch ja ganz allein gehört, und dass man dabei mit sündteurem Equipment aufmagaziniert ist wie Eddy Merckx höchstpersönlich.
Immer, wenn Trends derart kultartigen Charakter annehmen, werde ich skeptisch. Sogar “Breaking Bad” habe ich mir erst im Jahr 2022 angesehen, als endlich niemand mehr übertrieben intensiv davon geschwärmt hat, dass man bei Bryan Cranstons Walter White so gar nicht an Hal von “Malcolm mittendrin” denken muss. Aber neugierig bin ich ja schließlich doch, das liegt in der Natur meines Berufsstands. Dass Jan und Danny zurzeit mit der 1000things Entdeckerei auf E-Bikes quer durch Österreich radeln, habe ich also zum Anlass genommen, um mich aus dem Büro zu schleichen und endlich selbst auszuprobieren, was es mit dem Rennrad-Hype auf sich hat.
Erkenntnis 1: Die Schuhe
Als Rennrad-Anfängerin, die scheinbar nur von Rennrad-Profis umgeben ist, bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass Klickschuhe, mit denen man die eigenen Füße an die Pedale fesselt, Key Essentials sind. Das war schon die erste Sache, mit denen mich die Rennräder abgeschreckt haben, im Hinterkopf immer dieses penetrant selbstbewusste Klackern, wenn sich eine Rennradgruppe beim Radlertreff aus den Pedalen klinkt, vom Sattel schwingt und unter dem Balzgeschrei ihrer Füße über den Asphalt zum Imbiss stampft. Ich kenne da aber auch eine Geschichte von einem mir bekannten Rennradfahrer, der vom Rad gestiegen, mit seinen unseligen Klickern auf einer Steinplatte ausgerutscht und in blinder Panik des drohenden Niedergangs mit voller Kraft in einen Stacheldrahtzaun am Wegesrand gegriffen hat. Von glorreichen Heldenepen sind solche Geschichten weit entfernt. Und sie sind Personen widerfahren, die nicht, wie ich, beim Stiegensteigen nur knapp einem Bänderriss entgangen sind.
Also habe ich erst mal beim Fahrradverleih auf der Donauinsel angerufen, um vorsichtig nachzufragen, ob ich mir denn auch Klickschuhe ausborgen kann (muss). Große Erleichterung: Anscheinend ist es gar nicht einmal so üblich, dass die Schuhe beim Verleih dabei sind. Natürlich könne ich meine eigenen mitbringen und man würde dann die entsprechenden Pedale auf das Rad schrauben. Welche Schuhe ich denn habe? Mit meiner Nachfrage habe ich wohl professioneller gewirkt als geplant. Nein, danke, meine “eigenen Schuhe” sind zurzeit defekt – man will sich ja nicht gleich als blutige Anfängerin entlarven.
Rennradfahren geht also auch mit normalen Sportschuhen. Wobei das natürlich einen Rennradfahrer in meinem Bekanntenkreis, dem ich fröhlich davon erzählt habe, prompt in Wallung versetzt hat: “Das ist aber dann nur der halbe Spaß. Richtig geil wird es erst, wenn du nicht nur trittst, sondern auch ziehst.” Jede Bewegung ist also dem Zweck untergeordnet, für maximale Geschwindigkeit zu sorgen. Allerdings freuen sich meine Waden beim Radfahren eigentlich über die kurze Entlastung zwischendurch und das Treten selbst ist ja oft schon anstrengend genug. Wo kämen wir denn da hin, wenn ich nicht nur treten, sondern auch ziehen muss? Wahrscheinlich nicht sehr weit.
Erkenntis 2: Das Gleichgewicht
Um mich gleich mal in Stimmung zu bringen, bin ich nicht wie eine profane Zu-Fuß-Geherin U-Bahn gefahren, sondern habe mein 100 Jahre altes Citybike gesattelt und bin von Simmering bis zum Copa Beach geradelt. Dort habe ich es dann endlich gegen das Rennrad eingetauscht, das auf meine Körpergröße abgestimmt war und mir erstmal kurz erklärt wurde: Die Brems- sind gleichzeitig die Gangschalter. Sonst keine auffälligen Abweichungen, außer dass mein blitzrotes Rennvehikel keinen Fahrradständer besitzt. Rennräder stellt man offenbar erst ab, wenn man fertig ist mit Rennradfahren. Wer zieht und tritt und in Affengeschwindigkeit die ganze Donauinsel dreimal auf und ab fährt, macht keine Pausen. Tatsächlich ist mir in dem Moment bewusst geworden, dass ich noch nie eine rennradelnde Person beim Pausemachen beobachtet habe – über den Asphalt klackernde Gruppen auf dem Weg zum Radlertreff ausgenommen.
Mutig – und mit leise knirschender Hüfte – schwinge ich mich also auf den hohen Sattel und mache meine ersten Strampler. Noch traue ich mich nicht, meine Hände um die niedrigeren Griffe, an denen sich die Bremsen-Gang-Schaltung befindet, und damit mich selbst tiefer zu legen, und umklammere sicherheitshalber die Lenkerstange, wie ich es gewohnt bin. Immerhin habe ich damit gerechnet, ohnehin gleich mal umzufallen, weil die Räder dieser Drahtvollblüter im Vergleich zu meinem gemütlichen Stadtrad aussehen, als könnte sie schon das kleinste Schottersteinchen aus der Bahn werfen. Fehlanzeige. Tatsächlich sind die dünnen Schläuche unerwartet robust, was mich besonders in dem Moment gefreut hat, als ich eine Kopfsteinpflaster-Passage übersehen habe und schon kurz davor war, abzuspringen (die Clip-in-Schuhe wegzulassen, war eine weise Entscheidung). Aber der Drahtesel und ich haben die holprigen Gefilde auch ohne Stoßdämpfer erstaunlich geradlinig abgefedert. Kein Problem.
Erkenntis 3: Der Spaß
Im Gegenteil: Plötzlich setzt der Endorphin-Kick ein, weil diese paar Carbonstangen unter mir so leicht zu bewegen sind, dass es tatsächlich Spaß macht – besonders wenn man sich dann doch tiefer legt. Ich werde schneller, auch ohne ziehen. Und schon rückt das nächste Hindernis ins Blickfeld: Zwei gemütliche Citybike-Radlerinnen vor mir, die in einer Geschwindigkeit nahe Schritttempo am Wasser entlang geigeln und sich der Natur und ihres Gespräches erfreuen. Ich muss abbremsen, weil vor ihnen jemand seinen Hund Gassi führt und nicht einmal daran denkt, aus dem Weg zu gehen. Ungeduld steigt in mir auf und kocht fast über. Schlagartig verstehe ich den Frust so mancher Rennradler*innen, die auch mich beim Gassigehen mit meinem Hund mit hörbarem Augenrollen scharf geschnitten haben. Am liebsten würde ich die Klingel schallen lassen, aber das Rennrad besitzt natürlich keine. Wer klingelt schon bei vollem Karacho?
Die zwei Schlaftabletten vor mir biegen plötzlich links ab, ich freue mich kurz, dass ich sie los bin, und erkenne noch genau rechtzeitig, dass ich sie nur dann los wäre, wenn ich gerade aus in die Donau preschen würde. Also verfolge ich sie weiter in unangenehm geringem Abstand und für unser gemeinsames Zeitlupentempo unverhältnismäßig sportlicher Rennfahrerinnenpose. Die stört das nicht, sie haben mich noch nicht einmal bemerkt. Als ich sie endlich hinter mir lassen kann – natürlich trete ich auffällig zügig und vorwurfsvoll an ihnen vorbei –, überquere ich die Kaisermühlenbrücke, biege links ab und bin endlich fast allein. Um mich herum nur wilde Wiese, bis es wieder abwärts in Richtung Wasser geht. So geradlinig die Donauinsel verläuft, so abschüssig sind doch manche Passagen, die vom Inneren der Insel ans Ufer führen. Meine Chance, endlich wenigstens ein bisschen in Geschwindigkeitsrausch zu kommen. Der hält allerdings nur kurz an. Schon ein paar Sekunden, nachdem ich mich entschlossen habe, die Räder laufen zu lassen, bereue ich meine Entscheidung, kriege Bammel und bremse heimlich etwas ab.
Erkenntis 4: Der Suchtfaktor
Mit breitem Grinsen ziehe ich mit dem Wasser flussabwärts, erfreue mich der Leichtigkeit des Seins, die Milan Kundera damit sicher nicht gemeint hat. Schön. So schön, dass ich es nicht für mich behalten kann. Ein unaufhaltsamer Drang überkommt mich, das Handy aus meiner Radlerhosentasche zu ziehen und mich selbst beim Glücklichsein zu filmen. Das Dilemma der Millennials: Wenn ein Baum im Wald umfällt und keiner es auf Instagram postet, ist er dann wirklich umgefallen? Ich versuche mich an einer kleinen Zwischenmoderation für unsere obligatorische Instagram-Story auf @1000thingsinvienna, die Outtakes sind kompromittierend. Ein Bruder im Rennradgeiste kommt mir entgegen und sieht nur, wie ich im Schritttempo meine Lenkstange filme. Er schüttelt den Kopf. Absolut verständlich.
Die Zeit verfliegt. Nach einer kurzen Pause am Wasser, bei der ich mein Rad umständlich ins Gras lege, weil Pausen bei diesem Gefährt mechanisch ja nicht vorgesehen sind, muss ich auch schon wieder den Rückweg antreten. Fast werde ich ein bisschen wehmütig, dass es schon vorbei ist, und überlege, ob ich mir nicht doch ein eigenes Rennrad besorgen sollte. Immerhin habe ich gelesen, dass es in der Schickeria jedes Wochenende einen Flohmarkt für Vintage-Räder gibt. Ob die dort auch Klickschuhe verkaufen? Beim Fahrradverleih gebe ich meine neue Liebe schweren Herzens ab und schlurfe zurück zu meinem angeleinten Citybike, das jetzt im Vergleich zum federleichten Rennrad irgendwie monströs wirkt. Als ich aufsteige, fühlt sich das eigenartig falsch an, als würde ich auf einem Hochrad aus dem 19. Jahrhundert sitzen. Auf dem Heimweg überlege ich noch, ob der Weidenkorb, den ich sonst manchmal auf meinen Gepäckträger schraube, um meinen kleinen Hund zu transportieren, irgendwie mit einem Rennrad vereinbar wäre. Wäre er nicht. Vorerst bleibt es für mich wohl bei gelegentlichem Ausleihen. Aber das definitiv.