Rettet die Riffe: Bodypainting zwischen Körperkunst und harter Arbeit
Was haben Bodypainting, Blasenkontrolle und der Einsatz für die Rettung der Korallen gemeinsam? Ziemlich viel, wie wir am World Bodypainting Festival 2019 in Klagenfurt erfahren haben. Wir durften die mehrfache Weltmeisterin Gabriela Hajek-Renner einen Tag lang begleiten und einen Blick hinter die Kulissen werfen.
Die Luft legt sich drückend über Klagenfurt. Noch scheint die Sonne, aber es riecht schon leicht nach Regen. Kein großes Hindernis für das World Bodypainting Festival im Goethepark, denn die Künstler*innen arbeiten in Zelten. Aber zumindest eine kleine Unannehmlichkeit, wie es sie wohl für jedes Open-Air-Festival mit großer Bühne, Foodtrucks und Sonnenliegen wäre. Tatsächlich werden die Wolken heute noch über dem Gelände zusammenbrechen und sogar kurzzeitig aggressiven Hagel ausspucken. Aber so weit sind wir noch nicht. Noch ist alles ruhig und gleichzeitig surrt schon die Aufregung durch manche Zelte. Es ist Samstag, halb zehn und die ersten Artists kommen an, im Schlepptau eine Entourage aus Schüler*innen, Models und Assistierenden. Manche tragen bereits abgestimmte, extravagante Outfits, andere bequeme Arbeitsklamotten.
Comeback mit ernstem Hintergrund
Gabriela Hajek-Renner ist schon etwas länger da. Also auch im übertragenen Sinn: Die Wienerin ist eine der besten Bodypainterinnen Österreichs, wurde bereits dreimal zur Weltmeisterin in der Kategorie Special Effects gekürt, mehrfach als Vize-Weltmeisterin ausgezeichnet und mit anderen Preisen prämiert. Außerdem saß sie fünf Jahre hintereinander in der Jury des Festivals. Weil die Leitung der Austria’s Make-Up School in Wien einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch nimmt, hatte sie eigentlich beschlossen, nicht mehr selbst als Künstlerin anzutreten. Und trotzdem hat sie sich dieses Jahr ein weiteres Mal zusammen mit ihrem langjährigen Modell Nadja Ritter und ihrer Assistentin und ihrerseits selbst erfolgreichen Künstlerin Nadja Hluchovsky in einem der Zelte eingerichtet. Dafür gibt es allerdings einen triftigen Grund, der über die Lust, sich zu messen, hinausgeht.
Ein paar Heurigenbänke und ein Heurigentisch grenzen den nur etwa zwei Quadratmeter großen Arbeitsbereich ab. Darauf markieren Pinsel, Make-up, Airbrush-Farben, Schablonen und modellierte Einzelteile den Arbeitsradius für die kommenden sieben Stunden. Von 10 bis 17 Uhr hat Gabriela Zeit, ihr Modell nach allen Regeln der Kunst zu verwandeln. Wirklich nach allen. Denn in der Kategorie „Special Effects“, in der sie antritt, ist so ziemlich alles erlaubt, was hautverträglich ist: Airbrush-, Pinsel- oder Schwammtechnik und sogar im Vorfeld aufwendig modellierte Klebeteile, die eigens für Nadjas Körpermaße angefertigt wurden.
Plötzlich Fantasiewesen
Das Spannende daran ist für Gabriela vor allem die Transformation des Körpers, mit der man sich in dieser Kategorie austoben kann: „Der Reiz daran ist, dass man den Körper verändern und ausloten kann, was alles möglich ist“, sagt Gabriela. Diese Verwandlung reizt Model Nadja generell am Bodypainting: „Mit jedem Painting sieht man als Mensch anders aus. Oder ich weiß gar nicht, ob man sagen kann: als Mensch. Man ist einfach eine andere Figur, schlüpft in eine Rolle“, sagt sie. Seit neun Jahren steht sie mittlerweile für verschiedene Artists und Veranstaltungen Modell. Gabriela, oder wie sie sie manchmal scherzhaft nennt: „Frau Gabi“, und ihre Assistentin Nadja kennt sie auch schon einige Jahre. Das macht die Tatsache, dass sie in Unterhose und mit Tape abgeklebter Brust dasteht, während die anderen beiden von allen Himmelsrichtungen aus an ihr herum kleben, sprühen und tupfen, deutlich angenehmer. Man ist sich ziemlich nah, und das stundenlang. „Das ist ja nichts Anzügliches – es geht um die Kunst“, sagt Nadja gelassen.
Auch Gabriela ist noch relativ entspannt. Die letzten zwei Stunden werden stressig, warnt sie schon mal vor. So ist das eben mit den Endspurts. Man arbeitet stunden-, ja wochenlang auf etwas hin und eine verschwindend kurze Zeitspanne entscheidet darüber, ob es sich auch gelohnt hat. Geht der Plan auf? Reicht die Zeit aus? Halten die Nerven auch noch kurz vorm Ziel? 300 Stunden haben Gabriela und ihr Team in den vergangenen drei Wochen in die Vorbereitung investiert – und viele schlaflose Nächte.
Kritik am Korallensterben
Das alles nimmt sie nicht etwa für Image oder Prestige auf sich. All das hat sie sich in den vergangenen Jahren längst erarbeitet. „Ich will auf das Korallensterben hinweisen. Darum ist oben die wunderschöne, bunte, gesunde Korallenlandschaft. Im unteren Bereich wird alles abgestorben sein“, erklärt Gabriela ihr Kunstwerk. Es ist also das übergeordnete Motto des Tages – „Clear Mind – Clean Planet“ – das Gabriela dazu angespornt hat, ihre Airbrush-Maschine doch noch einmal für eine Competition anzuwerfen.
Sie ist Mitglied des Vereins REEFVILLAGE, der künstliche Korallenriffe anfertigt für Regionen im Meer, in denen Naturkatastrophen, Industrie oder Massentourismus die natürlichen Riffe zerstört haben. „Wir wollen dem Meer etwas zurückgeben“, sagt Gabriela. „Darum bauen wir solche Korallenriffe, die ein Jahr lang gehegt und gepflegt werden, bis sie sich selbst erhalten könnten.“ Es geht also keineswegs nur um beeindruckende Effekte und bunte Farben auf der Haut. Auch im Bodypainting ist es, wie in jeder Kunstform, möglich, eine wichtige Message zu veranschaulichen und einen kritischen Blick auf brisante Themen zu werfen.
Harte körperliche Arbeit
Wie das Ganze fertig aussehen wird, weiß nur Gabriela. Denn üben konnte sie den Ablauf vorab nicht; die eigens für Nadja angefertigten Klebeteile sind nicht wiederverwendbar. Auch für sie ist der heutige Tag übrigens harte Arbeit. Sieben Stunden muss sie immerhin halbwegs ruhig stehen. Mittlerweile fast bei der Halbzeit angelangt, hat sie sich zwei Skistöcke organisiert, mit denen sie sich abstützen kann. Langsam ist die Transformation von der privat quirligen Nadja zu einer Ozeangestalt zwischen Opulenz und Verderben sicht- und spürbar. Sie wirkt ruhiger, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass sie ihren Nacken nicht bewegen darf, an den gerade das Ende eines nachgebildeten Fisch-Rückgrats geklebt wird.
Mit fortschreitender Transformation nähern wir uns in großen Schritten dem „Punkt X“. Klingt dramatisch, ist es aber nicht. Zumindest nicht für Nadja, die längst Profi darin ist, ihren Körper auf das lange Modellstehen einzustellen. Denn ist der „Punkt X“ einmal erreicht, kann sie nicht mehr auf die Toilette gehen, ohne ihren Look zu ruinieren. Heute ist es um 14 Uhr so weit, ab dann muss sie bis zum Ende der Siegerehrung um Mitternacht durchhalten. Auf diese Info reagieren die meisten Laien schockiert, immer wieder. Dieses unverhältnismäßig starke Interesse für ihre Blase amüsiert Nadja sichtlich. Wie das geht? „Ich trinke dann einfach nichts mehr“, erklärt Nadja. „Ich glaube, ein Vorteil ist, dass ich als Läuferin längere Strecken zurücklege, bei denen ich auch nicht trinken kann. Der Körper gewöhnt sich daran.“ Hier ist also sogar die Blasenkontrolle Routine.
Detailverliebter Endspurt
Langsam steigert sich aber doch die Anspannung – der Punkt X ist überschritten und wir nähern uns dem Endspurt. Gabriela blickt immer wieder auf ihre Armbanduhr und zählt den Countdown: „Zwei Stunden noch“, „eineinhalb Stunden noch“, „nur mehr eine Stunde“. Zwar sieht Nadja schon ziemlich überzeugend verwandelt aus, doch immer noch warten Gabriela und ihre Assistentin Nadja mit kleinen Details auf, die den Unterschied machen. Das Rückgrat des Fisches entlang von Nadjas Wirbelsäule wird etwa begleitet von zwei bunt leuchtenden LED-Ketten, eine ihrer Hände steckt in ihrem Rock, der das Meer markiert, und ein kleiner Deko-Fisch soll rücklings von ihrer Schulter baumeln. Dafür reißt sich Gabriela in letzter Konsequenz sogar ein Haar aus, an dem sie ihn befestigen kann.
Nicht nur im Zelt nimmt die Aufregung zu. Um die Zelte und Teams versammeln sich immer mehr neugierige Zaungäste, die besonders Gabrielas Werk bestaunen. Handys recken sich nach vorne, Kameras nehmen Nadjas bereits komplett verändertes Gesicht aus nächster Nähe ins Visier. Alles kein Stress für sie, das gehört nun einmal dazu, wenn man sich in ein visuelles Spektakel verwandelt. Und schließlich ist sie abgeschlossen, die Transformation und ein Jurymitglied kommt vorbei, um die Arbeit für beendet zu erklären. Zumindest für Gabriela. Denn Nadja steht jetzt noch einiges bevor: Zuerst die Beurteilung durch die Jury, dann ein ein- bis zweistündiges Schauposieren im Fotobereich und schließlich die Abschlusspräsentation auf der großen Bühne. Auch, wenn sich zumindest Gabriela den riesigen Aufwand eigentlich nicht noch einmal antun wollte – ausgezahlt hat er sich definitiv: Sie fährt schließlich wieder einmal als Vize-Weltmeisterin nachhause. Und wer weiß, vielleicht kommt sie ja doch noch einmal wieder, um den Titel zu verteidigen. Denn dass die Möglichkeit, eine wichtige Message zu transportieren, jeden Alltagsstress aussticht, hat sie dieses Jahr bereits bewiesen.
Noch mehr Tipps im Bundesland findet ihr in unserer Liste Sommer in Kärnten. Registriert euch und folgt der Liste, dann verpasst ihr keine Updates mehr.