Schmerzpunkt Arbeitsplatz: Tipps von der Physiotherapeutin
Ohne Frage: Es gibt viele Jobs die weitaus risikoreicher und körperlich anspruchsvoller sind als Bürojobs. Aber auch die Arbeit vor dem Bildschirm fordert ihren Tribut und wirkt sich auf unseren Körper aus. Wir haben bei einer Physiotherapeutin nachgefragt, wie man den Arbeitsplatz und Büroalltag möglichst ergonomisch gestalten kann.
Wären wir ein Tier, dann wären viele von uns wohl ein Bürohengst. Dafür mussten wir nicht erst 155.940 Euro Steuergeld verscherbeln. Das haben wir uns einfach so gedacht. Und wie es eben typisch für die Gattung der Bürohengste ist, kommen sie nicht besonders oft auf die Koppel und getränkt werden sie meistens an der örtlichen Kaffeemaschine – der Wassertrog der Bürohengstherde. Meistens haben sie’s im Rücken – nicht weil jemand auf ihnen sitzt, sondern sie auf ihren vier Buchstaben – und der Nacken ist zu steif, um ihn lipizzanermäßig rund zu machen.
Bevor wir uns mit unseren Tier-Metaphern so lange um die eigene Achse drehen, dass wir uns das Genick auch noch verreißen, lassen wir die Pferde lieber auf der Koppel. Stattdessen haben wir uns gefragt, wie man den Arbeitsalltag eigentlich nicht nur produktiv, sondern auch gesund gestalten kann. Also haben wir bei Sandy Schilling (Instagram: @movedbysandy) nachgefragt. Die Hamburgerin ist Physio-, Schmerz- und Rückenschultherapeutin, Personal Trainerin und als Masseurin in ganz Österreich unterwegs.
Wie wichtig ist Ergonomie?
1000things: Es heißt ja oft, dass der Büroalltag eine große Belastung für den Körper sein kann. Aber welche Gefahren birgt denn der Schreibtisch eigentlich?
Sandy Schilling: Der Körper ist ja grundsätzlich dafür gemacht, Belastungen standzuhalten. Aber acht Stunden sitzen am Tag sind eine sehr große Belastung. Wir verkürzen sprichwörtlich, denn unsere Schulter-, Bauch- und Beinmuskulatur zieht sich nach vorne und wir befinden uns in einer ständigen Beugeposition.
Wie kann man dem am besten entgegenwirken?
Ständig die Sitzhaltung zu überprüfen, während man konzentriert arbeitet, ist praktisch unmöglich. Daher ist es wichtig, die verkürzten Stellen zu öffnen. Sprich: Schultern, Becken und Hüfte zu dehnen, um der Belastungshaltung entgegenzuwirken. Letztlich sind fast alle dieser Beschwerden, die durch längere Sitzbelastung ausgelöst werden, eine Dysbalance von Kraft und Beweglichkeit – irgendwo fehlt entweder die Kraft und/oder die Beweglichkeit. Dem kann man am besten entgegenwirken, indem man schon vor der Arbeit ein paar Übungen macht.
Zum Beispiel?
Du legst dich auf den Rücken, winkelst die Beine an, machst ein paar tiefe Atemzüge und bewegst die Beine von rechts nach links. Das geht natürlich am besten zu Hause oder vor dem Homeoffice. Wenn du schon im Büro bist, kannst du dich auf denen Sessel setzen, die Arme hoch in die Luft strecken und bei der Einatmung je einen der Arme so hoch strecken wie möglich. Beim Ausatmen lässt du wieder locker, dann folgt die andere Seite. Wenn du das fünfmal pro Seite machst, merkst du schon einen deutlichen Unterschied in deiner Atmung und Aufrichtung. Du atmest am besten durch die Nase ein und durch den Mund aus. Das ist der natürliche Atemfluss. Einatmung durch den Mund ist eher eine Belastungsatmung.
Gezielte Übungen am Arbeitsplatz
Welche Übungen kann man sonst noch am Arbeitsplatz machen?
Gut ist etwa die Position, in der man die Beine vorne aufstellt kann und den Oberkörper rotiert. Manche haben einen Stock im Büro, den sie hinter den Brustkorb nehmen und damit den Oberkörper rotieren. Man kann aber auch einfach die Arme hinter den Kopf nehmen und sich langsam und möglichst weit nach links und rechts drehen.
Eine andere Übung ist der Kutschersitz, der den Körper und speziell den Rücken vom Sitzen entlasten soll. Du stellst die Beine breit auf, stützt dich mit den Unterarmen auf den Oberschenkeln auf und lässt den Kopf locker runterhängen. Damit nimmst du den Druck aus der Lenden- und Brustwirbelsäule und kannst richtig gut entspannen.
Um den unteren Rücken zu entlasten, kannst du auch den rechten Unterschenkel über den linken Oberschenkel legen und dich mit dem Oberkörper nach vorne lehnen. Das verursacht einen Zug auf der rechten Oberschenkel-Po-Seite. Anschließend wiederholst du das auf der anderen Seite.
Für den seitlichen Rücken nimmst du den rechten Arm nach oben und lehnst dich auf die linke Seite, während der linke Arm locker auf dem Oberschenkel liegt. Wichtig dabei ist, dass dein Oberkörper sich nicht nach vorne oder hinten verdreht. Es geht darum, den Abstand zwischen Brustkorb und Becken auf der rechten Seite zu vergrößern und da reinzuatmen. Dann kommt die andere Seite dran.
Übungen, die man in den Pausen macht, sollten am besten etwas mit Rotation und Aufrichtung zu tun haben. Sie dienen lediglich dazu, den Körper zu entlasten, mehr nicht, dessen muss man sich bewusst sein.
Mach mal Pause!
Laut Arbeiterkammer steht einem, wenn man täglich mehr als zwei Stunden ununterbrochen am Bildschirm arbeitet oder mehr als drei Stunden mit Unterbrechungen, nach jeweils 50 Minuten eine zehnminütige Bildschirm-Pause zu. Wie wichtig sind Pausen generell beim Arbeiten?
Einmal in der Stunde eine zehnminütige Pause einzulegen, ist definitiv wichtig und sinnvoll. Dabei geht es vor allem darum, kurz aus der Konzentration rauszukommen und das Stresslevel zu senken. Zu langes Arbeiten am Monitor kann oxidativen Stress auslösen und zu einer Übersäuerung führen. Im Idealfall steht man in der Pause ein bisschen auf und bekommt frische Luft, da ist auch schon ein offenes Fenster hilfreich. Je mehr du aus deinem Fokus raus und vom Bildschirm wegkommst, desto besser.
Mittlerweile gibt es ja verschiedene ergonomische Hilfsmittel, um den Arbeitsplatz zu optimieren, wie zum Beispiel Stehtische. Ist stehen besser als sitzen?
In der Physiotherapie gibt es die sogenannte SL-Regel: S für sitzen und stehen, L für liegen und laufen. S macht Druck auf die Wirbelsäule, stehen also genauso wie sitzen. Außerdem haben viele beim Stehen mehr Defizite, weil sie ein bevorzugtes Standbein haben und es so zu einer einseitigen Belastung kommt. Mittlerweile gibt es sogar Stehtische, unter denen ein Laufband ist, auf dem du gehst, während du arbeitest. Ich frage mich, wie effektiv das ist, wenn man so viele Dinge gleichzeitig macht. Aber es gibt sicher Menschen, für die das genau das Richtige ist, das muss letztlich jede*r selbst wissen.
Wie man sich setzt, so sitzt man
Welche Hilfsmittel kannst du empfehlen?
Das, was deine Haltung am Arbeitsplatz am meisten beeinflusst, ist deine Sitzgelegenheit. Der richtige Sessel ist das A und O. Da kann man natürlich von 100 bis 8.000 Euro so ziemlich alles ausgeben. Aber einen sauteuren Stuhl zu kaufen, auf dem man nicht gut sitzen kann, ist natürlich auch nicht sinnvoll. Am besten, man kauft sich so einen Sessel nur mit Rückgabemöglichkeit, weil man ihn im Alltag ausprobieren sollte.
Wichtig ist, dass man einen Sessel findet, bei dem der Rücken entlastet ist. Dabei zählt besonders die Sitzfläche – je härter sie ist, desto mehr belastet das den unteren Rücken. Manchen hilft es schon, wenn sie sich ein Luftkissen unter den Po legen oder auf einem Gymnastikball sitzen. Dadurch kann der Körper den Druck an das Luftkissen oder den Ball abgeben und auf dem Ball bist du noch dazu ständig in Bewegung. Die Frage ist, ob du dabei noch konzentriert arbeiten kannst. Man kann den Gym-Ball aber auch zur Entlastung zwischendurch nehmen und danach wieder auf den Bürostuhl wechseln. Was einem im Alltag dann wirklich hilft, ist letztlich aber sehr individuell. Da sollte man sich am besten durchprobieren.
Das beste Hilfsmittel ist ein Ausgleichstraining zu den Belastungen im Alltag. Ein Training bei dem man sowohl den Kopf frei bekommt als auch die Rumpfmuskulatur stärkt. Und darüber hinaus unbedingt die vom Sitzen verkürzten Muskeln dehnen.
Du arbeitest von zu Hause aus? Wir haben außerdem einen Survivialguide fürs Homeoffice für dich. Außerdem haben wir uns ein paar Dinge überlegt, die du von Video-Konferenzen sicher kennst.