Beratungszentrum Sophie: Sozialarbeit zwischen Poledance und Freiern
Das Beratungszentrum Sophie der Volkshilfe Wien unterstützt Sexarbeiter*innen in Wien, Niederösterreich und im Burgenland. Wir haben nachgefragt, wie die Arbeit im Streetwork und in der Beratung aussieht.
Bunt zusammengewürfelte Sessel stehen rund um zwei Tische in der Mitte des Raumes, in der Ecke neben einem Fenster stehen Kinderbücher, ein Steckenpferd lehnt an der Wand. In einem der Regale lagern Nudeln, in einem anderen Kleidungsstücke. Betritt man den Kommunikationsraum des Beratungszentrums Sophie im 15. Bezirk, könnte man auf den ersten Blick meinen, es handelt sich um ein x-beliebiges Nachbarschaftszentrum. Sieht man genauer hin, merkt man aber schnell: Das ist es nicht. In einer Vitrine liegen Kondome, eine Menstruationstasse und Notfallverhütungsmittel. Ein Plakat klärt über die Wirksamkeit verschiedener Verhütungsmethoden auf. Und darüber stapeln sich Broschüren mit der Aufschrift „Sexwork Info“.
Das Beratungszentrum Sophie gehört zur Volkshilfe Wien und berät Sexarbeiter*innen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland zu verschiedenen Themen. Die elf Berater*innen – Sophie ist ein Beratungszentrum von Frauen* für Frauen* – unterstützen sie zum Beispiel bei Fragen zum Arbeitsmarkt, bei der Registrierung als Sexarbeiter*in oder beim Lösen von finanziellen Problemen. Neben den Beratungen in den Räumlichkeiten von Sophie im 15. Bezirk sind die Berater*innen auch aufsuchend tätig: Die Streetwork-Teams besuchen Sexarbeiter*innen in Studios, Clubs, Laufhäusern oder auf dem Straßenstrich. Bei Sophie können sich Frauen* freiwillig engagieren und etwa im Kommunikationsraum, im Backoffice oder im Streetwork-Team mitarbeiten. Und seit zwei Jahren bietet Sophie eine Ausbildung für Sexarbeiter*innen zur Sexualbegleiter*in an.
Beziehungsaufbau im Streetwork
Eine der elf Berater*innen ist Stefani Doynova. Sie ist hauptsächlich im Streetwork tätig. “Die Kondome sind im Streetwork besonders wichtig”, erklärt sie. Bei ihren Einsätzen verteilen die Streetworker*innen die Kondome gratis an Sexarbeiter*innen. “Sie sind einerseits im Zusammenhang mit der Krankheitsprävention eine wichtige Maßnahme. Andererseits sind sie auch für den Beziehungsaufbau sehr wichtig. Das ist in der Sexarbeit besonders relevant, weil große Skepsis gegenüber Organisationen und Institutionen herrscht – alles was irgendwie einen offiziellen Charakter hat, wird erst einmal mit Skepsis begegnet”, sagt sie.
Viele der rund 2.000 registrierten Sexarbeiter*innen in Wien kennen Sophie bereits und wissen: Skeptisch müssen sie den Streetworker*innen gegenüber nicht sein. “Wir vertreten eine akzeptierende Haltung, das heißt, dass wir niemals Personen dafür verurteilen, dass sie in der Sexarbeit arbeiten”, erklärt Julia Köhl, Leiterin von Sophie. “Je mehr Rechte Sexarbeitende haben, desto besser ist die Situation für sie.” Weil auch andere Organisationen aufsuchend unterwegs sind, die eine weniger akzeptierende Haltung gegenüber Sexarbeit haben, haben Doynova und ihre Kolleg*innen im Streetwork immer Flyer von Sophie bereit. Die helfen nicht nur dabei, dass die Sexarbeiter*innen Sophie gleich erkennen, sondern geben auch Auskunft über die Angebote der Beratungsstelle.
Arbeit “zwischen Kunden und Poledance”
In den Bundesländern ist die aufsuchende Arbeit besonders wichtig, da Sexarbeiter*innen teilweise weniger Zugang zu Angeboten und sozialen Leistungen haben und es eine schlechtere soziale Infrastruktur in den Ortschaften gibt, erzählt Doynova. “Deswegen haben wir auch ein mobiles Büro mit einem Laptop, Scanner und Drucker. So können wir auch unterwegs beraten. Ich habe auch schon in einem Laufhaus Versicherungen abgeschlossen, mitten in der Nacht, zwischen Kunden und Poledance.”
Die Tatsache, dass die Arbeit an die Lebenswelt der Klient*innen angepasst ist, macht den Job für die Beraterin spannend. “Die Frauen haben einen anderen Tagesrhythmus und durch die isolierte Lage von vielen Lokalen kommen sie auch gar nicht weg. Das heißt, wenn sie etwas brauchen, dann müssen wir dort hin. Wären wir nicht vor Ort dort, hätten sie überhaupt keinen Zugang zu irgendwelchen Informationen und Unterstützungsleistungen.”
Beratungen in elf Sprachen
Auch ohne konkretes Beratungsbedürfnis stehen die Türen von Sophie offen: Von Montag bis Donnerstag können Frauen, Trans-Frauen und nicht-binäre Personen, die in der Sexarbeit arbeiten, arbeiten wollen oder gearbeitet haben, nachmittags ohne Termin im Kommunikationsraum vorbeikommen. Sie können bei Sophie auch duschen oder Wäsche waschen, Kleidung und Lebensmittel mitnehmen und mit Berater*innen ins Gespräch kommen. “Wir schauen auch immer, dass nach Möglichkeit jeden Tag eine andere Sprache angeboten wird. Wir sprechen im Moment elf Sprachen und sind insgesamt zu elft“, erklärt Leiterin Julia Köhl.
Stefani Doynova spricht Deutsch, Englisch und Bulgarisch – neben Ungarisch und Rumänisch eine der wichtigsten Sprachen. Denn viele der Sexarbeiter*innen kommen aus osteuropäischen EU-Staaten. “Gerade im Burgenland haben wir viele Klient*innen aus den Grenzregionen, die eben aus Ungarn oder der Slowakei kommen. Das hat den Hintergrund, dass es innerhalb der EU Freizügigkeit gibt und, dass die Frauen teilweise aus armen Verhältnissen kommen und teilweise auch die ganze Familie als Alleinverdienerin versorgen. Da ist eine Einkommensquelle in westlichen Ländern schon attraktiv”, sagt Doynova.
Finanzielle Engpässe im Fokus
Geld, das ist derzeit auch eines der Hauptthemen in der Beratung. Nicht nur durch die aktuelle Teuerung, sondern schon seit Beginn der Coronapandemie. “Seit 2020 häuft sich das Thema ‘materielle Existenzsicherung’ schon. Durch Lockdowns und Berufsverbote konnten Sexarbeiter*innen nicht arbeiten, da haben viele Schulden gemacht beziehungsweise ihr Erspartes aufgebraucht. Jetzt kommt die Teuerung dazu – es ist gar kein Puffer mehr da und das merken wir schon sehr”, erklärt Julia Köhl.
Aber nicht nur finanziell stellt die Pandemie Sexarbeiter*innen vor große Herausforderungen. Die Beratungsstelle beobachtete seit 2020 auch eine verstärkte Verlagerung in Richtung illegale Wohnungsprostitution. “Die Verlagerung hat vor allem das Problem, dass es einfach illegal ist, in der eigenen Wohnung zu arbeiten. Die Frauen bekommen Strafen, wenn sie von der Polizei kontrolliert werden.“ Hinzu komme, dass vor allem in Zeiten des Lockdowns auch die Gewalt durch Kunden in der Wohnungsprostitution zugenommen hat. “Vorher hatten wir wirklich punktuell, dass Sexarbeitende von Gewalt durch Kunden gesprochen haben”, sagt Köhl. “Je länger die Lockdowns und Berufsverbotszeiten gedauert haben, desto mehr ist von verbaler Erniedrigung, Gewaltanwendung und teilweise auch Vergewaltigung berichtet worden.” Damit Doynova und ihre Kolleg*innen Themen wie Gewaltfälle nicht mit nach Hause nehmen, gibt es regelmäßig Gespräche mit einer externen Supervisorin.
Mit Resilienz gegen Unwissenheit
Herausfordernd machen den Job aber nicht nur Berichte von Gewalt. Auch Unwissenheit, Diskriminierung und Stigmatisierung stellen nicht nur die Sexarbeitenden, sondern auch die Berater*innen vor Hürden: “Gerade im Migrationsbereich und beim Aufenthaltsrecht gibt es sehr viel Unsicherheit bei Institutionen”, erzählt Doynova. “Manche wissen nicht, dass Sexarbeit ein legaler Beruf ist und dass das auch einen Einfluss auf den Aufenthaltsstatus hat. Und dann heißt es: ‘Sexarbeit, ist das wirklich erlaubt? Ich glaube nicht. Du kriegst eine Absage.’” Stigmata und Unwissenheit entgegenzuwirken, sei oft eine große Schwierigkeit.
Gerade deshalb ist Resilienz für Doynova auch eine der wichtigsten Fähigkeiten für die Arbeit bei Sophie. Hinzu kommen Flexibilität – als Sozialarbeiter*in müsse man sich auf unterschiedliche Situationen und Planänderungen einstellen können – und Humor. “Gerade im Streetwork ist es immer wieder ein Icebreaker, wenn man mit den Frauen auch ein bisschen lacht und nicht immer alles sehr bitterernst ist”, sagt sie. “ Es ist ein ernster Job, es ist ein ernster Bereich, aber gerade da muss man umso mehr lachen können.”
Damit Frauen in der Sexarbeit in Zukunft mehr Gründe zum Lachen haben, wünscht sich Julia Köhl einerseits, dass „Gesetze nicht nur für Sexarbeiter*innen sondern auch mit ihnen gemacht werden“, also dass das Gespräch mit Sexarbeitenden und NGOs gesucht wird. Andererseits ist es für Köhl an der Zeit, dass Sexarbeit gesellschaftlich akzeptiert wird. „Wir stigmatisieren Sexarbeitende für ihren Beruf, es gibt aber genügend Kunden, die die Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Ich würde mir wünschen, dass unsere Gesellschaft da ein bisschen offener wird und den Konservatismus ein bisschen ablegt.“ Den Berater*innen würde das ihre Arbeit wohl um einiges erleichtern.
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