Gastkommentar: Von der Angst, das Falsche zu sagen
Wir müssen reden – über Inklusion und Behinderung! Aber wie? Redakteurin Sandra Schmidhofer von andererseits hat sich darüber Gedanken gemacht.
Anmerkung der Redaktion: Am 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Aus diesem Grund veröffentlichen wir den Text von andererseits erneut. Der Text ist erstmals am 1. Februar 2022 erschienen.
Wir arbeiten mit andererseits zusammen. andererseits setzt sich für Inklusion im Journalismus ein. Das bedeutet: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten hier zusammen an journalistischen Formaten.
Das Handy vibriert, eine neue Nachricht im Gruppenchat. Hanna erzählt davon, wie gerne sie knotzt – also gemütlich auf dem Sofa liegt und sich ausruht. Für Sebastian kommt ein Abend auf der Couch nicht in Frage. Er war laufen. Schon wieder. Wir von der Redaktion andererseits sind wirklich sehr unterschiedlich. Eine Sache haben manche von uns aber gemeinsam: Wir haben eine Behinderung.
Über Inklusion nachzudenken, ist heute mehr verbreitet als noch vor ein paar Jahren. Zum Glück! Aber so ganz „normal“ sind die Gespräche darüber noch nicht. Da gibt es Hemmungen und Unsicherheiten, vor allem, wenn es darum geht, die richtigen Worte zu finden. Dass Sprache verletzen kann, wird viel diskutiert. Wer heute „Oida, du bist so behindert“ sagt, wird – hoffentlich – verärgerte Blicke ernten.
Ich bin nicht besonders, ich bin behindert
Wenn wir bei andererseits über Themen wie Inklusion und Behinderung sprechen, werden die unterschiedlichsten Bezeichnungen genannt. Nikolai sagt „Menschen mit Beeinträchtigung“, Sebastian findet, wir sollen von Menschen mit besonderen Bedürfnissen sprechen. Ich sehe das anders: Ich bin nicht besonders, ich bin behindert. Nicht alle mögen dieselben Bezeichnungen und nicht alle finden es wichtig, ein ganz bestimmtes Wort zu benutzen. Mich stört das nicht.
Das sind Erfahrungen aus unserem Redaktionsalltag. Anderenorts wird über Begrifflichkeiten intensiver diskutiert. Und diesen Gesprächen wird ein großer Stellenwert beigemessen. Aber wie wichtig ist die richtige Wortwahl wirklich? Klar: Der Satz „Wir stellen keine Behinderten ein“ hat mehr bitteren Beigeschmack als „Leider können wir in unserem Betrieb nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung eingehen.“ Am Ende heißt es aber dasselbe: Wer behindert ist, kriegt keinen Job. Neben dem Vokabular muss sich meiner Meinung nach vor allem eines ändern: das Narrativ.
Die Bilder im Kopf
Was ich damit meine? Wenn Menschen mit Behinderung weiterhin als Personen mit trauriger Lebensgeschichte und unüberbrückbaren Defiziten wahrgenommen werden, wird die „richtige“ Wortwahl unsere Welt auch nicht inklusiver machen. Gleichzeitig denke ich, dass viele Alternativbezeichnungen für das Wort Behinderung das oben genannte Narrativ verstärken. Wenn wir von Menschen mit besonderen Bedürfnissen sprechen, machen wir diese Personen zu einer „anderen Art von Mensch“. Dabei ist an dem Bedürfnis nach Teilhabe und Respekt doch gar nichts besonders.
Wer beim Vokabeltest für sensiblen Sprachgebrauch die volle Punktzahl erreicht, kann sich also trotzdem nicht entspannt zurücklehnen. Wahnsinnig kompliziert? Jein. Manche Menschen haben eine Behinderung. Wer es schafft, das als neutrale Feststellung und nicht als schrecklichen Schicksalsschlag zu sehen, ist den ersten wichtigen Schritt schon gegangen. Danach sind es nur noch ein paar Tausend Schritte mehr, hin zu einer inklusiven Gesellschaft, in der wir alle Händchen haltend am Lagerfeuer sitzen. Bis dahin ist die Pandemie hoffentlich auch vorbei. Ansonsten müssen wir das mit dem Händehalten noch einmal überdenken.
Mehr Infos zu unserer Kooperation mit andererseits lest ihr in unserem Beitrag dazu.