Stadtkind vs. Landkind: Das Weihnachtsfest
Unsere Redaktion ist so vielfältig wie sie wunderschön ist – das haben objektive, unabhängige Studien ergeben. Daher tummeln sich in der Wiener Burggasse sowohl eingeborene Stadt- als auch „zuagraste“ Landkinder. Und die sind sich nicht immer einig. Weil wir gerne zündeln, fachen wir den Stadt-Land-Battle in dieser Kolumne mit vollem Bewusstsein an. Dieses Mal diskutieren das Stadtkind und das Landkind über ihr Weihnachtsfest.
Weihnachten ist nicht gleich Weihnachten ist nicht gleich Weihnachten. So viel ist klar. Jedes Bundesland, jede Region, ja sogar jede Familie hat ihre eigenen Rituale und Bräuche rund um die Festtage. Aber wie unterscheidet sich die Bescherung in der Großstadt eigentlich von jener auf dem Land?
Viki, das Stadtkind
Die Geschenke brachte bei uns zu Hause das Christkind. Zumindest waren alle anderen in der Familie tunlichst darum bemüht, diese Schummelei aufrecht zu halten, solange ich in dem Alter war, als es noch süß war, daran zu glauben, dass ein blond gelocktes Engerl von Haus zu Haus einbricht und Geschenke hinterlässt. Und damit das Christkind auch ja ungestört schalten und walten kann, schnappte mich mein Großvater Jahr für Jahr und fuhr mit mir auf den großen Christkindlmarkt am Rathausplatz. Da ging’s hauptsächlich ums Schauen und Staunen, aber das eine oder andere Mal sprang doch eine Kleinigkeit für mich raus, wie zum Beispiel der coolste Flummi aller Zeiten.
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Als wir dann glücklich und durchgefroren nach Hause zurückkehrten, war die Wohnzimmertür verschlossen – Time Management gehörte wohl nicht zu den Stärken des Christkinds. Dann läutete endlich das Glöckchen und wir durften das Zimmer stürmen. Ominöser Weise stand da immer schon meine Mutter, die behauptete, dass wir das Christkind knapp verpasst hätten. Aber als Beweis hing nur eine einzelne blonde Locke am Christbaum. Jedes Jahr. Im Nachhinein betrachtet hätte es wohl irgendwann eine Halbglatze bekommen müssen, aber wer will sich schon in Details verlieren? Da standen wir also, meine Mutter, meine Schwester, meine Großeltern und ich, und lasen Jahr für Jahr dieselbe Weihnachtsgeschichte vor, sangen immer wieder dieselben zwei Strophen der fünf obligatorischen Weihnachtslieder, und zwar dreistimmig: laut, falsch und mit Überzeugung. An dieser Besetzung hat sich bis heute kaum etwas verändert, außer dass mein Großvater leider vor einigen Jahren verstorben ist.
Inzwischen sind meine Schwester und ich längst von zu Hause ausgezogen, wohnen aber nah genug von unserem Elternhaus entfernt, um nach Bescherung und ebenso obligatorischer Völlerei irgendwann wieder in unsere Wohnungen zurückzukehren. Als Stadtkinder verbringen wir also nicht ganze Tage am Stück mit unserer Familie, schlafen nicht in unseren alten Kinderzimmern, die es so schon gar nicht mehr gibt, sondern kommen eben auf Besuch. Und das ist wahrscheinlich auch ganz gut so, bedenkt man, wie strapaziös die intensiven Feiertage sein können, wenn man nonstop mit der gesamten Familie aufeinanderpickt, oder, liebes Landkind? Wie ist das für dich, über die Feiertage heimzufahren?
Kathi, das Landkind
Sagen wir’s mal so: Die Weihnachtsfeiertage sind für mich Segen und Fluch zugleich. Einerseits freue ich mich wie ein kleines Kind darauf, kurz vor Heiligabend der Großstadt den Rücken zu kehren und meine gesamte Familie zu sehen; vor allem, weil ich mich mit den ganzen Geschenken im Gepäck selbst ein bisschen wie das Christkind fühle. Auch wenn das Jonglieren von Koffer und Präsenten im Zug immer wieder eine Herausforderung ist. Andererseits kann ich es nach mehr als einer Woche im Elternhaus kaum mehr erwarten, in meine eigenen vier Wände zurückzukehren – alle auf einem Haufen für sieben Tagen am Stück ist dann doch etwas zu viel des Guten. Bei uns versammelt sich an Weihnachten nämlich gefühlt der halbe Stammbaum. Alle sind mit dabei – Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen, Großonkel und -tanten. Zusammengepfercht auf einen Fleck muss man sich da schon hin und wieder dem Weihnachtsfrieden zuliebe die eine oder andere Diskussion verkneifen.
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Komisch wird’s dann vor allem, wenn der neue Partner das allererste Mal mitkommt und unseren Weihnachtswahnsinn miterlebt. Erstens, weil meine Familie im betrunkenen Zustand zwar unterhaltsam, aber immer etwas sonderbar ist. Zweitens, weil im Gegensatz zu dir, liebes Stadtkind, mein Kinderzimmer nämlich noch in voller Ausstattung vorhanden ist. Wie ein längst vergessener Schrein erinnern mich meine Twilight-Poster an mein 14-jähriges Ich, das sich viel zu fanatisch in die Vampir-Welt flüchtete, um die Pubertät zu überstehen.
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Was unsere Weihnachtsfeste aber definitiv gemeinsam haben, sind schräger Gesang und der schallende Klang der Glocke, der verkündet, dass das Christkind sein Wunder vollbracht hat. Auch meine Schwester und ich wurden mit Ablenkungsmanövern aus dem Haus gelockt – meist von unserem Vater – und meine Mutter ging währenddessen dem Christkind zur Hand. Mit acht erfuhr ich aber von Mitschülern, dass es das Christkind gar nicht geben soll. Ich kann mich noch gut erinnern, wie aufgebracht ich war. Ich stürmte nach Hause und stellte meine Eltern zur Rede. Überrumpelt von meiner Frage, sagten sie mir dann die Wahrheit. Eine Welt brach für mich zusammen. Fassungslos rannte ich natürlich sofort zu meiner vierjährigen Schwester und teilte ihr mit, dass wir einem Schwindel aufgesessen waren. Meine Schwester begann zu weinen. Rückblickend betrachtet war das nicht meine klügste Reaktion. Ich werde mich dieses Weihnachten bei ihr entschuldigen – und vielleicht hänge ich auch eine blonde Locke an den Baum, nur um sie endgültig zu verwirren.
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Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals im Dezember 2020 erschienen.