Carnuntum: In der Therme mit den alten Römern
Wenn ich mir schon geografisch oft keine weiten Sprünge leisten kann, dann reise ich eben durch die Zeit! Diesmal war ich in Carnuntum – und zwar vor 2.000 Jahren. Oder es war ein Sonnenstich. Jedenfalls ist alles, was mir die vielleicht oder vielleicht auch nicht imaginäre Römerin erzählt und gezeigt hat, historisch akkurat. Versprochen!
Sie schwingen im satten Urwald von Peru von Liane zu Liane, sie bezwingen mitten in der Wüste Gobi hilflose Kamele, sie sitzen auf einem Kliff und starren nachdenklich auf den Ozean. Dass der ganz normale Urlaub zur absoluten Status-Challenge geworden ist, haben wir also ihnen zu verdanken: den #travelers. Dank ihnen hole ich mir momentan beim Insta-Scrollen die absolute Reality-Watschen: Kann ich mir nicht leisten, kann ich mir nicht leisten, Katzenfoto, kann ich mir nicht leisten, auf Camping hab’ ich keinen Bock, kann ich mir nicht… Ihr wisst schon. Wenn sie mir also schon das geografische Reisen vermiest haben, weil ich erst mal einen Stabhochsprung-Kurs machen müsste, um die Latte für den perfekten Urlaub zu erreichen, reise ich eben durch die Zeit – #timetraveler. Ja, ihr habt richtig gelesen, und nein, ich bin nicht auf LSD. Denn in Österreich gibt es auch ohne halluzinogene Drogen einige Orte, die einen in andere Zeitebenen katapultieren.
Zurückkatapultiert in Carnuntums Blütezeit
Die Römerstadt Carnuntum ist zum Beispiel so ein Ort. Und Thermenurlaub ist ja momentan ohnehin in: „Mein Schatz und ich im Pool, mein Schatz und ich in identen Bademänteln, mein Schatz, wie es versucht, sich vor Langeweile im Pool zu ertränken.“ Mal ehrlich: Das will doch wirklich keiner mehr sehen. Also lieber ab zu den ersten Wellness-Influencern überhaupt: den alten Römern. Was ich angestellt habe, um mich gut 2000 Jahr.e in der Zeit zurückzuschießen, bleibt besser ein Geheimnis. Jedenfalls bin ich sicher nicht peinlich in Carnuntum umhergestreunt auf der Suche nach einem Zeitportal wie aus den Sci-Fi-Streifen. Und auf keinen Fall hat mich nach fünf Stunden Ruinen-Umarmen und Steinkreise-Suchen ein Sonnenstich ausgeknockt. Hust. Hust. Typisch Generation Fernsehen.
Ja nicht auffallen!
Jedenfalls wache ich plötzlich auf im Jahre 195 nach Christus, in einem römischen Haus. Eine Frau in Tunika beäugt mich besorgt und verwundert – wahrscheinlich, weil ich gerade aus dem 21. Jahrhundert geplumpst bin. (Vielleicht aber auch, weil sie eigentlich der Touristenguide ist, der ernsthaft um mein durch den Sonnenstich weichgekochtes Hirn besorgt ist.) Wenn ich aber etwas aus Zeitreise-Filmen gelernt habe, dann das: Man darf nichts verändern und schon gar nicht als Zeitreisende erkannt werden. Also schwafle ich irgendetwas von meiner typisch südrömischen Landestracht (a.k.a. Röhrenjeans und Tanktop) und schwatze meiner römischen Gastgeberin schließlich eine Tunika und Sandalen ab. Uhr, Handy und alles andere, was mich verraten könnte, verstecke ich einstweilen unter dem Bett.
Meine unverhoffte Gastgeberin und ich stehen uns in unseren blauen, knöchellangen Baumwolltuniken kurz ratlos gegenüber. Ein Glück, dass ich in der Schule acht Jahre lang Latein hatte, wovon mir noch Fetzen im Gedächtnis herumschwirren. Sonst wäre das ein langes peinliches Schweigen gewesen. „Mihi porcus est Victoria“ (Mein Schwein ist Viktoria.), sage ich – viel zu laut, wie man seltsamer Weise eben mit Menschen spricht, von denen man ausgeht, dass sie einen nicht verstehen. Die Römerin hat mich aber offenbar verstanden – ich kann es also noch! „Claudia“, nickt sie mir geduldig zu.
Zu Gast im Haus des Lucius
Dann führt sie mich durch ihr Haus, dessen Einrichtung und Schnitt wohl am ehesten zur gut situierten römischen Mittelschicht passen: eine Veranda, ein kleiner Eingangsbereich, eine Küche, ein Arbeitsraum, ein Schlafraum und ein Obergeschoss, das mich aber nichts angeht, meint Claudia. Das alles ist typisch römisch mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Nur die Fenster sind etwas klein, da kommt ja kaum Licht rein. Claudia lacht – das ist doch Usus, je größer die Fenster desto stärker kriechen Hitze und Kälte ins Haus. (Ausgekocht, diese Römer.)
Besonders im grün bepflanzten Innenhof des Hauses kommt bei mir #traveler-Stimmung auf. Könnte ich hier doch nur ein Selfie mit Hündchen-Filter für meine Insta-Follower machen. Eigentlich ist das hier aber der Arbeitshof von Claudias Mann Lucius, wenn es drinnen in der Werkstatt zu dunkel ist. Der ist nämlich erfolgreicher Tuchhändler und eigentlich den ganzen Tag auf Achse. Kundenakquise und so. Auch die alten Römer haben also Probleme mit der Work-Life-Balance.
In vino veritas – oder so
„Vino?“ frage ich Claudia ganz ungeniert, als uns langsam wieder der Gesprächsstoff ausgeht. „Vino!“ lächelt sie und ruft einem ihrer Haussklaven zu, dass er uns Wein auf die Veranda bringen soll. Dieses Konzept der Leibeigenschaft ist aus heutiger Sicht natürlich gewöhnungsbedürftig. Aber als Zeitreisende darf ich mich ja nicht einmischen. Auch an den Wein, der uns auf dem kleinen Holztischchen kredenzt wird, muss ich mich erst mal gewöhnen. Er gleicht eher einem dickflüssigen Traubensaft. Claudia spritzt ihren mit Wasser auf, also mache ich das auch. Als sie merkt, dass ich das Gesicht leicht verziehe, bietet sie mir die alkoholfreie Alternative an: Wasser mit Essig. Schmeckt erfrischend und säubert das Wasser aus dem nicht besonders hygienischen Hausbrunnen von Bakterien.
Die erste alkoholische Erfahrung bei den alten Römern ist also eher ernüchternd. Claudia vertröstet mich auf einen angeblich sagenhaft guten Gewürzwein in der Therme. Aber bevor wir wellnessen gehen können, will sie mich noch ein bisschen stylen. Ich versuche mal, das nicht persönlich zu nehmen. Denn offenbar geht es beim Flanieren übers Forum und gemeinschaftlichen Körperpflegen vor allem ums soziale Blickebad. Erstmal erfrische ich mein Gesicht mit dem Wasser aus dem Holzfass im Innenhof. Gesammeltes Regenwasser, wie ich ärgerlicher Weise erst nach dem Abtrocknen erfahre.
Römisches Make-Over
Dann schmiert mir Claudia etwas ins Gesicht, das meine Haut aufhellen soll. (Ich bin eher der mediterrane Typ, was damals anscheinend out war.) Bleiweiß. Auch das sagt sie mir erst, als es mir bereits im Gesicht klebt. Mit Kohle zieht sie mir einen Lidstrich, mit einer Creme aus Fett und Öl mit roten Farbpigmenten malt sie mir die Lippen an. Zum Schluss noch ein paar Tröpfchen selbstgepantschtes Parfüm und ecce homines – ich fühle mich schon ziemlich römisch.
Die Therme ist nur einige Schritte vom Haus entfernt. Praktisch, bedenkt man, dass die Römer ungefähr einmal am Tag dorthin pilgern. Aber nicht nur zum Spaß, sondern auch zur Seuchenprävention. Das klingt jetzt zwar weniger nach idyllischem Relaxen, aber immerhin hatte damals so gut wie niemand ein eigenes Bad oder auch Toiletten zuhause. Was aus einem rauskam, ging in den Nachttopf. Was auf einem drauf war, schrubbte man sich in der Therme wieder runter, um Krankheiten vorzubeugen. Deshalb ist die kleine Nachbartherme, in die mich Claudia mitnimmt, auch bei Weitem nicht die einzige in Carnuntum. Es gibt hier so viele, dass sogar die faulsten Getreidesäcke keine Ausrede haben, lieber schmutzig zuhause zu bleiben.
Römische Therme: How to
Einfach so die Therme stürmen, geht aber auch nicht. Erst einmal muss man nämlich Eintritt abdrücken. Ganz wie zuhause im 21. Jahrhundert. Allerdings sind hier die Preise so niedrig angesetzt, dass sie sich sogar die Ärmsten locker leisten können. Wie gesagt: Jeder soll sauber bleiben! Leider ist der niedrigste Preis immer noch zu teuer für mich, weil ich das einzige Zahlungsmittel, das ich dabeihätte, nervös unter Claudias Bett versteckt habe. Außerdem wären die Römer mit ein paar Kupfercent wahrscheinlich auch nicht besonders zufrieden. Doch Claudia bemerkt mein Dilemma und lädt mich großzügig ein. Der Eintritt entspricht ohnehin ungefähr dem Wert eines Hühnereis, flüstert sie mir zwinkernd zu.
Die riesige Eingangshalle vibriert vor sozialem Treiben: Die einen spielen Brettspiele, die anderen lassen sich massieren oder die Haare schneiden, und die Tratschgänse sitzen auf einem Knäuel und zerreißen sich die Wein gefüllten Mäuler. „Excue!“ nickt mir Claudia energisch zu. Leider bin ich da mit meinem Schullatein auch schon wieder am Ende. Aber als sie sich ihre Tunika und die Sandalen auszieht, sich ein Badetuch umwickelt und in Flip-Flop-ähnliche Holzschlapfen schlüpft, dämmert’s mir: „Ausziehen!“ Stimmt, bei näherem Betrachten sind hier alle nackt. Und weiblich. Ausschließlich.
Wo die Männer sind, frage ich Claudia, während ich verschämt die Tunika abstreife. Sie sieht mich schockiert an. Langsam dämmert auch ihr so einiges, glaube ich. Wie zum Beispiel, dass ich keine Römerin bin, weil ich sonst wüsste, dass Frauen und Männer niemals gemeinsam in die Therme gehen. Das hat der Thermenbetreiber hier so geregelt, dass die Männer am Vormittag dran sind, die Frauen am Nachmittag, erklärt sie mir dann doch etwas brüskiert.
Das komplette Wellness-Programm im Vorraum
Zum Glück kommen ihre Freundinnen und lenken sie von ihren misstrauischen Gedanken ab. Während sie mit ihnen ein Spiel spielt, dass irgendwie aussieht wie unser Mühle, lasse ich mich gepflegt durchkneten – deshalb bin ich schließlich hier. Während man mir den Rücken durchwalkt, beobachte ich leicht sabbernd vor Entspannung das Römer-Mühle von weiter weg: Am Boden sind kleine Löcher eingeritzt, mit Kreisen verbunden. Immer zwei spielen gegeneinander, mit jeweils drei Steinen. Die setzen sie nacheinander auf die Löcher und versuchen dann durch Herumschieben, drei Steine in eine Reihe zu bekommen. „Drei gewinnt“ quasi.
Claudia hat das offenbar schon zu oft gespielt. Denn nach zwei Runden ist ihr auch schon wieder langweilig und sie steht plötzlich neben mir. Jetzt geht’s also ab in die Baderäume. Doch vor dem Eingang zum ersten Baderaum schmiert sich Claudia erst mal ausgiebig mit Olivenöl ein und kratzt es mit einem Schaber wieder ab. Das soll den groben Schmutz entfernen, erklärt sie mir unaufgefordert. Entweder ich bin entlarvt oder sie hält mich für dämlich. Jedenfalls mache ich’s ihr nach und fühle mich irgendwie frittiert.
Baden von kalt bis heiß
Im ersten Baderaum setzen wir uns zu den anderen Frauen in ein kaltes Wasserbecken. Nach einiger Zeit wechseln wir in den nächsten, den mittelwarmen Raum. Das Wasser hat ungefähr 25 bis 30 wohlige Grad. Langsam setzt die ultimative Entspannung ein und Claudia und ich schrumpeln still vor uns hin. Ja, hier ließe es sich schon einige Zeit aushalten. Irgendwie beneidenswert, dass fast jeder Nachmittag in Claudias Leben so abläuft. Bevor wir uns endgültig auflösen wie Badekugeln, gehen wir in den letzten Raum. Er fühlt sich fast an wie eine Sauna. Auch im 35 Grad heißen Wasserbecken fühle ich mich eher wie eine weichzukochende Suppeneinlage. Hier halte ich es nicht besonders lange aus. Zum Glück gehen wir danach noch einmal ins kalte Becken zum Abkühlen.
Nach ein paar Stunden haben wir schließlich genug gewellnesst. Also wieder rein in die Tunika und ab ins sogenannte „Thermopolium“, die Gaststätte der Therme. Zuvor entschuldigt sich Claudia aber noch kurz – sie muss aufs Örtchen, das im alten Rom eine Art Gruppen-Plumpsklo mit nebeneinander aufgefädelten hölzernen Sitzen ist. Zum Glück war ich sicherheitshalber noch im 21. Jahrhundert auf Toilette, denke ich mir. Aber den Appetit lasse ich mir davon längst nicht verderben. Wann kommt man schon mal dazu, sich von den alten Römern bekochen zu lassen?
Essen wie die alten Römer
In der Gaststätte lässt Claudia uns eine typisch römische Jause auftischen: aus dem Süden importierte Oliven, Nüsse, Weintrauben und ein unglaublich guter Schafkäse-Aufstrich mit Olivenöl, Knoblauch, Sellerie-Grün und Koriander verfeinert. Brot gibt’s natürlich auch. Aber das Beste sind für mich die gefüllten Eier, die ich auch im 21. Jahrhundert jedes Jahr beim kalten Weihnachtsessen so schnell verdrücke, dass ich sie fast inhaliere. Die original römischen schmecken allerdings doch etwas anders als die von Muttern: Das Eigelb wird nämlich nicht mit Senf und Mayo vermischt, sondern mit Sardinenpaste oder Fischsauce, die typisch für die römische Küche ist. Trotzdem g’schmackig.
Um das Ende meines kleinen Thermenurlaubs zu feiern, frage ich Claudia noch einmal nach dem Gewürzwein, von dem sie so geschwärmt hat: „Mulsum?“ erinnere ich mich vage. „Mulsum!“ ruft sie den Gaststättenbetreibern freudig zu. Und schon bringen sie uns eine gelbe, fast ölige Flüssigkeit zum Tisch. Der erste Schluck schmeckt fast wie Met, also sehr honig-lastig. Dann aber auch wieder sehr würzig. Genau kann ich es noch nicht identifizieren, was ich da eigentlich trinke. Es ist Wein mit Wasser, Honig und Gewürzen wie zum Beispiel Pfeffer, verrät Claudia schließlich. Im Sommer trinkt man ihn kühl wie Eistee, im Winter warm wie Glühwein. „Prost!“ – ich meine: „Prosit!“ nicke ich Claudia zu. „Prosit!“ Also: Es möge nützen!
Und genützt hat’s wirklich: Am Ende meines antiken Thermenausflugs habe ich ziemlich einen in der Krone und bin nur am Rande erstaunt darüber, dass das Thermopolium wohl eines der ersten Take-Aways überhaupt ist. Über eine große Ausgabe Richtung Straße werden hier die Speisen auch zum Mitnehmen verkauft. Ziemlich cool, liebe Römer, ziemlich cool. Claudia und ich wanken jedenfalls zurück zum Haus und ich plumpse ohne Umschweife auf das Bett, aus dem ich vor ein paar Stunden in die alte Römerzeit hinein aufgewacht bin.
Zurück in die Zukunft?
Als ich meine Augen nach einem kurzen Powernap noch mal öffne, starrt mich eine Gruppe Tunika-Träger auffällig schockiert an. Auf den zweiten Blick fällt mir auf, dass sie unter ihren Stoffen Jeans und Sneakers tragen. Bin ich etwa wieder zurück in der Zukunft? Doch dann erblicke ich meine zuvorkommende Gastgeberin: „Claudia“, kichere ich noch leicht angesäuselt. „Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass mein Name nicht Claudia ist und ich auch nicht hier wohne“, meckert die vermeintliche Claudia zurück.
Bevor ich mir noch Gedanken darüber machen kann, dass ich statt einer Zeitreise vielleicht doch vom Sonnenstich halluziniert und mich unter anderem während der verkleideten Gruppenführung durch die Therme entblößt habe, krame ich schleunigst meine unter dem Bett deponierten Sachen hervor und suche das Weite. Hauptsache ich bin zurück in 2018. Die Tunika habe ich mir aber behalten.
Wenn ihr mir das alles nicht abkauft, dann könnt ihr in Carnuntum auch selbst auf Zeitreise gehen. Natürlich hoffentlich nicht ganz so abgedreht wie ich, aber zahlreiche Führungen über das Gelände geben euch einen umfassenden Einblick in den Alltag der alten Römer. Das Haus des Lucius ist eines der am schönsten rekonstruierten Häuser Carnuntums und komplett begehbar – bis auf den ersten Stock, in den mein fiktives Zeitreise-Ich auch nicht raufdurfte. Besonderes Highlight ist die Kulinarische Zeitreise, bei der ihr nach einem Rundgang durch das Römische Stadtviertel im Thermopolium die original römischen Snacks verkosten könnt, die auch mir vorgesetzt wurden.
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(c) Facebook-Beitragsbild | Römerstadt Carnuntum