Tiny House: Wie wenig man zum Leben braucht
Den Trend, unnötigen Ballast abzuwerfen, um den Kopf wieder für das Wesentliche frei zu bekommen, hat nicht erst Marie Kondo erfunden. Seit einigen Jahren ist auch das Reduzieren des Wohnraums in Form von Tiny Houses, also mobilen Mini-Häusern, in aller Munde. Wir haben so eines in Oberösterreich gefunden und uns angesehen, wie es sich darin wohnt.
In München steht vielleicht ein Hofbräuhaus, aber in Reichraming steht dafür ein Tiny House. Berstend volle Stammtische und kampftrinkende Trachtenmassen sucht man hier aber vergebens – die würden sich nämlich nur dann in dem wenige Quadratmeter großen Häuschen auf Rädern ausgehen, wenn sie die Clownsauto-Nummer beherrschen würden. Und um Exzess und Überfluss geht es hier auch gar nicht, im Gegenteil: Christoph und Rebecca Krug setzen mit ihrem Tiny House auf Minimalismus und Nachhaltigkeit.
Überfluss muss draußen bleiben
Wir nehmen an dem kleinen Holztisch Platz und Rebecca kocht uns Kaffee. Glatt könnte man in dem gemütlichen Vollholz-Raum vergessen, dass er der einzige ist. Aber schon Kleinigkeiten wie Kaffee kochen sind im Tiny House ein bisschen anders: „Wir verwenden keine Kaffeemaschine, sondern einen Wasserkocher zum Aufgießen“, erklärt Christoph. Das sind die Dinge, auf die man eben achten muss, wenn man nur wenige Quadratmeter zur Verfügung hat. Jede zusätzliche Küchenmaschine, jedes überflüssige Gimmick würde hier wertvollen Stauraum fressen. Den gibt es paradoxerweise aber gerade im Tiny House mehr als in jedem Ikea-Schrank: Die Bank kann man zum Beispiel hochheben und unter ihr Dinge verschwinden lassen. „Alles hier hat einen Nutzen, fast alles ist Stauraum“, sagt Rebecca.
Tatsächlich bewundern wir die präzise Ordnung, die hier herrscht – nichts ist hier zu viel, aber gleichzeitig hat man auch nicht das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Während wir noch insgeheim beschämt an das Chaos denken, das uns manchmal allein schon in unserem Vorzimmer entgegenschwappt, gibt uns Christoph eine kleine Führung. Bewegen müssen wir uns dafür nicht. Toilette und Dusche befinden sich am einen Ende des Hauses, Couch und Hochbett am anderen. Daneben gibt es sogar noch einen Ofen. „Temperaturschwankungen sind im Tiny House viel höher als in einem normalen Haus“, sagt Christoph. „Wenn man den Ofen anheizt, hat man gleich einmal 35 Grad.“ Im Winter ist das sicher lauschig.
Camping next level
Generell unterscheidet sich das Leben auf so kleiner Fläche natürlich in vielen Dingen von jenem in einem Einfamilienanwesen. Ein wenig könnte man es wahrscheinlich mit Camping im Wohnwagen vergleichen, wobei diese Bezeichnung dem liebevoll eingerichteten Tiny House keinesfalls gerecht werden würde. Allein schon die Raumhöhe, die eineinhalbmal höher ist als üblich, sorgt für ein angenehmes, offenes Raumgefühl. Keine Spur also von Campingkocher und Tisch-der-gleichzeitig-Bett-ist-Konstruktionen. Generator und Wärmestrahler? Ebenfalls Fehlanzeige. „Oben am Dach haben wir Solarpanele, die zwei Batterien speisen“, sagt Christoph. „Seit April sind wir komplett autark.“
Hotel au miniature
Angewiesen ist das junge Paar allerdings nicht darauf. Denn die beiden leben im Haus von Christophs Eltern, auf dessen Grundstück das Tiny House abgestellt ist. Theoretisch könnten sie damit zwar durch die Weltgeschichte fahren, praktisch wäre das aber ein ziemlich großer Aufwand. Man bräuchte ein Auto, das dreieinhalb Tonnen ziehen darf, und müsste damit erst einmal die verwinkelte, steile Auffahrt zum Standplatz meistern. Angefangen hat das Ganze als Liebhaber-Projekt für private Zwecke, mittlerweile vermieten die beiden ihr Tiny House aber regelmäßig an neugierige Gäste. „Wir haben relativ viele Gäste aus Deutschland“, erzählt Rebecca. „Die, die bisher den weitesten Weg zu uns zurückgelegt haben, sind fünf Stunden gefahren.“
Inzwischen vermieten die beiden ihr Tiny House nicht mehr für Gäste, bieten aber hin und wieder Tiny-House-Workshops an.
Minutiös geplanter Anhänger
Vor eineinhalb Jahren haben Christoph und Rebecca begonnen zu recherchieren, Pläne zu zeichnen und zusammen mit Freunden ihr Miniaturhaus zu entwerfen. „Ein guter Freund von mir arbeitet als Designer. Er hat am Computer die Maße vom Haus genommen und unsere Figuren hineinkopiert und geschaut, wie sich das alles ausgeht“, sagt Christoph. Außerdem haben sie einen Workshop besucht, bei dem sie gelernt haben, worauf sie bei Dämmung und Statik achten müssen. Christoph selbst ist gelernter Tischler und plant Hochseilgärten und Spielplätze, Rebecca ist gelernte Physiklaborantin und kennt sich daher mit technischem Zeichnen aus. Für die Planung brachten die beiden also einiges an Know-how mit, und das ist auch gut so. Denn gerade die Planung von Wohnraum auf seiner so kleinen Fläche muss präzise und minutiös ausgetüftelt sein, damit der Platz optimal genutzt wird und keine Kastentür einer anderen den Weg versperrt.
Immerhin ist das Tiny House trotz allem Komfort streng genommen ein Anhänger. „Dadurch, dass es offiziell als Hänger angemeldet ist und auch ein Kennzeichen besitzt, kann ich es auf meinem Privatgrund hinstellen, wo ich will“, sagt Christoph. Erst wenn er die Taferln abnähme, würde die reguläre Bauordnung gelten. Das hat natürlich gewisse bürokratische Vorteile. „Wenn du ein Bauwerk konstruieren willst, brauchst du einen Statiker, die Wärmedämmung muss einen gewissen Wert ergeben und so weiter. Beim Hänger ist das nicht so, da gilt die Straßenverkehrsordnung.“ Ein Hänger ist in der Regel ja auch weniger aufwändig als ein Haus.
Weniger ist mehr
Weniger – genau darum geht es generell. Christoph und Rebecca haben sich dem Minimalismus verschrieben. Ganz nach dem Motto: Was dich wirklich glücklich macht, kannst du eh in keinem Laden kaufen. Bevor sie das Tiny House vor ein paar Monaten fertig gestellt haben, waren sie etwa mit dem Kleinbus auf Urlaub in Spanien und Marokko. Das Auskommen mit wenig und das Leben auf kleinstem Raum ist ihnen also nicht neu. Mit ihrem Tiny House wollen sie nun auch anderen beweisen, wie wenig man eigentlich zum zufriedenen Leben braucht. Und nicht nur das: Das Ganze ist auch nachhaltig.
Kulinarische Basics wie Nudeln oder Mehl, mit denen auch das Mini-Haus ausgestattet ist, kaufen die beiden bei einem Unverpackt-Laden in der Nähe, die Pellets für den Ofen holen sie sich ebenfalls unverpackt direkt vom benachbarten Pellets-Werk und das kleine Wasserkännchen neben der Toilette erspart einen Wasserverbrauch von ungefähr fünf Litern, die bei jeder Spülung direkt in den Kanal strudeln. Macht man bei all der Gemütlichkeit doch mal einen Schritt vor die Tür, hört man die Enns fließen, sieht man neugierige Alpakas am Zaun ihres Geheges stehen oder macht sich vielleicht sogar ein Feuer auf der geräumigen Lagerfeuerstelle oberhalb des Anhängerhauses. Spätestens da kann man den minimalistischen Gedanken dann auch verstehen: Die schönsten Dinge kosten wohl tatsächlich nichts – und sind meistens sogar unverpackt.
In Wien haben wir einen Tag lang das einzige verheiratete Augustin-Ehepaar Österreichs begleitet. Wenn ihr auf dem Laufenden bleiben wollt, registriert ihr euch am besten bei uns und folgt unsere Liste Unsere Reportagen für regelmäßige Updates.