Unser Senf: Das Griensteidl – Vom Regen in die Traufenabteilung

Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal ärgert sich unsere Redakteurin darüber, dass in die Räume des ehemaligen Café Griensteidl eine Supermarktkette einzieht.

Viktoria Klimpfinger Aktualisiert am 25.02.2019
Griensteidl Supermarkt
Photo by Ali Yahya on Unsplash

In Wien passiert ja angeblich alles 50 Jahre später – und wenn’s dann passiert, ist es uns auch nicht recht. Ja, ja, Wien ist altmodisch und die Wiener granteln gern, schon klar. Aber auch wenn diese beiden Klischees so abgenützt wie voreingenommen sind, muss ich sie leider im Folgenden kurz befeuern. Denn wie die „Presse“ vor ein paar Tagen berichtete, zieht 2020 im ursprünglichen Café Griensteidl die Filiale einer großen Supermarktkette ein. So. Das klingt erst mal nicht so tragisch. Supermärkte ploppen ja überall wie synthetische Schwammerln aus dem Boden. Aber genau das ist es, was dann doch den Grant aufsteigen lässt.

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Dass sich die Stadt und ihre Gebäude verändern, ist ja an sich nichts Schlechtes. Altes wird obsolet, Neues kommt hinzu. So ist das Leben. Aber gerade wenn es um die Alt-Wiener Kaffeehäuser geht, schmerzt es, dass ausgerechnet eine Supermarktkette in die nostalgieschwangeren Gemäuer einzieht. Ein Supermarkt – das Sinnbild des „Ich will alles und ich will es jetzt“-Prinzips. Das „Erdbeeren im Winter“-Paradoxon. Wo fast alles jederzeit verfügbar ist. Der Fußpilz des ökologischen Fußabdrucks quasi. Das stößt gerade in den Räumlichkeiten des ehemaligen Griensteidl als Ort eines konservierten, ästhetisierten und natürlich auch dick eingestaubten Wiens aus einer anderen Zeit umso saurer auf. Moderner Konsumrausch trifft Ansichtskarten-Idyll – und die beiden verstehen sich nicht besonders gut.

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Geist der Kaffeehausliteraten

Natürlich könnte die Konservativismus-Polizei jetzt schnell mal mit Blaulicht einschreiten, weil sie hier verklärte „Früher war alles besser“-Nostalgie wittert. Das ist es natürlich nicht. Früher war natürlich nicht alles besser, auch nicht im Griensteidl. Das ist mir schon klar. Besonders, weil das Griensteidl, so wie es die meisten von uns kannten, eh nicht besonders alt war. 17, um genau zu sein. Also nicht mal volljährig. Denn das Palais Dietrichstein, in dem das originale Café residierte, wurde im Zuge der Neugestaltung des Michaelerplatzes 1897 abgerissen. Erst 1990 zog das Griensteidl im Stil des ursprünglichen Literatencafés ins damals am selben Fleck neu erbaute Palais Herberstein ein. Aber dennoch: Mit seiner gediegenen Einrichtung und seinem typischen Flair war es eine der vielen Reminiszenzen an die Zeit der Kaffeehausliteratur und der Künstlercafés in Wien um die Jahrhundertwende, in denen es vor Ideen und Anekdoten nur so brodelte. Im Original-Griensteidl ohrfeigte der Autor Felix Salten etwa den bissigen Satiriker Karl Kraus, ein Akt, der damals wohl einigen Opfern des Wiener Parade-Grantlers insgeheim aus der Seele schnalzte.

Als das Griensteidl dem Umbau weichen musste, zog die Szene größtenteils ins Café Central um – Hauptsoch’ a Melange gibt’s! Und auch das Griensteidl 2.0 musste 2017 endgültig weichen und wurde schließlich nach dem Café Rien zur brachialen Touri-Kulisse Café Klimt. Wo der „Kuss“ auf billigen Souvenirbechern prangt und die Adele hilfesuchend von so manchem Geschirrtuch herunterstarrt, ist längst nicht mehr viel übrig vom authentischen, ereignisreichen Wien der Kaffeehausliteraten. Die G’schicht ist also passé. Gut, damit hat man sich mittlerweile abgefunden. Immerhin sind die meisten Alt-Wiener Kaffeehäuser mittlerweile sowieso zu Touristenfallen mutiert. Man denke nur ans Café Central, bei dem man sich zeitlebens sogar anstellen muss, um innen das perfekte Insta-Foto schießen zu können.

Schlimmer als Sefiesticks

Aber geht es noch viel schlimmer, als Touristenfallen und Selfiestick-Horden, etwa in Form eines – Achtung, ich wiederhole mich – Supermarkts. Als gäbe es in der Innenstadt nicht schon bei Weitem genug davon. Wie Josef Hader sich fragt, ob es überhaupt so viele Erdbeeren auf der Welt gibt wie Erdbeerjoghurts, frage ich mich langsam: Gibt es überhaupt so viele Waren wie es Supermärkte gibt? Wahrscheinlich schon. Wie gesagt: Ich sträube mich ja nicht gegen die Veränderung an sich, nur gegen ihren Inhalt. Denn wie wär’s stattdessen mit einem gemütlichen Buchladen mit Café oder einer Boutique von lokalen Jungdesignern?

Ein Supermarkt aber fegt auch noch den letzten Staub der Nostalgie aus den Räumlichkeiten und ersetzt sie durch kaltes Licht und Gefrierfach-Tristesse. Wo man früher in kitschiger Atmosphäre seine sauteure Melange schlürfte, kämpft man in Kürze am Kühlregal über Mikrowellen-Gerichten und abgepacktem Kühlschrankkaffee mit dem schlechten Kalorien-Gewissen. Und wo sich damals die Literaten ohrfeigten, rufen bald enervierte ältere Mitbürger schrill nach einer zweiten Kassa. Wenigstens wird nach wie vor ein gewisser Grad an Grant herrschen. Karl Kraus, schau oba.

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Darf’s noch ein bisserl mehr Senf sein? Dann lasst euch von unserer Redakteurin richtig fein den leidigen Après-Ski-Zirkus vermiesen. Oder Gesellschaftsspiele – die finden manche von uns auch furchtbar.

(c) Beitragsbild | Ali Yahya | Unsplash

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