Unser Senf: Ein paar Gedanken zu Postings übers Wetter
Im Sommer ist es heiß und im Winter ist es kalt. So. Wäre das aber so einfach, wären die folgenden Zeilen überflüssig. Doch sobald die Temperaturen leicht nach oben (oder unten) ausschlagen, füllt sich unser Feed auf Facebook mit humorigen bis schwer depressiven Postings von „Endlich Sommer!“ bis „Sonne, geh’ schleich dich!“ Wir haben’s verstanden, Manfred, dir ist heiß. Uns auch. Dusch’ dich, kühl dich ab und leb’ dein Leben weiter. Keinen interessiert das virtuelle Vollgeschwitze deiner Pinnwand. Genauso wie übrigens kein Mensch im Dezember unzählige Updates darüber braucht, dass es schneit. Ein Blick aus dem Fenster und wir sind live dabei.
Rausposaunter Wettergrant
Natürlich muss man an dieser Stelle unterscheiden zwischen vorhersehbaren Temperaturschwankungen und überraschenden zehn Grad im Mai, wenn es doch in der vorigen Woche laut Thermometer praktisch schon Sommer war. Da steigt der News-Gehalt einer Meldung wie „Oida, dass ich im Mai noch mal meine Winterjacke brauche, ist eine Frechheit!!1!!1!“ natürlich beträchtlich. Vor allem, wenn man selbst noch nicht draußen war und nach so einem Post doch noch einmal kehrt macht, um Skiunterwäsche unter die Bermuda-Hosen zu ziehen. Die Nerven liegen also verständlicherweise blank, der Grant ist absolut nachvollziehbar. Zitternd lecken die letzten Rebell*innen mit Schal und Haube an ihren Eisstanitzeln und recken ihre geballte Faust wütend gen Himmel. Nehmt das, Wettergötter, wir beugen uns nicht eurem Schabernack!
Aber nach dem 15.000. Posting darüber, dass es kalt ist, wenn es doch eigentlich schon warm sein sollte, erkennen auch überzeugte Vollblutgrantler*innen wie wir schließlich, dass das Jammern online und offline aussichtslos ist. Wir müssen uns eben damit abfinden, dass der Frühling auf Urlaub ist. Ja, auch du, Manfred! Nichts mit luftigen Frühlingsoutfits, passé ist das Sitzen im grünen Gras ohne anschließende Blasenentzündung. Stattdessen können wir den Knirpsschirm überall hin mitschleppen, um ihn dann erst recht irgendwo stehen zu lassen. Die Krux is real, ihre Belanglosigkeit allerdings auch.
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Kleinster gemeinsamer Nenner
Denn eigentlich ist das Reden und Schimpfen übers Wetter ja nichts anderes als der unbeholfene Smalltalk-Einstieg schlechthin. „Scheiß Wetter, oder?“ „Ja, voll, und das im Mai.“ „Stimmt. Ich bin übrigens Günter.“ Und schon bist du auf ungelenkste Art im Spiel – oder zumindest im Gespräch. Was also offline nur mehr Plattitüde ist, die wir vor uns herplappern, weil wir sonst gerade nichts zu sagen haben, machen wir online zu einem Inhalt, den wir mit voller Absicht mit der Welt teilen. Und das alles, obwohl wir nicht einmal eine elendslange peinliche Zweiersessellift-Fahrt vor uns haben, auf der einzig unsere nervösen Wetteranekdoten das peinliche Schweigen zurückdrängen. Nein, womit wir offline meist soziale Unsicherheit überspielen, wurde online zur virtuellen Version eines hochgestreckten, fuchtelnden Winkens, mit dem dich jemand mitten aus einer unübersichtlichen Menschenmasse heraus grüßt. Du registrierst die Person zwar, aber es ist dir auch ziemlich peinlich.
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Vielleicht ist das Ganze aber auch gar nicht so paradox, wie es sich anhört: Wenn wir offline kein gemeinsames Thema finden, reden wir übers Wetter. Wenn wir uns online bemerkbar machen wollen, posten wir halt im Zweifelsfall ebenfalls einfach übers Wetter. Oder mehr noch: Wir schreiben über Leute, die übers Wetter posten. So wie ich gerade, ich Donnerlittchen. Jedenfalls scheint das Wetter neben einem unberechenbaren Rabauken vor allem eins zu sein: kleinster gemeinsamer Nenner.
Darf’s noch ein bisserl mehr Senf sein? Unsere Redakteurin erzählt, warum sie Spieleabende einfach nicht packt. Oder doch lieber ein Lichtblick? Wir nehmen euch mit auf einen Nostalgie-Trip ins Freibad.
(c) Beitragsbild | Teymur Gahramanov | Unsplash
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