Unser Senf: Ein Plädoyer für realistische Romantik
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Anlässlich des hartnäckigen Valentinstags mit seinem noch hartnäckigeren Kitsch, hat sich unsere Redakteurin ein paar Gedanken darüber gemacht, was eigentlich noch wirklich romantisch für sie ist.
Wieder einmal ist Valentinstag gekommen und gegangen und das dicke Baby Amor plumpst mit penetranter Arschbombe auf die Oberfläche meines Facebook-Feeds. Angebote für Valentinsdinner hier, Werbebanner für sexy Dessous da. Und dann gibt es da noch diejenigen unter meinen Facebook-Freundinnen und -Freunden, die nicht müde werden, über den wohl schnulzigsten Tag im Jahr gehörig abzulästern. Aber ist das Ärgernis über oberflächlichen, herzerlgesprenkelten Konsumrausch gleich Grund genug, der Romantik generell eine G’nackwatschen überzuziehen?
Das übliche Lamento
Eins vorweg: Natürlich könnte ich mich hier zeilenlang über die Kommerzialisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen und die Idealisierung eines auf Hochglanz polierten, surreal verklärten Romantikverständnisses nach Hollywood-Vorbild auslassen. Natürlich könnte ich darüber ablästern, dass man sich vom hochheiligen Kapitalismus einen Tag vorschreiben lässt, indem man verdammt noch mal verliebt zu sein hat, komme was da wolle. Und – ups, schon passiert.
Aber genau dieses Bild einer hochtrabenden Romantik, die keine noch so peinlichen Gesten scheut, um den Partner mit öffentlichen Liebesbekundungen zu beschämen, stellt sich oft breitbeinig vor eine realistischere Variante. Denn wer ständig ein Maximallevel an Herzklopfen und eine Armada an kampfbereiten Schmetterlingen im Bauch anstrebt, wird vor allem eins: ziemlich schnell enttäuscht. Besonders wenn Sparring-Partner Alltag mit vollem Karacho zuschlägt. Deshalb hat der Valentinstag für mich auch nichts mit Romantik oder gar Liebe zu tun, sondern eher mit Instagram tauglichem Wellenreiten.
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Oma und Opa Hand in Hand
Dass man nicht gleich mit aufs Surfbrett mit den tausend Filtern aufspringt, heißt aber nicht, dass man allgemein frustriert und liebesverdrossen ist, wie es den Valentinstagshatern gerne mal unterstellt wird. Denn auch wenn das verschriene R-Wort dank Hollywood und Co. längst eine Schmalzspur hinter sich herzieht, bin ich der Meinung, dass Romantik an sich alles andere als eine synthetisierte Illusion sein muss. Es gibt sie schon. Nur oft nicht da, wo man sie sucht.
Allerbestes Beispiel sind für mich Seniorinnen und Senioren, die schon jahrzehntelang zusammen sind. Man wird die meisten nicht knutschend auf einer Parkbank vorfinden oder fummelnd in der Nightline. Aber wenn ich hinter einem Pensionistenpärchen hergehe, das in kleinen, trappelnden Schritten vor mir herzuckelt und Händchen hält, dann rüttelt das umso gewaltiger an meinem Nerdbrille, schwarze Rollkragenpullis und Barett tragenden Herzen. Ja, ja, trief, trief, schluchz, schluchz, schon klar: Auch dieses Bild ist ziemlich zerkaut und ausgespuckt. Um einen gewissen Grad an Pathos kommt man offenbar einfach nicht herum, wenn man über Romantik spricht.
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Nicht weil, sondern trotzdem
Aber schön finde ich es trotzdem, dass man nach all den Jahren, vielen Hochs und Tiefs, Erfolgen und Enttäuschungen, doch hin und wieder einfach bloß Händchen hält. Da sieht man dasselbe vermaledeite Gesicht vielleicht schon seit über 60 Jahren jeden Tag am Frühstückstisch sitzen und sich mit dem immer gleichen Schmatzen den Morgentoast in seine Kauluke stecken. Und trotzdem hat man ab und zu das Bedürfnis, die Hand, die zu diesem Gesicht gehört, zu halten. Nicht weil man schon so lange zusammen ist. Sondern trotzdem. „Trotzdem“ kann manchmal viel romantischer sein als „weil“. Denn wenn mich jemand trotz meines Gegrantels am Morgen und trotz meines Geschnarches in der Nacht gern hat, dann hat er mich wirklich gern.
Heutzutage geht die Tendenz aber eher in die Richtung „weil“. Es geht darum, einen Partner oder eine Partnerin zu finden, an dem oder der man alles lieben kann, auch seine oder ihre vermeintlichen Fehler und Baustellen. Denn nur wenn wir auch die Fehler lieben, lieben wir ganz. Blödsinn. Kein Mensch ist perfekt und schon gar nicht rundum liebenswert. Oder ergibt der Satz „Oh Schatz, ich liebe es wie du auf Partys immer viel zu lange unlustige Anekdoten erzählst“ auf irgendeinem Planeten Sinn? Es ist in Wahrheit unmöglich, einen Menschen zu finden, an dem man endlich alles lieben kann – auch das, was man eigentlich an anderen nicht lieben würde. Denn früher oder später wird man sich übereinander ärgern, aneinander stören. Das ist auch okay, das gehört dazu. Jeder Mensch besitzt einen bestimmten Nervfaktor und weniger attraktive Seiten. Wenn wir uns aber zum Ziel setzen, nur dann richtig zu lieben, wenn wir auch das lieben, was wir nicht lieben, wird das Ärgernis ziemlich schnell zum Dealbreaker – und wir ziehen weiter.
Klischee mit Stinkefinger
Meiner Generation wird in diesem Zusammenhang gerne unterstellt, dass wir ja gar nicht fähig wären, längere Beziehungen zu führen, weil uns emotionale Fast-Food-Plattformen wie Tinder und Co. mit immer neuen Möglichkeiten füttern und für Langzeitbeziehungen versaut hätten. Oft stimmt das wahrscheinlich auch. Aber in mancher Hinsicht ist es doch auch gut und richtig, traditionelle Beziehungskonzepte zu hinterfragen, die für einen selbst einfach nicht funktionieren. Doch die Frage, ob uns soziale Medien für das, was uns die Gesellschaft als wahre Liebe vorsetzt, wirklich versaut haben, öffnet die Büchse der Pandora zu einer ganz anderen Debatte.
Wenn es aber darum geht, dem Mainstream-Romantikverständnis den Stinkefinger zu zeigen, beweisen Händchen haltende Seniorinnen und Senioren für mich vor allem eines: Es sind die kleinen Dinge, die zählen. Zwar krampft es mir als nüchterner Realistin alles zusammen, diese Art von Klischee-Satz zu bedienen. Vor allem, weil er viel zu oft in Filmen und Serien missbraucht wurde, um erst recht zu etwas Großem aufgebauscht zu werden. Aber von allem verklärten Unsinn entschlackt, bedeutet er ja im Grunde nur, dass man die halb verwelkten Blumensträuße und angeknabberten Pralinen endlich kübeln kann, um stattdessen wirklich aufeinander einzugehen. „Du hattest einen Scheißtag? Lass uns Pizza bestellen und brutale Horrorfilme schauen.“ Gibt es etwas Romantischeres als Fast Food und Fernseh-Brutalität?
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Netflix and feel
Alltagsromantik ist also längst nicht nur Langzeit-Paaren und Händchen haltenden Omas und Opas vorbehalten. Im Gegenteil: Wenn es nach Dingen wie gemeinsamem Fernsehen im Bett geht, sind wir Millennials dank Netflix-Binge-Watching vielleicht sogar romantischer, als es unsere Großeltern je sein könnten. Oder auch nicht. Vielleicht ist es uns auch einfach nicht bewusst, weil das Alltägliche gegen gepolishte Insta-Fotos und perfekt ausgeleuchtete Netflix-Serien irgendwie abstinkt. Aber auf keinen Fall sollten wir uns einreden lassen, dass wir deshalb erst einen Riesenaufwand betreiben müssten, um unsere Gefühle auszudrücken, weil sie sonst nicht gehört werden. Oder dass wir sie am besten gleich gar nicht zeigen sollten, weil Gefühl und G’spür sowieso nur etwas für überkandidelte Charaktere wie Ted Mosby sind und sie ohnehin nur an unserer Coolness rütteln würden. Alles Blödsinn – habt’s euch einfach lieb! Bussi.
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Darf’s noch ein bisschen mehr Senf sein? Dann lest euch durch, warum für unseren Redakteur das Skifahren das Schlimmste überhaupt ist, für unsere Redakteurin das Beste am Winter.