Unser Senf: Heimat bist du toter Töchter
Wie schreibt man einen Text über ein emotionales, schmerzhaftes Thema? Über ein Thema, das gleichzeitig fassungslos, wütend und unendlich traurig macht? Das eine unfassbare Brutalität inne hat gegenüber dem eigenen Geschlecht? Katrin Grabner hat sich der Herausforderung gestellt und schreibt über 2021 als Jahr der Femizide in Österreich. Sie ist Mitglied des Teams von Viva La Vulva.
Gastbeitrag von Viva La Vulva *
31 Männer haben dieses Jahr ihre (Ex-)Partnerin oder ein weibliches Familienmitglied mutmaßlich getötet. Erstochen, erschossen, erwürgt, verbrannt. Das sind zwei bis drei getötete Frauen pro Monat. Aneinandergereiht ein ganzes Monat, an dem jeden Tag ein Mann getötet hat. An dem jeden Tag jemand seine beste Freundin, seine Mutter, seine Schwester verloren hat.
Ist es wichtig, diese Zahlen und Fakten wieder und wieder aufzuschreiben? Selbst wenn manche von euch sie vielleicht schon hundertmal gelesen oder gehört haben? Ich finde schon. Weil es immer und immer wieder passiert. Als ich den Auftrag für den Text bekommen habe, waren es 30 Femizide in Österreich. Heute, Stand 21. Dezember 2021, sind es 31. Bis sich nichts ändert, muss weiterhin darauf aufmerksam gemacht werden. Egal, ob in einem Text, durch eine Demo oder mit roter Farbe auf einer Wand – ein Projekt am Yppenplatz in Wien von Viva La Vulva und dem Kollektiv Kimäre, um den getöteten Frauen zu gedenken. Ein Projekt, das teilweise mehrmals in einer Woche ausgebessert werden musste. Ein Projekt, das uns viel Kraft gekostet hat. So viel, dass es nach dem jüngsten Mord noch nicht angepasst wurde. Weil auch wir an unsere Grenzen gelangen.
Das Jahr der Femizide
Immerhin waren Femizide neben Korruption und Corona 2021 ein großes Thema in Österreich. Einerseits, weil wir hier ein massives Problem damit haben. Schon immer. Andererseits, weil die Medien endlich reagieren. Und auch die Politik sich schleichend dazu bekennt, dass das Land der Berge – als einziges EU-Land mit mehr ermordeten Frauen als Männern! – die Heimat getöteter Töchter und mordender Söhne ist. Ja, nicht alle Frauen und ja, nicht alle Männer. Aber dass ein strukturelles Problem von Gewalt von Männern an Frauen besteht, ist klar mit Studien belegbar. Das sind keine Einzelfälle. Wer auf diese Studien angewiesen ist, um es zu glauben, ist offensichtlich in der glücklichen Position, nicht selbst davon betroffen zu sein.
Aber was bedeutet das denn, „strukturelles Problem“? Das bedeutet, dass wir in einer Gesellschaft, einem patriarchalen System leben, in dem Frauen nach wie vor von vielen als weniger wert angesehen werden. In dem Frauen eine oder mehrere Rollen zu erfüllen haben, um in dieses System zu passen: die treue Ehe-Partnerin, die liebende Mutter, die sexy Freundin. Genau das sind die Attribute, die wir haben sollen, müssen. Treu, liebend, sexy, fürsorglich, am besten nicht zu laut, nicht zu fordernd, schön brav untergeordnet und bereit, den einen Partner und die Familie glücklich zu machen. Selbst fremde Männer erwarten von uns, dass wir sie glücklich machen und lieb anlächeln auf der Straße. Wie absurd…
Und wenn wir diesen Vorstellungen nicht entsprechen? Dann wird es gefährlich für uns. Dann fangen Männer an zu drohen, zu schlagen, zu vergewaltigen. Oder eben: Dann töten Männer Frauen. Das sind keine „Beziehungsdramen“, kein „Streit unter Ehepartner*innen“, kein „Eifersuchtsdrama“ – seriously, what the fuck? Frei nach der klugen Beatrice Frasl: Ein Beziehungsdrama ist, wenn mein Partner mir meinen letzten Kinderriegel wegisst. Ein Femizid ist ein Mord. Da tötet ein Mann, weil die Frau nicht seinen Vorstellungen entspricht. Kaltblütiger, brutaler Mord. Punkt aus. Das Problem zu erkennen ist eine Sache. Es zu verstehen die andere. Und ihm etwas entgegenzusetzen die nächste.
Informiert euch!
Folgt feministischen Organisationen auf ihren Social Media Kanälen und Blogs und ganz, ganz wichtig: Hört euren Freundinnen, Schwestern, Kolleginnen, Müttern zu. Nehmt sie ernst. Wenn dir eine Freundin erzählt, dass ihr Partner sie im Streit geschubst hat, dann ist das nicht okay. Wenn dein Freund sagt, er hat heimlich die Nachrichten seiner Freundin gelesen, dann ist das nicht okay. Und wenn du dein Gspusi verurteilst, weil sie vor dir zwei, 20 oder 50 Sexualpartner*innen gehabt hat, dann ist das auch nicht okay. Gewalt fängt nicht erst mit einem Schlag ins Gesicht an. Sie kann genauso auf der psychischen Ebene passieren. Sie beginnt oft schon mit Beleidigungen, Herabwürdigungen, Geringschätzungen. Wichtig ist, diese Muster zu erkennen und sie zu durchbrechen.
Das geht uns alle etwas an. Da müssen alle mitmachen.
Und bitte unterstützt die autonomen Frauenhäuser Österreichs. Sie leisten wichtige Arbeit im Kampf gegen genderspezifische Gewalt und bekommen bei Weitem nicht genug Unterstützung von der Politik. In diesem Zusammenhang: Erinnert die Politik daran, dass noch viel mehr getan werden muss. Unterschreibt Petitionen, teilt Artikel, geht auf die Straße, unterstützt feministischen Aktionismus. Denn das ist doch das „Gute“ an einem strukturellen Problem, oder? Wir alle können unseren Teil dazu beitragen, dass es besser wird.
In dem Sinne: Auf ein besseres 2022.
Wichtige Helplines
Frauennotruf Wien: 01 71 71 9
Frauen-Helpline: 0800 222 555
Männerinfo: 0800 400 777
*Über Viva La Vulva: Viva La Vulva ist ein gemeinnütziger Verein und eine Meinungsplattform von Feminist*innen für Feminist*innen. Ob bei der Vulva-Basteltischtour oder auf Instagram und dem Blog – Viva La Vulva steht für Feminismus, Freiheit, Selbstbestimmung und Lust.
Wir stellen euch ein paar tolle feministische Instagram-Accounts aus Österreich vor, denen ihr folgen solltet. Außerdem könnt ihr euch bei uns registrieren und der Liste Feminismus folgen, um kein Update mehr zu verpassen.