Unser Senf: Ich hasse telefonieren
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum sie nicht gerne telefoniert.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich die Festnetz-Telefonnummer meiner besten Volksschulfreundin wie automatisiert in die Telefontasten hämmerte. Diese Nummer hat sich so in mein Gedächtnis eingebrannt wie nachher nur mehr selten etwas. Heute werde ich zwar immer noch nervös, wenn ich meine Sozialversicherungsnummer aufsagen soll, aber die Nummer von Klein Matilda kann ich so selbstsicher runterrattern wie das Alphabet.
Ich wählte also, hielt mir den Hörer ans Ohr und schickte ein kleines Stoßgebet in den Äther, dass Matilda selbst am anderen Ende den Hörer abnehmen würde. Das tat sie natürlich nie – sie war ja auch erst zehn. Für den ziemlich wahrscheinlichen Fall, dass ich mich erst einmal verbal um irgendeine*n Erwachsene*n herummanövrieren musste, um endlich mit Matilda sprechen zu können, war ich gewappnet: „Hallo, hier spricht die Viki. Könnte ich bitte kurz mit Matilda sprechen?“ Wie aus der Pistole geschossen. Herausgepresst mit der Intensität eines Wegelagerers im 19. Jahrhundert bei seinem ersten Kutschenüberfall. Danach war ich ungefähr so erschöpft, als hätte ich tatsächlich eine Pferdedroschke gekapert. Auch wenn Matildas Mutter nach den ersten zwei Sekunden des hektischen Gestotteres längst wusste, wer ich war und was ich wollte, ließ sie mich höflicher Weise ausreden. Sie wusste wahrscheinlich, dass es für mich kein Zurück gab.
Telephobie
Und an dem emotionalen Aufwand, der hinter so ein bisschen Telefonieren steckt, hat sich bis heute wenig geändert. Oder irgendwie doch: Er wurde kontinuierlich größer, quasi direkt proportional zur immer umfangreicher werdenden Möglichkeit, sich statt in eigenartigen Gesprächen in mehr oder weniger wohl durchdachten Kurztexten mitzuteilen. Anders gesagt: Mit SMS und später Whatsapp habe ich es in meinen wilden Teenie-Jahren irgendwo entlang des Weges verlernt, zu telefonieren. Weil ich es einfach nicht mehr musste.
Jetzt höre ich sie schon wieder verächtlich raunen, die Mizzi-Tanten und Onkel Günters da draußen: „Diese Jugend, starrt immer nur aufs Handy!“ Allerdings bin ich jetzt Ende 20 und tippe immer noch lieber auf mein Smartphone ein, als mich spontanem Handy-Smalltalk und Schweigen füllendem Fremdräuspern direkt in meinem Gehörgang auszusetzen. Nimm das, Mizzi! Was sagst du dazu, Günter?
Das hat wahrscheinlich weniger damit zu tun, dass ich mich insgeheim immer noch fühle, als wäre ich 16, sondern vielmehr wohl einfach mit der fortschreiten Digitalisierung. Was können wir daraus schließen, dass die Menschheit sich bereitwillig an jede neue Form der schriftlichen Kommunikation klammert wie ein Muskelprotz an die Klimmzugstange? Richtig: Telefonieren ist unangenehm – mindestens genauso unangenehm wie mir Klimmzüge. Vielen jedenfalls. So vielen, dass es dafür mittlerweile sogar einen eigenen Fachbegriff gibt: Telephobie. Die Angst, zu telefonieren.
Generation Textnachricht
Und die wird gemeinhin vor allem der ominösen Generation der Millennials zugeschrieben. Allerdings ist das ziemlich sicher nicht einfach wieder bloß so ein Millennial-Ding wie Jutebeutel oder Selbstverwirklichung. Vielmehr waren wir in den 80ern und 90ern Geborenen einfach die erste Generation, die SMS, MSN und später Whatsapp fließend sprach. Lol. Und warum nicht einfach dazu stehen, dass man lieber schreibt als telefoniert? Sogar bei Sprachnachrichten habe ich den Vorteil, mir das Gefasel der*des anderen erst mal in Ruhe anhören zu können, mir vielleicht sogar Notizen zu machen, und dann, wenn ich Zeit und Muße dazu habe, in ebenbürtig konfuser Schwafelei zu antworten. Es sei denn, ich vergesse es. Dann kommt nach einer Woche die schuldbewusste Nachricht meinerseits: „Heeey, sorry, voll verpeilt zu antworten…“ Und wehe, du rufst mich daraufhin einfach an.
GIF it to me
Vielleicht ist es also gar kein Manko, telefonische Unbehaglichkeit zu empfinden, sondern einfach bloß der natürliche Fortschritt. Ja, vielleicht sind wir wer-weiß-wann den Telefonaten sogar gänzlich entwachsen und erzählen unseren Urenkeln in einem postapokalyptischen Zeitalter von der guten, alten Zeit, in der man Anrufe ignorierte, einen Tag später mit der Nachricht antwortete: „Hey, sorry, Handy war auf lautlos. Was gibt’s?“ Und hoffte, dass das virtuelle Gegenüber den Wink mit dem Emoji-Zaunpfahl verstanden hat und nicht noch einmal versucht, durchzuklingeln. Bilder sagen doch angeblich ohnehin mehr als 1.000 Worte. Oder GIFs. Besonders GIFs.
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10.000 Schritte am Hörer
Schön wär’s. Ganz ohne telefonieren werden wir wahrscheinlich nie auskommen. Und bevor man mich jetzt mit Festnetzapparaten steinigt: Das ist natürlich auch vollkommen in Ordnung so. Gerade in meinem Berufsfeld der rasenden Karla Kolumnas musste ich relativ bald lernen, mich wieder damit anzufreunden, zum Hörer zu greifen – und sogar wildfremde Personen anzurufen, ohne vorher zu wissen, wer oder was mich am anderen Ende der Leitung erwartet. Besonders bei meinem ersten Praktikum in einer Redaktion einer großen österreichischen Tageszeitung grenzte das schon fast an Prüfungsangst, weil mir dabei auch noch alle anderen altgedienten Redaktionshasen zuhören konnten, wie ich in den Hörer stammelte: „Grüß G-, guten T-, hallo, hier spricht Kiktoria Vimpfinger.“ Verdammt. Das passiert mir kein zweites Mal!
Mittlerweile habe ich mir brav mein G’Satzl zurechtgelegt, dass ich der fremden Stimme ungefragt entgegenpfeffere, sobald sie das kommunikative Schlachtfeld mit einem „Hallo?“ eröffnet. „Hallo, hier spricht Viktoria Klimpfinger von 1000things“ – fast wie damals mit Matilda. Und unweigerlich manifestiert sich meine Unsicherheit als Hummeln in meinem Allerwertesten, soll heißen: Sobald ich solche Telefonate führe, wusle ich ziellos durch den Raum, mache währenddessen ein paar unbeholfene Pirouetten und mein Umfeld damit wahnsinnig. Man hört mich nicht nur telefonieren, man sieht mich auch.
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Kein Schwein ruft mich an – zum Glück!
Das gilt übrigens auch für private Gespräche. Wobei sich die bei mir eher in Grenzen halten. Immerhin habe ich es ausgefuchster Weise geschafft, eine Horde gleichgesinnter Millennials um mich zu scharen, die meine Anrufe ebenfalls ignorieren und mit Whatsapps oder Sprachnachrichten kontern. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass ich mir meine Freund*innen nur nach ebenbürtiger Telefon-Abscheu aussuche. Im Gegenteil: Die paar Menschen, deren Anrufe ich auch tatsächlich gerne und entspannt annehme – abgesehen natürlich von meinen Familienmitgliedern, vor denen mir ohnehin herzlich wenig unangenehm ist – zählen zu meinem absolut engsten Kreis. Miteinander telefonieren zu können ist also fast schon so etwas wie ein verbales Freundschaftsfoto – ein Bund fürs Leben. Und das macht es dann doch auch wieder irgendwie schön.
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Noch mehr soziale Herausforderungen gefällig? Dann lest nach, warum mir das Begrüßen größerer Gruppen fast ebenbürtig unbehaglich ist. Wenn ihr keinen neuen Senf mehr verpassen wollt, folgt ihr am besten unserer Senf-Liste.