Unser Senf: Lumumba hat nichts auf der Karte verloren
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Unsere Redakteurin führt dieses Mal aus, wieso Lumumba schleunigst von sämtlichen Getränkekarten verschwinden sollte.
Als mein Vater mir das erste Mal erklärt, was Lumumba bedeutet, erzählt er mir nicht die ganze Geschichte. Wir sitzen nach dem Skifahren auf einer Hütte. Auf der Getränkekarte wird unter den Heißgetränken Lumumba aufgeführt. In einer Klammer daneben steht: Heiße Schokolade mit Rum. Meine Mutter trinkt die gerne. Der Name klingt unschuldig. Wie KiBa für die Mischung aus Kirsch- und Bananensaft. Ein anderes Beispiel ist Roco für Cola mit Rotwein. Aber wäre nach der selben Logik nicht SchoRu oder KaRu naheliegender? Ich spreche meine Verwunderung über den Namen laut aus. Mein Vater sagt, es sei der Name eines afrikanischen Politikers. Vielleicht weiß er nicht mehr. Schließlich war er zu Lumumbas Zeit noch nicht auf der Welt. Womöglich kennt er die Details und möchte mich nicht belasten. In Zeiten von Wikipedia dauert es nicht lange, bis ich die ganze Story kenne.
Ein Kongolese redet Klartext
Lumumba ist der Familienname einer historischen Persönlichkeit. Patrice Émery Lumumba war der erste Premierminister der Republik des Kongo. Die Republik wurde 1960 etabliert und beendete die belgische Kolonialherrschaft. Bei der Feier zum Unabhängigkeitstag am 30. Juni 1960 hielt der damalige belgische König Baudouin ein Lobrede auf die belgische Kolonialherrschaft über den Kongo und auf das Werk seines Ururonkels Leopold II. von Belgien. Er behauptete ernsthaft, die Unabhängigkeit des Kongos sei Produkt dessen Herrschaft. Dabei hatte Leopold II. den Kongo ausgebeutet und unter seiner Herrschaft kam es zu den „Kongogräuel“, die gut dokumentiert sind und damals hinreichend bekannt waren – Verstümmelungen, Morde. Weiße hatten eine Freikarte dafür, ihrem Sadismus freien Lauf zu lassen. Lumumba entschied sich daraufhin spontan, auch eine Rede zu halten. Der Premierminister verurteilte die belgische Kolonialherrschaft, die systematische Benachteiligung, die Gewalt und die Ausbeutung. Er machte in seiner Rede klar, dass er vorhatte, das kongolesische Volk vollkommen von den Kolonialisten zu emanzipieren. Mit dieser Ansprache, sagt ein belgischer Freund von Lumumba in der 3sat-Dokumentation Mord im Kolonialstil, habe er sein Todesurteil unterschrieben. [Anm. der Redaktion: Die Dokumentation ist mittlerweile aufgrund von urheberrechtlichen Gründen nicht mehr auf YouTube abrufbar.]
Mit Schuss
Anfangs dachten einige von euch vielleicht, es ginge hier „nur“ darum, dass ein dunkelbraunes Getränk den Namen eines dunkelhäutigen kongolesischen Politikers trägt. Denkt weiter. Was ist eine heiße Schokolade mit Rum? Ein dunkelbraunes Getränk mit Schuss. Wer war Patrice Émery Lumumba? Ein durchaus auch von den Belgiern für sein Charisma und seine politische Wirkung bestaunter Kongolese, der dem Westen in mehrerlei Hinsicht ein Dorn im Auge war. Er wurde vom Postbeamten zum politischen Helden. Er kämpfte mit demokratischen Mitteln, besten Absichten und Überzeugung für die Emanzipation seines Landes. Lumumba stand auf für die Rechte seiner Mitbürger und Mitbürgerinnen und die Befreiung aus der Kolonialherrschaft. Seine direkte Art zu reden entsprach nicht den westlichen diplomatischen Standards. In der 3sat-Doku berichtet ein damaliger CIA-Agent, dass diese Art Reden zu halten im Westen nicht gut aufgenommen wurde. Zusammenfassung: Sein Klartext hat sie genervt.
Die USA hatten außerdem Angst, dass die Sowjets die Zügel im Kongo übernehmen würden. Lumumba hatte mit Chruschtschow zusammengearbeitet, nachdem er zuerst die USA um Hilfe gegen die Belgier gebeten hatte. Auf seiner Reise in die USA empfing Präsident Eisenhower ihn nicht. Er appellierte an die Öffentlichkeit, bat um Unterstützung und wurde nicht ernst genommen. Da kommt ein Afrikaner, einer von dem Kontinent, den die weiße, westliche Welt großzügig unter sich aufgeteilt- und zu ihrem persönlichen Spielplatz, Zuhause und Schachbrett gemacht hat und sagt: „So nicht! Wir wollen selbstbestimmt sein. Wir haben Rechte.“ Lumumba tanzte nicht nach der Pfeife der Belgier. Deshalb stempelten sie ihn als gefährlich ab, gefährlich für ihre Absichten. Deshalb wurde er letztendlich erschossen. Das war für die USA und die Belgier die Lösung eines Problems. Für den Kongo begann die über 30-jährige Diktatur des vom Westen gestützten Diktators Joseph-Désiré Mobutu. Mit diesem Wissen bleibt der bestellte Lumumba wie ein Kieselstein im Hals stecken.
Rassismus à la carte
Vielleicht ist es keine Überraschung, dass gerade alkoholische Getränke Namen bekommen, die manch einer maximal betrunken gut finden kann, die aber niemals toleriert werden dürften. Pils oder Kölsch gemischt mit Apfelsaft wird „Schwuchtel“ genannt. Die Mischung aus Cola und Rotwein wird anscheinend manchmal „Colera“ genannt – nur schriftlich von der Durchfallserkrankung Cholera zu unterscheiden. Witzig? Zeig‘ mir den Witz daran und ich sage dir, wer du bist. Lumumba schießt den Vogel ab: rassistisch, derb und geschmacklos. Die Bezeichnung ist nicht so offensichtlich rassistisch wie das N-Wort, weil die wenigsten Leute wissen, woher sie kommt – je mehr Zeit nach dem Mord vergeht desto weniger. Lumumba ist hierzulande eine vermeintlich gewöhnliche Getränke-Bezeichnung, wie es Weißer Spritzer ist. Das macht es umso problematischer. Es ist eine rassistische Watsche aus dem Dunkeln, ihre Schlagkraft beschleunigt durch Zynismus und Arroganz – denn genau diese müssen zur Bezeichnung „Lumumba“ geführt haben.
Ich habe „Schwuchtel“ oder „Colera“ noch nie auf einer Getränkekarte gelesen und nehme an, dass diese Bezeichnungen primär mündlich verwendet werden. Lumumba sehe ich ab und an auf Menüs. Dabei ist gerade dieses, meines Erachtens nach, eines der krassesten Beispiele für Bezeichnungen, die in der tiefsten Versenkung verschwinden sollten. Gastwirte und Gastwirtinnen, die Lumumba auf die Karte setzen sind im besten Fall unwissend. Den schlimmsten Fall muss ich nicht ausführen. Witzig ist die Bezeichnung jedenfalls nicht und ihr Ursprung nicht egal, sondern tragisch. Und deshalb sollte sie von den Getränkekarten verschwinden.
Wie Rassismus im Alltag in Österreich und Deutschland klingen und aussehen kann, lest ihr in unserer Reportage über zwei Frauen, die mit Social-Media-Projekten zur Aufklärung über Rassismus beitragen. Wenn ihr noch nicht genug Senf gehabt habt, bringt euch vielleicht unser Text über Gabalier und den Karl-Valentin-Orden zum Schmunzeln.
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