Unser Senf: Nein, ich will nicht mit euch wandern gehen
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal geht es um dein steigenden Leistungsdruck beim Wandern.
Eins vorweg: Auch ich gehe natürlich wandern, und meistens sogar recht gerne. Einfach mal so laut herauszuposaunen, man würde sich nicht gerne hin und wieder die Fußsohlen von Wald bis Karst blasig treten, würde mich in Österreich wahrscheinlich zur Staatsfeindin Nummer zwei machen, gleich hinter dem Typen, der beim Wirten lautstark verkündet, er esse sein Wiener Schnitzel lieber vom Schwein als vom Kalb. Shame on you, Justin! Etwaige auf Anschlag gehaltene Heugabeln können also erst mal wieder gesenkt werden, die Fackeln ausgepustet: Ich. Gehe. Eh. Gern. Wandern.
Prinzipiell.
Nur entspricht das, was ich unter wandern verstehe, offenbar nicht der wandernden Mehrheitsgesellschaft. Denn eigentlich gehe ich einfach gerne in die Natur, ziehe meine robusteren Turnschuhe an, schmeiße mich in mein 0815-Sportgewand und folge den Markierungen an den Bäumen, bis ich irgendwann auf einer Hütte lande und dort lautstark verkünde, dass ich mir den Radler jetzt aber redlich verdient habe. Abzippbare Wanderhosen besitze ich keine, habe auch keinen eigens dafür angefertigten Wanderrucksack in meinem Repertoire und aus dem eigenartigen Hype um Wanderstöcke, die meiner Meinung nach bloß Nordic-Walking-Stecken auf Adrenalin sind, werde ich immer noch nicht schlau.
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Keine schlechte Ausrüstung, nur schlechtes Wetter?
Jetzt höre ich sie schon wieder wetzen, die ersten Heugabeln. Also in aller Deutlichkeit: Ja, natürlich ist die richtige Ausrüstung das A und O für eine ausgedehnte Wandertour, ohne richtige Ausrüstung ist das ganze wirklich gefährlich. Schon klar. Nur würde mich ich als Minimalaufwandswandernde ja auch gar nicht erst in Situationen begeben, die ein kundiges Aufmagazinieren erfordern würden. Ich wandere gerne flach. Und das ist den meisten meiner wandernden Freundinnen und Freunde ein Rätsel.
Keine Bergschuhe? Kein Problem!
„Wie, du besitzt keine Bergschuhe?“, fragte mich eine gute Freundin letztens so verblüfft und angewidert, als hätte ich ihr erzählt, dass ich keine Unterwäsche besitze. „Wie willst du denn dann auf den Gipfel kommen?“ „Gar nicht?“, schien mir in diesem Moment nicht die passende Antwort. Also druckste ich ein bisschen herum, verteidigte kleinlaut meine robusten Sportschuhe als prototypisch für flachere Wanderstrecken und schwatzte meiner Mutter schließlich ihre ausrangierten Fußklumpen ab. Jetzt besitze ich also doch Bergschuhe. Also kann ich jetzt auch endlich auf Berge gehen. Juhu.
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Gipfelfetisch als Lifestyle
Gegen Berge selbst habe ich ja nichts. Ich habe nur etwas gegen den Gipfelfetisch, mit dem man auf die anderen herabsieht. Wobei man auf einem 3000er-Gipfel wohl schon alleine aus geografischen Gründen nur herunter blicken kann auf die Weicheier, die sich in flacheren Gefilden tummeln und – Reinhold Messner bewahre – nicht bereit sind, sich stunden- oder sogar tagelang vorzuschnaufen, dass der verdammte Weg das verfluchte Ziel ist. Ein Wandertrip zählt unter den wahren Aposteln des ausgeprägten Fußmarsches offenbar nur dann als solcher, wenn man dabei mindestens 5.000 Höhenkilometer überwunden, stundenlang stur bergauf gestapft und auf exponierten Stellen dem Absturz nur knapp entgangen ist. Und die ganz Harten haben auf dem Weg sogar noch sich selbst gefunden. Wann ist das, wofür wir unsere Eltern früher verflucht haben, zum ultimativen Lifestyle-Symbol geworden?
Selbstfindung beim Gruppenkuscheln
Denn wehe, man nimmt die Abkürzung und fährt vielleicht sogar mit der Seilbahn nach oben, um einfach bloß die nette Aussicht zu genießen. Schwachstelle. Schummlerin. Stadtkind. Letzteres stimmt sogar, man möge mich mit Gipfelfelsen steinigen. Urban geschulte Gemüter sind allerdings mittlerweile, wenn man nach manchen Trampelpfaden urteilt, klar im Vorteil. Ich weiß, was es heißt, mich durch wuselnde Menschenmengen zu lavieren. Nur dass diese Skills auch mal beim Wandern in freier Wildbahn zum Einsatz kommen, hätte ich mir nicht gedacht, bis ich letztens eine Route beschritten habe, die offenbar auch bei vielen anderen Pseudo-Wandernden sehr beliebt ist. Von Ruhe und Eat-Pray-Love-Vibe hatte das nicht mehr viel, dafür ganz viel von Gruppenkuscheln und unabsichtlichem Foto-Bomben. Auf dem Weg habe ich mehr Menschen leicht betreten gegrüßt als bei jedem Spaziergang durch eine Kleinstadt zusammen. Selbst dem Müller vergeht da die Lust aufs Wandern.
Die Harten campen im Garten.
Aber auch da haben die selbsterklärten Bergfexe in meinem Freundeskreis nur ein müdes Lächeln für meine misanthropen Ausführungen übrig. „Diese Route geht man ja auch nicht zur Stoßzeit.“ Dass es sogar in der Natur Stoßzeiten gibt, war mir neu. Nein, man campiert am besten schon am Vortag irgendwo im Tal – möglichst ungemütlich, versteht sich, das nennt man wohl Commitment. Nur um dann zu unmenschlicher Stunde sogar den frühesten Vogel wie einen verschlafenen Partylöwen aussehen zu lassen, der sein Leben nicht im Griff hat. Am besten, man legt sogar noch vor Sonnenaufgang los mit dem Anstieg. Vor Sonnenaufgang! Zu dieser Zeit sind wir früher leicht betoniert ins Bett geplumpst. Und überhaupt bereitet man sich strategisch auf die Wandertour vor, eh klar, Anfängerfehler.
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Wandern ist nicht gleich wandern ist nicht gleich wandern.
Dabei ist gerade das das Schöne an einfachen Wanderungen: Sie unterliegen keinen Levels, jeder kann sie schaffen, hatte eine gute Zeit an der frischen Luft und ist rechtzeitig zur Zeit im Bild wieder zu Hause. Das hat schon fast etwas Klassenloses. Wandern ist für alle da, und nicht nur für die elitären Fuzzis, die fast einen Kredit aufnehmen mussten für ihre multifunktionalen Regenjacken. Wobei ich mit Wandern natürlich einfache Fußmärsche mit leichtem Anstieg meine. Alle anderen informieren sich bitte vorher tatsächlich gründlich und lassen sich nicht von ihren übermotivierten Kumpels überfordern, nur um den perfekten Gipfel-Shot zu erwischen. Wandern ist eben nicht gleich wandern. Aber wandern ist es doch.
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