Unser Senf: Siezen Sie noch oder duzt du schon?
Weil ein bisschen Würze im Leben nie schaden kann, geben wir euch mit dieser Kolumne regelmäßig unseren Senf dazu: Wir erzählen euch, was uns beschäftigt, was uns nervt und was uns zum hysterischen Lachen bringt. Eure Käsekrainer könnt ihr zwar nicht darin eintunken, aber dafür ist unser Senf auch gratis. Dieses Mal erzählt unsere Redakteurin, warum die Entscheidung für das Sie oder Du manchmal einen Rattenschwanz an Peinlichkeiten nach sich zieht.
Donaudampfschifffahrtskapitänskajütenschlüsselloch – manchmal ist die deutsche Sprache schon ziemlich leiwand. Besonders wenn es darum geht, scheinbar unbegrenzt Wörter zu neuen Wörtern zusammenzustöpseln. Manchmal ist sie aber auch ein verflixter Hindernisparcours. Besonders für Deutschlernende, denen sich die Auswahl des richtigen Artikels immer wieder breitbeinig in den Weg stellt. Frustrierend. Aber nicht nur für Menschen, die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache lernen. Auch für Menschen mit Deutsch als Mutter- oder Vatersprache birgt das Deutsche genügend konversatorische Fettnäpfchen, um darin Schnitzeln für eine Horde ausgehungerter Bodybuilder zu brutzeln.
Wer will das Sie und wer das Du?
Allen voran stellt mich die höchstförmliche Sie-Form immer wieder vor soziale Rätsel vom Schwierigkeitsgrad eines Sudokus der Stufe vier. Also verdammt schwer, für alle Nicht-Sudoku-Nerds. Von der Mama hab‘ ich zwar gelernt, alle sicherheitshalber zu siezen, die älter sind als ich. Aber je älter man wird, desto schwieriger wird das abzuschätzen. Meistens weiß ich natürlich relativ schnell, wo ich stehe – etwa, wenn ich auf andere Mittzwanziger in Birkenstocks und ungebügelten Leiberln treffe. Klarer Fall von „Du“. Oder wenn sich jemand mit Nachnamen und förmlichem Händedruck vorstellt und mich aktiv siezt. Eindeutig ein „Sie“-Bevorzuger. Aber zwischen leiwand-lockeren Alterskolleginnen und Alterskollegen und verkrampften Business-Meetings gibt es leider allerhand Hybridformen, die mich bereits an die Grenzen meiner Gesellschaftsfähigkeit brachten.
Etwa wenn sich jemand deutlich Älteres mit einem „Hallo“ mit Betonung auf dem „O“ vorstellt – also einem quasi förmlichen „Hallo“. Das könnte entweder eine Einladung zum jovialen Gesprächston sein oder bloß irreführender Weise an den Youngster in mir appellieren. Oder wenn sich jemand überhaupt ohne Grußformel vorstellt und dafür mit vollem Namen. War das jetzt eine Einladung zum Du, zum Sie, oder doch zum peinlich betretenen Schweigen, lieber Friederich von und zu Habsburg-Esterházy?
Das Sie als Spießersakrileg
Besonders in späteren Teenager-Jahren waren es aufs Wesentliche runtergebrochen zwei Typen von Erwachsenen, die mich immer wieder zur inneren Verzweiflung brachten: Da gibt es zum einen all jene Mittvierziger und aufwärts, die sich selbst mit verschmitztem Grinser als „jung geblieben“ bezeichnen, konstant Lederjacken tragen, sich mit einem Ellenbogen an die Tischkante hängen und total „lässig“, „gechillt“ und mit inflationärer Verwendung des Wiener „Ur“ von ihrer letzten Ausfahrt mit ihrem „Bike“ schwärmen, also known as Motorrad. Begeht man den fatalen Fehler, diese supercoolen Junggebliebenen und doch deutlich Älteren zu siezen, stiehlt man jedem Midlifecrisis-Schnauzbart am Tisch mit Bravour die Show in Sachen Peinlichkeit.
Überzogen schallendes Lachen, gerunzelte Stirnen und manisch schüttelnde Köpfe, als hätte man behauptet, Abzipphosen wären die größte Modesünde des 20. Jahrhunderts (was sie definitiv sind) – ein Schwall an öffentlicher Beschämung ergießt sich über mich, als ich den Vater meines ersten Freundes bei einem Familienessen dreister Weise gesiezt und ihn dabei offenbar daran erinnert habe, dass seine taufrische Jugend, an die er sich vergeblich klammert, für andere wohl weniger offensichtlich ist. „Geh, nenn’ mi doch Günter! Der Herr Mayerhuber is‘ mei Papa.“ Dass der Günter aber mittlerweile selber seit 16 Jahren Papa war, war anscheinend wurscht.
Lachend richteten sich jetzt auch alle anderen Blicke am Tisch auf mich, als hätte ich statt einer Wirbelsäule einen Stock im Eh-schon-wissen stecken. Als wäre plötzlich ich die Seltsame an diesem von Original-80er-Jahre-Lederjacken, viel zu engen Adriano Celentano mäßigen Stone-Washed-Jeans und Schnauzbärten, die von den immer deutlicher eingravierten Falten ablenken sollen, umzingelten Tisch! Dass ausgerechnet ich, die mit 16 die Coolness immerhin gepachtet hatte, als Spießerin der Runde dastand, das setzte dem Wochenend-Vater damals den Cowboyhut auf.
Das Du als unziemlicher Affront
Doch nicht mit mir. Noch einmal würde ich nicht von Mittvierzigern als uncool geshamet werden. Das nächste Mal werde ich meine offenbar steife Erziehung zurück und den Besenstiel in die Ecke stellen. Den nächsten „Junggebliebenen“, die meinen Weg kreuzen, würde ich ein souveränes Du entgegenwerfen. Na, wer ist jetzt verkrampft? Immer noch ich. Denn als ich das nächste Mal in eine vergleichbare Situation kam und die Eltern einer Freundin mit Gert und Susi und einem dazugehörigen lässigen Kopfnicken und Zwinkern begrüßte, fiel mir schnell mein selbstzufriedenes Grinsen aus dem Gesicht.
Gert und Susi fanden das nämlich alles andere als angemessen – eher anmaßend. „Aso, sind wir schon beim Du?“ Offensichtlich nicht, Gert, offensichtlich nicht. Das bringt mich also zum zweiten Typ von Erwachsenen, die mich wiederholt in Adressierungsbedrängnis gebracht haben: Mittvierziger und aufwärts, die sich zwar auch cool und lässig geben, aber dennoch auf bestimmte soziale Register pochen wie etwa das Markieren eines deutlichen Altersunterschieds durch die Höflichkeitsform.
„Könnte man mir das Salz reichen?“
Verständlich also, dass ich nach etlichen Arschbomben in diesen sozialen Treibsand irgendwann völlig verunsichert war. Die einzige Lösung, die mir blieb: Ich würde direkte Anreden in solchen Situationen generell vermeiden. Das klingt erst einmal plausibel, ist aber im natürlichen Verlauf eines Gesprächs verdammt mühsam. Spätestens wenn man das Salz vom anderen Ende des Tisches braucht, an dem der coole Günter sitzt, von dem man aber noch nicht weiß, ob die Coolness auch auf Menschen außerhalb seiner Altersgruppe abstrahlen darf. Wobei auch das kein Problem ist. Statt „Könntest du/könnten Sie mir bitte das Salz reichen?“ sage ich eben einfach „Könnte ich bitte das Salz haben?“, oder: „Könnte man mir bitte das Salz reichen?“ Ungelenk, aber unverfänglich.
Erst nach 15 Jahren ist mir meine superlässige Friseurin draufgekommen, dass ich sie insgeheim immer noch sieze, als ich in einem schwachen Moment aus der Rolle fiel und sie fragte: „Könnten Sie auf der linken Seite noch was wegschneiden?“ Verdammt, versaut. Aber was hätte ich auch sagen sollen? „Könnte man mir auf der linken Seite noch was wegschneiden?“, klingt irgendwie blöd. An dieser Stelle noch ein Tipp vom Profi: Im Zweifelsfall immer aufs unpersönliche Wir umsteigen: „Könnten wir auf der linken Seite noch was wegschneiden?“ Damit umgeht man immer noch die direkte Anrede, stellt aber ein Gefühl der Gemeinsamkeit her, ein amikales Miteinander, obwohl eine Person den Vorschlag ausführt und die andere zusieht.
Das Du als Waffe gegen Altersdiskriminierung
Inzwischen habe ich es mir längst zur Devise gemacht, einfach abzuwarten, wie mich mein Gegenüber anspricht, und auf derselben Gesprächsebene zu erwidern. Außer es handelt sich natürlich um tiafe Anmachen und Sprüche auf offener Straße. Da bleibe ich beim Sie wie in „Scheren Sie sich zum Teufel!“ Und dann hole ich mit dem Stock aus meinem Hintern zum Schlag aus. Aber ich schweife ab. Ich habe mir also zurechtgelegt, all jene zu duzen, die mich duzen, und all jene zu siezen, die auch mir das Sie auferlegen. Da kann nichts schiefgehen.
Im Gegenteil: Mittlerweile um einige Jahre älter und weiser, ist die Wahl der richtigen Anrede für mich sogar eine Art Statement geworden. Jedes Mal, wenn mich jemand automatisch duzt, weil ich um einiges jünger und daher offenbar des Sies noch nicht würdig bin, schmettere ich ein ebenso selbstverständliches Du zurück. Immerhin bin ich seit fast zehn Jahren volljährig, Brigitte! Denn letztlich spiegelt die Entscheidung für Sie oder Du bestimmte hierarchische Strukturen und Ebenen der sozialen Interaktion wider. Erst wenn beide Gesprächspartner dieselben Register bedienen, kommunizieren sie auf Augenhöhe. Und schon wird aus dem Teenie-Trauma eine Sache der Überzeugung. „What doesn’t kill you makes you stronger“ – Kelly Clarkson hatte anscheinend doch recht.
Darf’s noch ein bisschen größerer sozialer Leistungsdruck sein? Dann lest euch durch, warum sich unsere Redakteurin in den Öffis nicht mehr hinsetzt. Oder doch was fürs Herzerl? Unsere Redakteurin findet, dass händchenhaltende Senioren die wahren Romantiker sind.
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